Nora Bossongs „Rotlicht“: Ein Bericht aus der Schattenwelt der legalisierten Prostitution

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Dieser Beitrag ist zuerst in der Kritischen Perspektive (hier) erschienen.

 

Es ist jetzt schon etwas her, dass die Schriftstellerin Nora Bossong und ich unser Telefonat für ihre Buchrecherche miteinander hatten, und es war ein angenehmes Gespräch. Als das Buch dann endlich draußen war, war ich deswegen ein bisschen verwundert über das was ich so darüber las (nämlich, dass ein Freund und sie eine Prostituierte gekauft hätten, für eine Stunde, und es sei nicht klar, was auf dem Zimmer geschehen sei – uuuuh, spannend. Nicht.) Laut Klappentext „stellt sich die Frage, warum das Rotlichtmilieu die Wollust nur an den Mann bringen will – und niemals an die Frau“; klingt ein bisschen, als beschwere man sich darüber, dass Prostitution und Pornografie nur Männern zur Verfügung stünden und als fordere man hier – in bester bürgerlicher Sexuallibertinage – die Öffnung dieser Sektionen für alle zukünftigen Konsumentinnen und Freierinnen. Oar nee, dachte ich, bitte sag jetzt nicht, Du hast so ein verlogenes pseudolibertäres Buch geschrieben in dem die alte Lüge davon steht, dass Freiheit und Gleichberechtigung bedeuten, Frauen dasselbe Recht auf Missbrauch, Ausbeutung und dem ganzen kapitalistischen Menschenverwertungskram zuzugestehen.

Und da kann ich gleich alle beruhigen: Nein, hat sie nicht.

Auf einer Zugfahrt habe ich das Buch zu lesen begonnen, und war gleich vom ersten Kapitel an dermaßen im Sog, dass ich lesend vom Bahnhof heimgegangen bin und im Bett weitergelesen habe, bis das Buch nachts um 4 „alle war“.

Ein Jahr lang hat Nora Bossong recherchiert, auf was so alles das Rotlicht fällt. Sie beschreibt, wie sie sich bereits als Kind fragte, was wohl hinter der für sie verschlossenen Tür des Beate Uhse Shops war, und wie sie sich als erwachsene bürgerliche Frau dann mit der Vorstellung, Prostitution sei ein Nischenphänomen und ein Verbot mache alles noch schlimmer, ins Milieu aufmachte, wobei sie sofort bemerkte, dass sie als Nichtprostituierte genau dort für Verstörung sorgt – sie beschreibt diesen Zustand, ausgerechnet als Frau, die nicht käuflich ist, in einem Milieu aufzutauchen, in dem Frauen nur käuflich sein dürfen und Grenzverletzungen zum Alltag gehören; sie erscheint dort als „Machttransvestit-Sein“, als Fehler im System.

Ihre Reise beginnt in einer Tabledance-Bar, die sie mit einem Bekannten besucht. Schon hier bemerkt sie die oberflächliche Schalheit der Präsentation weiblicher Körper, die auf den männlichen Blick zugeschnitten ist („Die zierliche Frau arbeitet noch immer auf der Bühne vor sich hin. Sie liegt inzwischen auf dem Teppich, der langsam rotiert und sie wie ein Stück Fleisch in einem Feinkostgeschäft von allen Seiten präsentiert. Rhythmisch und ausdauernd klappt sie ihre angewinkelten Beine auf und zu.“), und sieht die ersten Demütigungen und Grenzverletzungen: ein Gast behandelt eine Tänzerin wie einen Hund, indem er ihr an den Busen grabscht und sie auffordert, sich die Dollarscheine doch zu holen, eine ältere Tänzerin wird vom männlichen Publikum völlig ignoriert und muss trotzdem weiter lächeln (übrigens ein starkes Element in der Sexindustrie: das Darumbittenmüssen missbraucht zu werden, weil man die Kohle braucht – und natürlich die Maßgabe, dazu zu lächeln), und sie stellt fest, dass Männer mit ihrer Lust und ihrem Geld rechtfertigen, sich an bestimmten Orten Frauen zur Verfügung zu halten. Weiter geht’s auf der Sexmesse – dieses Kapitel ist eines der stärksten. Was Nora Bossong hier beschreibt und vor allem, WIE sie es beschreibt, es ist so unfreiwillig komisch wie abstoßend: Dildoshows auf der Bühne, wild fotografierende Männer, für Männer inszenierte Lesbenshows, und allerhand mehr. Es lässt sich gut fragen, was das mit Lust zu tun haben soll (vor allem mit weiblicher Lust), wenn Frauen zu Fleisch, zu Puppen gemacht werden, auf Kommando anfangen zu stöhnen, Sex nur noch wie einen Sport performende Oberflächen vor Voyeuren sind. In diesen Abschnitten wird deutlich, wie reflektiert (auch selbstreflektiert) die Autorin hier mit dem, was ihr vorgesetzt wird, umgeht – und wie sprachstark sie in treffenden Formulierungen ihre Gefühle transportiert.

Ein Kapitel widmet sich einem Tantrastudio, welches offen für Frauen ist und in dem Nora Bossong eine Stunde bucht. Ich habe es mit gemischten Gefühlen gelesen, denn auch wenn dort das Ziel ausgeschrieben wird, für Frauen erfahrbar zu machen wie ihre eigene Sexualität ausschaut (und es stimmt, viele Frauen wissen nicht, was sie selber wollen, so sehr sind sie auf das Erfüllen sexueller Fantasien des männlichen Gegenübers programmiert) ist es doch Prostitution, auch wenn das heißt, als zahlende Person nur dazuliegen und nichts zu machen.

Weiter hat sich Nora Bossong mit dem Schweizer „Pornokönig“ Edi Stöckli getroffen, der in den 70er Jahren mit dem Sichtbarmachen von Geschlechtsteilen die Pornoproduktion ins Rollen brauchte, der aber heute trotzdem zugeben muss, dass er Pornos für Frauen nicht macht, weil er keine Ahnung habe, was Frauen wollen: „Wie man Frauen begeistern oder erregen kann mit Pornos, für mich ist das ein großes Rätsel.“ Bezeichnend.

Dass sich Pornostarlets gegen eine Kondompflicht am Set aussprechen (und behaupten, sie kämen eben dort immer wieder zum Orgasmus) entlarvt Nora Bossong als pseudoselbstbewusste Haltung, hinter der nichts weiter steckt als die Verinnerlichung der Vorgaben des Marktes. Das kommt uns natürlich irgendwoher bekannt vor, gab es doch auch von Vereinen, die vorgeben die Interessen der Prostituierten zu vertreten, Proteste gegen die Einführung der Kondompflicht mit dem kommenden Prostituiertenschutzgesetz.

Von Sexkino (in dem ein Gangbang stattfindet, was von Nora Bossong als persönlichkeitsauflösende, bedrohliche Situation wahrgenommen wird) und Swingerclub geht es weiter zum Straßenstrich: die Autorin hat sich mit zwei Ungarinnen, die seit Jahren auf dem Berliner Straßenstrich anschaffen, in dem Stundenhotel getroffen, das beide für ihre Tätigkeit nutzen. Die beiden Frauen erzählen von prügelnden Männern, vom Ritzen, von Frauen, die auf dem Straßenstrich von ihren Zuhältern mit Elektroschocks gequält werden, vom ewigen Frieren und dem stundenlangen Rumstehen auf viel zu hohen Absätzen, davon, wie schwer es ist, auszusteigen oder jemandem zu helfen, von Freiern, die nicht gut riechen und die aggressiv sind, davon, dass sie sich dreckig fühlen, dass sie einen Schaden im Kopf davon tragen davon, all die Männer immer wieder zu bestätigen, sie erzählen von ihren Stammkunden, die eine Freund-Funktion einnehmen während sie sie gleichzeitig missbrauchen, und von ihrem „Arbeitsethos“, auf den sie stolz sind: nicht klauen, guten Service bieten, fröhlich sein und lachen auch wenn man traurig ist, Stammkunden generieren, abgemachte Zeit einhalten, dem Kunden Spaß bereiten. Daran, dass für diese beiden Frauen ein Mann, der nicht misshandelt, schon ein guter Mann ist, wird offenbar, dass Frauen die sich prostituieren nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen, und das die Definition von Begriffen wie „gut“, „schlecht“, „grausam“ usw. relativ ist. Sie hängt von dem ab, was diese Frauen bis jetzt erlebt haben. Nora Bossong schreibt: „Die beiden verwenden Worte wie ´gut´ und ´böse´, ´schlecht´ und ´erträglich´ in Zusammenhängen, die mir dafür niemals in den Sinn kämen.“ So zum Beispiel wird beschrieben, was als guter Kunde läuft: ein Mann, der immer wieder kommt, mehrere Stunden bucht, sich mit ihnen unterhält und dann französisch ohne Kondom verlangt – mit allem Pipapo, mit Vorihmknien, mit deep throat, mit geschwollenem Mund, Hals- und Nackenschmerzen am nächsten Tag und erheblichen Schmerzen beim Akt selbst – dieser Freier läuft als „ein Engel“, als Glücksfall. In einem späteren Kapitel schreibt die Autorin: „Wo sind die Frauen aus Bulgarien, was ist mit ihnen nach vier, fünf Jahren in der Dortmunder Männer-Massenabfertigung geschehen? Würde lässt sich nicht so einfach zurückerstatten wie ein falsch vom Konto abgebuchter Betrag. Wer Tag für Tag gelernt hat, wenig bis gar nichts wert zu sein, wer Schläge als etwas Normales empfindet, wem der Anspruch auf die eigene Integrität gründlich aus dem eigenen Körper geprügelt wurde, dem muss erstmal bewusst werden, dass das, was ihm oder ihr angetan wird, Unrecht ist. Für sie oder ihn wird sich soetwas wie Würde (…) nur für Menschen mit bestimmten Merkmalen denken lassen (…). Ihr Wert bemisst sich in Euro-Scheinen und ihre Würde höchstens darin, dass sie ihren Platz an der Straße behaupten.“

Was hier abgehandelt wird, ist wichtig insofern, als dass es deutlich macht, dass Aussagen von Prostituierten selbstverständlich ernstgenommen werden müssen, dass sie aber nicht 1:1 aus ihrem Bezugsrahmen herausgenommen werden können. So wird ab und an von Beratungsstellen für Prostituierte eben dieser „Arbeitsethos“ (nicht klauen usw.) selbst von drogenabhängigen Prostituierten als Beweis dafür genommen, dass Sexarbeit Arbeit sei. Dabei wird völlig ausgeblendet, dass es gerade unter diesen Bedingungen eine Abgrenzung nach unten unbedingt braucht, um wenigstens ein Fitzl der eigenen Würde zu bewahren: selbst als drogenabhängige Prostituierte klau ich wenigstens nicht, nicht so wie die Roma-Frauen. Selbst als Ungarin auf dem Straßenstrich bin ich doch nicht so weit abgestiegen wie die naiven Mädels mit ihren Loverboys, die ihnen jeden Abend das Geld abkassieren und sie verprügeln, wenn es zu wenig ist, und die das Glück nennen. Selbst als Prostituierte bin ich noch nicht ganz unten, weil ich schließlich nicht auf dem Straßenstrich stehe, sondern in einem Wohnungsbordell oder im Escort arbeite.

Wer das gute Leben, die Sonnenseite, nicht kennt, der hat für einige Dinge ein anderes Vokabular als Menschen, denen heftige Einschläge im Seelenleben erspart geblieben sind. Und er hat ein dringendes Bedürfnis, sich ein Stück eigener Würde zu bewahren, wenn ihm täglich auch an diesem letzten Fetzen noch was weggerissen wird. Das wird in diesem Kapitel mehr als deutlich.

Im nächsten Kapitel beschreibt Nora Bossong ihr Treffen mit einer Verwaltungsbeamtin der Dortmunder Gewerbeabteilung in der Stadtverwaltung. Sie sprechen über den „Hornbach-Strich“, den nach der WM größten Strassenstrich Europas, auf dem von 2007 – 2011 zeitgleich bis zu 500 Frauen anschafften. Nora Bossong schreibt: „Wer über die konkreten Bedingungen der Prostitution spricht, der betritt einen Unschärfebereich, an dessen Deutung sich nicht nur Feministinnen zerstreiten (…). Die damit verbundenen Probleme sind schlicht zu widersprüchlich für einfache Wahrheiten. Gesetze, Stimmungen und Meinungen prallen heftig aufeinander, während sich zugleich überall in Deutschland Frauen auf immer neue Weise weiter prostituieren.“ An dem genannten Straßenstrich lässt sich gut dieses ganze Dilemma erklären.

Zur WM hatte die Stadt Dortmund wegen der zu erwartenden Zunahme von Prostituierten extra Beratungscontainer und Verrichtungsboxen aufgebaut. Dann sprach sich nach der Osterweiterung herum, dass es hier einen bestens ausgestatteten Straßenstrich gäbe, und plötzlich fuhren Kleintransporter aus Stoliponovo, einer Stadt in Bulgarien, speziell aus dem dortigen Roma-Ghetto, massenweise junge Frauen auf den Dortmunder Strich, oft von ihren eigenen Familien geschickt, um Geld für die Familie zu verdienen. Die Verwaltungsbeamtin beschreibt den Strich: „Er war auch für jemanden, der Frauen in die Prostitution schicken wollte, ein verlockendes Angebot (…), ein zentraler, von uns Stadtangestellten bestens verwalteter Standort. Da konnte man die Frauen hinstellen und nach ein paar Stunden bequem herumgehen und nach ein paar Stunden herumgehen und das Geld abkassieren. Und wenn eine Frau kein Geld hatte, dann hat sie durchaus auch Gewalt erfahren.“ Die Gewalt gegen die Frauen nahm zu, immer öfter standen am Strich deutlich minderjährige Frauen. Im Freierforum hinterhornbach.de wurden die Frauen von den Freier bewertet, Nora Bossong schreibt: „Wie in vielen anderen höchst professionell von Freiern verwalteten und vollgeschriebenen Foren wurden auch hier die Prostituierten wie irgendein Artikel von Amazon bewertet, nur mit weniger Wertschätzung und ohne die emotionale Anteilnahme, die man einem neu erworbenen Akkubohrer oder Werkzeugkasten entgegenbringt (…).“

Mittlerweile existiert eine Sperrbezirksverordnung und die Anzahl der Prostituierten, die auf der Dortmunder Straße anschaffen, beläuft sich auf 30 Frauen (meist drogenabhängig und deutsch). Man agiert jetzt dem Nordischen Modell ähnlich, Bußgeldbescheide wenden sich per Post nach Hause (!) an die Freier. Was hier im Kleinen ersichtlich ist, am konkreten Fall des Dortmunder Straßenstrichs, lässt sich durchaus in größeren Dimensionen denken. Wenn also Prostitution legalisiert ist, als eine Gewerbe wie jedes andere auch behandelt wird (wobei die Frauen natürlich alle unternehmerischen Risiken tragen und sich zwangsweise selbstständig machen müssen, statt es wirklich zu sein), wenn alles „nett eingerichtet“, verwaltet, reguliert, regelbar ist, wenn Freier nichts zu fürchten haben, dann steigt die Nachfrage, dann steigt das Angebot (inkl. Zunahme von Gewalt, Zwangsprostitution, Handel mit Minderjährigen). Denn die Frauen, die da auf dem Strich gestanden haben, die sind ja von ihren Familien geschickt worden, und wenn der Platz, der Raum, die bestens verwaltete Prostitutionsstätte nicht gewesen wäre, hätten sie vielleicht auf die Erfahrung der Prostitution verzichten können. Das ist ein wichtiger Punkt, denn Prostitution ist von Zwangsprostitution nicht klar zu trennen. Es ist immer ein Mischmasch, und gibt es mehr Prostitution, existiert auch mehr Zwangsprostitution, wer das eine will, muss das andere mögen. Kriminalisiert man hingegen die Freier, werden es weniger Freier und weniger Prostituierte, es findet weniger Prostitution statt und damit auch weniger Zwangsprostitution. Dass die Frauen, die noch in Dortmund auf der Straße anschaffen, durch diese Art der Regulierung ebenso Probleme im Vorschriftendschungel haben, wenn auch weniger als die Freier, bezweifle ich nicht. Das Nordische Modell ist nicht der Heilige Gral, aber es ist das Beste was wir kriegen können, vor allem aber: das einzige Modell, mit dem ein gesellschaftlicher Wandel herbeigeführt werden kann, der letztlich zu weniger Gewalt gegen Frauen führt. Zudem beinhaltet das Nordische Modell konkret für die Frauen nicht nur Nachteile, sondern vor allem viele Vorteile (Ausstiegshilfen, die Macht liegt bei der Prostituierten, die den Freier jederzeit anzeigen könnte, nicht mehr andersherum, höhere Preise usw.).

Im nächsten Kapitel beschreibt Nora Bossong unser Telefongespräch, in dem es um die Liberalisierung, das Nordische Modell, das Prostituiertenschutzgesetz, um Gefühle beim anschaffen, Solidarität unter Prostituierten und Machtgefälle in der Prostitution ging und beschreibt ihre Gedanken: „Aber ein Verbot würde nichts besser machen, das habe ich am Anfang meiner Reise gedacht“ und kommt zu dem Schluss, dass der liberale Handelsgedanke eben nicht zählt in diesem Fall, weil die Frau ja selbst die Ware ist, und diese „kann man nicht legalisieren, sie hat weder Rechte noch Souveränität“. Wir haben auch darüber gesprochen, was für Gründe es für Ehefrauen und Partnerinnen gibt eben nicht hinzusehen, was ihre Männer mit anderen Frauen machen, und was Männer veranlasst zu glauben, sie hätten ein Recht auf Sex bzw. darauf, dass sich jemand zur Verfügung stellt der mitmacht.

Im größten Laufhaus Hamburgs, dem Pink Palace, lernt Nora Bossong den Securitymann Arthur kennen, schwankt zwischen dem Entsetzen über die Geld-zurück-Garantie und der Tatsache, dass die Frauen in denselben Betten schlafen müssen in denen sie arbeiten, hat den Verdacht, Arthur könne Handlanger der Ausbeutung sein und trotzdem spontane Sympathien und besichtigt das Laufhaus mitsamt seinen Freiern. Sie hat Kontakt mit den Frauen und sinniert über sie (während gleichzeitig ein Freier einer Prostituierten ganze 25 Euro für Geschlechtsverkehr anbietet). Im nächsten Kapitel trifft Nora Bossong Joanna, eine Sozialarbeiterin von Hydra, die ihre Sicht der Dinge schildert und auch die Zunahme der Gewalttätigkeiten durch Freier bestätigt. Nora Bossong schlussfolgert, das „du musst, ich darf“ krieche aus der Prostitution zurück in die Gesellschaft als verinnerlichte Haltung von Männern Frauen gegenüber. Außerdem besucht sie mit Freund ein Wohnungsbordell und geht mit einer Prostituierten eine Stunde lang aufs Zimmer, was dort passiert ist, wird nicht beschrieben. (Vermutlich ist da rein gar nichts passiert, aber der Verlag braucht anscheinend ein bisschen Nebelmaschine für die Projektionsfläche derjenigen LeserInnen, die sich hier was anderes erhofft hatten als eine kritische Beschreibung des Milieus.)

Erste Lichter“ heißt das Schlusskapitel, in dem Nora Bossong so treffend schreibt, dass wir unser Begehren nicht aus uns selbst generieren, sondern dass es auch immer mit der Ordnung um uns herum zu tun hat. Sie trifft zwei Freier, die von einer Sexparty mit Prostituierten kommen, und sie befragt sie und stellt fest, dass Sex und Sexkonsum nicht dasselbe ist. Sie schreibt in einer Art Resüme: „Doch je weiter ich ging, je mehr Menschen ich traf und sprach, desto mehr verging mir das Lachen. (…). Immer wieder hatte ich im vergangenen Jahr das Gefühl, auf Ruinen zu stoßen: auf niedergerissene Mauern, die nur noch unzureichend einen Kern bewahrten, der einmal die Würde von jemandem gewesen war. Wenn diese abhanden kommt, dann geht nicht nur im Einzelnen, sondern über ihn hinaus etwas verloren, nämlich das Verständnis dafür, was überhaupt ein Gegenüber ist (…). Freiheit ist das Recht darauf, man selbst sein zu dürfen, ohne einen anderen in seiner Integrität zu verletzen und seinen Wert herunterzuhandeln.“

Fazit: eine unglaublich wichtige Recherche

„Rotlicht“ ist ein faszinierendes Buch, eine starke Auseinandersetzung mit dem, was im Porno- und Prostitutionsmilieu stattfindet. Ganz besonders hervorzuheben ist die Tatsache, dass Nora Bossong mit uns Betroffenen gesprochen hat und dass wir alle respektvoll beschrieben werden, alle ernstgenommen werden, auch wenn wir inhaltlich verschiedene Positionen haben und unterschiedliche Aussagen getroffen haben. Trotzdem kommt Nora Bossong zu dem Schluss, nach einem Jahr Recherche genug gesehen und gehört zu haben um ihre anfängliche Haltung zur Prostitution – es müsse nur alles legalisiert werden und schon würde sich alles richten – zu ändern. Die Schlussfolgerungen, die sie daraus zieht, stehen noch auf wackligen Füßen: so wird zwar klar, dass Prostitution frauenverachtend und menschenunwürdig ist und die Verhältnisse nicht einfach umgedreht oder verbessert werden können, indem auch Frauen Sex kaufen, aber die konsequenteste Schlussfolgerung, Prostitution zu verbieten und Freier zu bestrafen, erfolgt nicht. Das Buch ist jedoch auch kein politisches Manifest und hat nicht den Anspruch Analysen und Lösungsansätze zu diskutieren und vorzustellen.

Es ist eine bereichernde Beschreibung dessen, was täglich hunderttausendfach unter unseren Augen und doch verborgen stattfindet, es gewährt tiefe Einblicke, detailreiche Schilderungen und es ist eine innere Auseinandersetzung mit dem für uns, für alle Frauen so wichtigen Thema, in der die Autorin sich einer Konfrontation mit den eigenen Ängsten, Zweifeln, Vorstellungen und Bildern nicht scheut. Von mir gibt es eine ganz klare Leseempfehlung: jede, die noch nie selbst im Milieu unterwegs war, wird aus der Lektüre einen Gewinn ziehen. Und davon mal abgesehen, sind viele kluge Gedanken in diesem Buch in einer so herrlichen, großen Sprache geschrieben (ich habe mich zwischendurch gefragt, ob sich überhaupt ein Wort in dem Buch wiederholt hat?), dass man den ein oder anderen Satz am liebsten rausschneiden und an die Wand hängen möchte. „Rotlicht“ ist ein wichtiges Buch, ein gutes Buch, und ich wünsche ihm, dass es etwas bewegt.

© Huschke Mau, März 2017.