Gegen Prostitution oder gegen die Prostituierten? Prostitutionsgegnerschaft oder Abolitionismus?

Frauen mit erhobenen Fäusten
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Hallo.

Ich möchte heute mal was in eigener Sache sagen.

Die letzten Tage waren für mich, gelinde gesagt, nicht schön.  Ich hab auch jetzt seit 3 Nächten nicht geschlafen und viel geheult.

In den letzten Tagen sind merkwürdige Diskussionen zustandengekommen und  so komische Sprüche gefallen. Sowas wie:

  • Prostituierte wissen nicht, was gut für sie ist, „normal denkende Menschen“ wissen das
  • Prostituierte wissen nicht, was gut für sie ist, „psychisch gesunde Menschen“ können es ihnen sagen
  • Prostituierte haben ihre „Würde“ nicht genug verteidigt, anstatt, wie „normale Leute“ auch, einfach anständig arm zu sein (und heroisch zu verhungern)
  • Prostituierte prostituieren sich nicht, weil sie in einer ökonomischen, seelischen oder sonstigen Notlage sind, sondern weil sie einen „Hang zur Prostitution“ haben

Das kam von Frauen, die sich „Verbündete“ nennen. Einige dieser Frauen sehen es auch als legitim an, prostituierte Frauen, die zur Pro-Prostitutionslobby gehören, als „Nutten“ zu bezeichnen und merken dabei nicht, dass, wenn sie eine Frau für ihre Prostitution beschämen, sie ALLE Prostituierte für die Prostitution beschämen und dass es einen Unterschied macht, ob ich jemanden wegen seiner Gedanken ablehne, weil ich diese für falsch halte, oder für seine Prostitution.

Einige Frauen haben sich in Diskussionen mit Frauen von der Lobby verwickeln lassen. Aber anstatt über das Konzept Prostitution zu diskutieren, haben sie prostituierte Frauen beschämt, sie für das Elend anderer Frauen verantwortlich gemacht und sich in anmaßender Weise zu Vertreterinnen von Zwangs- und Armutsprostituierten aufgeschwungen, ohne zu sehen, dass sie gerade selber Armutsprostituierte vor sich haben. Nein, nicht alles, was von der Lobby kommt, ist Müll, nur weil es von der Lobby kommt. Ja, wenn prostituierte Frauen erzählen, warum sie eingestiegen sind, sollten wir zuhören. Ja, wenn diese Frauen uns erzählen, was sie am Ausstieg hindert, sollten wir ganz Ohr sein. Nein, einer Prostituierten und Betreiberin wie Felicitas Schirow den Ausstieg via HartzIV nicht zu gönnen, ist nicht okay. Nein, sie ist nicht schuld daran, dass sie, wie sie angibt, sich jetzt prostituieren muss, ohne es zu wollen, weil ihr Leistungen des ALG2 verweigert werden.

Gestern Abend gab es dann noch eine Diskussion darum, für welche Frauen wir Verständnis aufbringen, wenn sie in die Prostitution einsteigen, und für welche nicht. Ich habe sowas wie „für deutsche Frauen habe ich da kein Verständnis, da gibt es andere Wege“ schon oft gehört. Es wird durch permanente Wiederholung nicht wahrer. Ich staune, wie oft es geschieht, dass Frauen zu Expertinnen für das Leben anderer Frauen werden und urteilen. Die musste sich nicht prostituieren, die hatte andere Möglichkeiten. Die hat sich freiwillig prostituiert und ist dadurch am gesellschaftlichen Klima und an andere Frauen schuldig geworden. Die hat es nicht besser verdient, die ist selber schuld, dass sie jetzt nicht aussteigen kann weil ihr HartzIV verweigert wird, schliesslich hat sie geholfen das Gesetz von 2002 festzumachen. Woher kommt dieses Wissen um das Leben anderer? Die Bereitschaft, so schnell zu urteilen? Die Fähigkeit, sämtliche sozialen Löcher Deutschlands auszublenden, in die man so fallen kann? Der Glaube, Armut wäre der einzige Grund für einen Einstieg? Und selbst die Armut wird uns ja von anderen noch unter die Nase gerieben. Es gibt nämlich auch Menschen, die sind auch arm, und die prostituieren sich nicht. Kannste mal sehn!

 

Ich bin so müde und traurig gerade.

Ich dachte bis jetzt, wir sind FÜR Prostituierte und GEGEN Prostitution. Ich dachte, unsere Solidarität gilt allen Frauen in der Prostitution. Ich wusste nicht, dass sie davon abhängig ist, dass Frauen ihren Opferstatus vor sich hertragen müssen wie ein Schild. Ich wusste nicht, dass diese Solidarität nur denen gilt, die denken wie wir es gern hätten. Ich wusste nicht, dass wir prostituierten Frauen irgendwem eine Erklärung dafür schulden, warum genau wir uns prostituieren, warum wir eingestiegen sind, und ich wusste nicht, dass wir verurteilt, beschämt und schuldiggesprochen werden dürfen, wenn wir uns nicht rechtfertigen. Ich wusste nicht, dass diese Solidarität nur denen gilt, die Wohlverhalten zeigen.

Ich dachte bisher, wir wollen alle dasselbe.

Ich dachte bisher, es sei Konsens, dass man für Frauen, die in der Prostitution sind und die, aus welchen Gründen auch immer, nicht aussteigen (weil sie nicht wollen, weil sie nicht können, weil sie keine andere Perspektive haben, weil sie ihr ganzes Leben schon in der Prostitution sind, whatever) Verständnis hat, wenn sie versuchen es sich da wenigstens so gut wie möglich einzurichten.

Dass Frauen, die erklären, dass sie mit ü60 vom Jobcenter schikaniert werden, keinen Job finden und sich dann in die Prostitution begeben haben, angeschnauzt werden sie seien schuld, dass „all die Zwangs- und Armutsprostituierten“ hier ausgebeutet werden, macht mich betroffen.  Dass Frauen, die mit ü60 keinen Bock mehr auf Prostitution haben und das fordern, was ihr Recht ist, nämlich existenzsichernde Bezüge, verhöhnt werden, wenn sie sie nicht kriegen, schockiert mich zutiefst. Dass sie gesagt bekommen, dass sie selber schuld sind, ist jenseits des guten Geschmacks. Dass Frauen die die Prostitution abschaffen wollen irgendwie nicht verstehen, dass ein Verbot denen Frauen die Grundlage nimmt, sich zu finanzieren, ohne ihnen eine Alternative zu beschaffen macht mir zu schaffen. Einer Frau, die sich prostituiert, obwohl sie eigentlich aussteigen will, brache ich doch keine Belehrung über die schlimmen Freier zukommen lassen. Sie wird es besser wissen. Es sind IHRE Freier. Und diese Belehrung nutzt ihr auch nichts. Denn von ihr kann sie sich auch nichts zu essen kaufen. Und sie zu beschuldigen, „Sexarbeit“ zu verharmlosen, bloss weil sie überleben will, ist nicht fair.

Es ist einfach nicht fair.

So viel Kaltschnäuzigkeit, so wenig Mitgefühl, so wenig analytische Fähigkeiten wie in den letzten Tagen, so viel Bereitschaft zu verurteilen, zu beschämen – das zu sehen hat mich sehr betroffen gemacht.

 

Ich rede hier nicht von allen Frauen. Aber von einigen, und da waren auch welche dabei, von denen ich das nie gedacht hätte. Das hat mich sehr verletzt. Aber auch, als ich das anmerkte, dass ich verletzt bin, wurde einfach weitergemacht. Meine Erklärungen haben nichts geholfen. Das hatte ich einfach zu schlucken. Denn ich bin ja nur eine Prostituierte. Und um die geht es hier ja augenscheinlich nicht.

 

Ich möchte es deutlich sagen.

Nein, Abolitionismus bedeutet nicht, gegen Prostituierte vorzugehen. Es bedeutet nicht, Prostituierte in gute und schlechte Frauen einzuteilen. In Frauen, die unserem Opferschema entsprechen und die sagen, was wir hören wollen und die unsere Hilfe und Solidarität bekommen und andererseits in Frauen, die nicht so denken, wie wir wollen oder die uns nicht erklären, warum sie eingestiegen sind, oder die uns zu „privilegiert“ erscheinen als dass sie anschaffen müssten (weil sie einen Bafög-, einen HartzIv-Anspruch haben, theoretisch, whatever) und die wir verurteilen, beschämen können für ihre Prostitution. Jemanden abzulehnen weil er sagt, was er denkt, ist legitim, wenn uns das nicht passt. Jemandem die Solidarität zu verweigern, weil er oder sie sich prostituiert, ist NICHT ABOLITIONISTISCH.

Verdammt nochmal! Es ist NICHT ABOLITIONISTISCH, Frauen für ihre Prostitution anzugreifen! Es ist NICHT ABOLITIONISTISCH, Frauen für ihre Prostitution zu beschämen! Es ist NICHT ABOLITIONISTISCH, Frauen zuzumuten, sich weiter zu prostituieren, ihnen einen Ausstieg zu verweigern, bloss weil sie anders denken als wir! Es ist NICHT ABOLITIONISTISCH, Frauen, die sich prostituieren um was zu essen zu haben die Schuld zuzuschieben dafür, dass andere Frauen in die Prostitution gezwungen werden!

Ich bin so fassunglos, dass ich nicht mehr schlafen kann. Einige Sachen davon treffen auch auf mich zu. Auch ich hatte einen (theoretischen) Baföganspruch. Auch ich bin Deutsche. Ich bin gebildet. Ich habe studiert. Warum werde ich nicht beschämt? Aber andere Frauen in meiner Situation? Und warum wird nicht bemerkt, dass man damit auch mich meint? Und wo ist überhaupt der Unterschied zwischen diesen Frauen und mir, warum sind sie schuldig und ich nicht? Was soll das?

Ich lasse mich nicht spalten von anderen Prostituierten. Ich lasse das nicht zu, dass hier aufgeteilt wird in gute Opfer und Frauen, die unsere Solidarität nicht verdienen. Ich lasse nicht zu, dass Frauen, die niemals arm waren, andere Frauen dafür verurteilen, dass diese überleben wollen und dafür Möglichkeiten nutzen, die das Patriarchat eben bietet. Oft, weil sie keine andere sehen. Oft, weil da auch wirklich keine anderen Möglichkeiten sind.

Ich bekomme das Gefühl, dass Teile der Bewegung nicht abolitionistisch sind, sondern nur gegen Prostitution. Das ist ein Unterschied. Gegen Prostitution sein, daskann man auch, weil man Prostituierte verachtet. Weil man sie für verdorben hält. Für dumm. Für zu traumatisiert um zu denken. Für abgefuckt und ohne Ahnung, was Würde ist und Selbstachtung.

Und ich möchte euch alle bitten, das zu reflektieren. Ich unterstelle niemanden, dass er oder sie es böse meint.

Aber wenn ihr helfen wollt, hört uns zu.

Verurteilt uns nicht.

Spielt nicht die Expertinnen für unser Leben.

Eine analytische Analyse der Strukturen ist notwendig.

Prostituierte persönlich anzugreifen dafür, dass sie sich prostituieren, ist es nicht.

Wenn ihr euch nie prostituieren musstet, wenn ihr nie in eine Situation gekommen seid, einzusteigen: schön. Freut euch drüber. Aber ihr braucht nicht zu denken, dass euch das zu was besserem macht.

Und es ist nicht abolitionistisch, unsere Aussagen dazu zu nutzen dafür zu sorgen dass es uns schwergemacht wird.

Ich habe Verständnis für jede Frau in der Prostitution, die versucht, es sich dort (weil sie nicht raus will oder nicht raus kommt) einzurichten. Bitte nehmt nicht das, was wir euch über unsere Prostitution erzählen und verwendet es gegen andere Prostituierte oder dafür, es uns schwer zu machen, indem ihr die Regulierung vorantreibt.

Frauen die aussteigen wollen (und wir wissen, das sind viele) brauchen ALTERNATIVEN. Das Nordische Modell z.B. bietet Hilfe bei der Suche nach Alternativen. Und auch finanzielle Hilfen und Hilfe mit Behörden.

Der Regulierungsansatz bietet all das nicht.

Bussgelder, Knast (wenn die Bussgelder nicht bezahlt werden), Anmeldungen bei der Polizei, solange diese nicht geschult ist, Erhöhungen der Steuern helfen Frauen in der Prostitution NICHT. Frauen sind meist in der Prostitution, weil sie keine andere Option sehen. Ihnen die Prostitution schwerer zu machen, zaubert diese benötigte Option nicht herbei!

Wir brauchen Regeln und Regulierungen (und Strafen!) für Freier. Für Betreiber. Ja, auch für Betreiberinnen. Aber es wäre schön, wenn auch mal gesehen würde, dass viele Betreiberinnen auch mal Prostituierte waren, und dass für sie ein Umstieg von Prostituierte auf Betreiberin leichter war als der Ausstieg als der Prostitution.

Und das wollen wir doch. Leichteren Ausstieg aus der Prostitution. Und dass Frauen, die das nicht wollen, und wie wir wissen, sind das die meisten, nicht in die Prostitution einsteigen müssen. Oder?

 

Und ich verrate euch mal was.

Meine persönliche Situation ist auch nicht erste Sahne.

Und ich überlege schon lange, wieder einzusteigen.

Weil ich es nervlich nicht mehr aushalte, in dauernder Existenzangst zu sein und unter so extremen Bedingungen zu leben. Weil ich gerade keine Perspektive, keine Hoffnung sehe. Eine Aktivistin sagte mir heute, ja, du hast die Wahl zwischen Scheisse ohne Geld und Scheisse mit Geld. Und genau so ist es auch. Und verachtet werde ich sowieso, von der restlichen Gesellschaft eh, aber, wie sich jetzt herausstellt, von einigen Verbündeten auch. Denn verachtet ihr eine Prostituierte für ihre Prostitution, verachtet ihr uns alle.

Und ich möchte gerne dafür sorgen, dass mein Kühlschrank voll ist. Ich möchte gerne leben. Ich möchte gerne essen. Ich möchte gerne Katerchens Arztrechnungen bezahlen. Wenn mich das zur Egoistin und Täterin macht, wie bereits für andere Frauen in meiner Lage konstatiert wurde, dann ist das so.

Ich schäme mich nicht dafür.

Wofür ich mich schäme, das ist, wenn Frauen meine Aussagen dafür nutzen, anderen Frauen in der Prostitution das Leben schwer zu machen oder sie zu verhöhnen dafür, dass sie keinen Ausstieg schaffen. Ich schäme mich dafür, dass einige Frauen mein Engagement dazu nutzen, dafür zu sorgen dass es anderen Frauen so schwergemacht wird, dass sie verurteilt werden, gedemütigt und abgewertet werden, und wenn sie sagen, was sie nicht wollen, dann heisst es, überlasst das Denken den „Gesunden“, und gesund heisst hier: fähig zu denken und im Wertemassstab nicht „verbogen“.

Dafür schäme ich mich.

Und sonst für nichts.

Und ich danke allen Frauen, die mir in den letzten Tagen gezeigt haben, das ihre Solidarität ALLEN anderen Frauen gilt, ALLEN Prostituierten, auch denen, deren Weltbild ihnen nicht passt. Danke dafür.

 

Huschke