Willkommen in Katzachstan – Eine Liebeserklärung an mein Katerchen

     

    Liebstes Katerchen! Heute hast Du Geburtstag. Und weil Du schon alles hast, dachte ich mir, ich schreibe Dir einen Text. Aber sicherheitshalber gibt’s danach natürlich noch ein Extraschmus mit vielen leckeren Nommies.

    Vor 13 Jahren bist Du zu mir gekommen, zu einer Zeit, als es mir wahnsinnig dreckig ging. Ich war mit 17 von Zuhause weggelaufen, durch das soziale Netz gefallen und im Bordell gelandet. Ich nahm Drogen, um das durchzustehen, ich hab sehr doll getrunken. Ich hatte kein richtiges Zuhause, weil ich gerade frisch von dem Mann, der mich in die Prostitution eingeführt hatte, getrennt war und nun nach einer Zeit in Hotels bei einem merkwürdigen Freund der Puffmutter wohnte. Ich hatte keine sozialen Kontakte außerhalb des Puffs, zu meinen Eltern seit ich wegelaufen war eh nicht mehr. Ich war eine von den Prostituierten, bei denen nicht mal auffällt, wenn sie verschwinden. Weil keine(r) nachfragt oder überhaupt bemerkt, dass sie verschwunden sind. Ich war die wandelnde Selbstverletzung und so suizidal, dass ich mich nicht mal mehr umbringen konnte, weil ich dazu keine Kraft mehr hatte. Ich hab einfach gewartet, dass mich eines Tages mal eine Überdosis erwischt, ein Auto überfährt oder ein Freier „wegschafft“.

    Und dann kamst Du. In dem Puff, in dem ich gerade war, gab es eine Bordellchefin. Deren Sohn hatte einen Klassenkameraden, und dessen Katze hatte gerade Junge. Die galt es zu verteilen, also brachte der Sohn der Puffmutter eine Miezi mit heim: Dich. Aber die Puffmutter wollte Dich nicht, sie hatte Angst um ihr teures Ledersofa. Also schleppte sie Dich mit in den Puff und hielt Dich mir vor die Nase mit der Frage: „Willste den haben?“ Und ich hab Dich gesehen, kleines oranges Fellknäuel das Du warst, mit Deinen damals noch klatschblauen Glubschguggln, und ich wusste sofort, wie Du heisst und auch, dass Du zu mir gehörst. Gar keine Frage. (Und ich hab sofort geflennt, so gerührt war ich über Dich.) So haben wir uns das erste Mal gesehen.

    Und am nächsten Tag durftest Du zu mir kommen, ich habe in der Wohnung, die wir uns mit dem Freund der Puffmutter teilten, alles katzensicher gemacht. Das war auch nötig, weil Du noch so klein warst. Du konntest nicht mal richtig laufen und bist immer auf Deinen kleinen Plüschpo geplumpst. Dich selber putzen, das ging auch noch nicht, also hab ich Dich immer abgeleckt, und Du hast es dann ganz schnell begriffen. Nur die Nase, da hab ich vergessen Dir zu zeigen wie das geht, deswegen muss ich die Dir bis heute putzen. Du warst so klitzeklein, und ich hatte damals schon wahnsinnige Angst um Dich. Ich wusste nicht richtig, wie das geht mit Katzen, also hab ich mit Dir ausgemacht, dass Du mir einfach zeigst, wenn Du was brauchst oder möchtest. Das funktioniert bis heute hervorragend und natürlich auch nachts um drei. Weil Du noch so klein warst, hatte ich Angst Dich alleine zu lassen. Also hab ich den größten, flauschigsten Pullover genommen den ich hatte und hab Dir daraus ein Nest gebaut. So eingemuschelt in den Pulli konnte ich Dich überall mit hin nehmen, die erste Zeit auch ins Bordell, zum einkaufen oder zum Zigaretten holen an die Tanke. Ich hab Dich in meinen Armen rumgetragen und Du hast mit großen Augen die Welt angeschaut oder geschlafen, und wenn Du nicht schlafen konntest, hab ich Dir „Here comes the rain again“ von den Eurythmics vorgesungen und zack, warst Du im Schlummerland. Aber irgendwann wurde aus dem kleinen orangen Knäuel mit den blitzblauen Guggln ein junger Kater, der aussieht wie Karamelleis mit Sahne, und der Bernsteinaugen hat, und ab da wolltest Du dann lieber selber laufen. Also musste ich Dich Zuhause lassen, und der Blick, den Du mir aus dem Erker auf die Straße zugeworfen hast dabei, der hat mir schweres Herzgebreche verschafft. Wenn ich nachts aus dem Puff kam, so gegen um 2 oder um 3 oder noch später, hab ich Dich deswegen an die Leine genommen und wir sind spazieren gegangen. Auf den Friedhöfen war es am ruhigsten. Aber wir haben auch klettern geübt, auf den Bäumen in der Stadt. Was die Menschen sich gedacht haben, wenn sie eine junge Frau vor einem Baum stehen sahen, nachts um 3, einen Strick festhaltend der in eine Baumkrone führt, während sie mit eben dieser redet, das will ich lieber gar nicht wissen. Auch beim Dönerverkäufer um die Ecke hast Du klettern gelernt, bis Du eines Tages zu schwer wurdest und die Plastepalme mitsamt Dir umkippte (und ein paar Tische unter sich begrub). Klettern kannst Du bis heute super, auch wenn Du anfangs noch Probleme damit hattest wieder runterzukommen und mir Herzinfarkte verursacht hast, weil ich Dich mal wieder an irgendwelchen Fenstersimsen oder Balkongeländern rumbalancieren sah. Später dann haben wir unsere eigene Wohnung bekommen, und in der wohnen wir jetzt seit fast 10 Jahren. Jetzt hast Du im Hinterhof Deine eigenen Bäume, und sehr gern sitzt Du auf dem höchsten, schon stark schwankenden Ast des Birnbaums, über Dir zwei kreischende Eichelhäher, und grinst Dir eins. Einmal bist Du vom Balkongeländer auf die Feuerleiter und von da auf den Balkon der Nachbarin gesprungen. Ich hatte Dich gesucht und plötzlich klingelte es: „Kannst du mal bitte rüberkommen, deine Katze sitzt auf meinem Couchtisch und bedroht meine Ratten.“ Als ich Dich da weggeholt habe warst Du nicht sehr belustigt darüber, dass ich nicht verstanden hab dass Du ZU TUN hast und nicht gestört zu werden wünschst, verdammich. Die Ratten bedrohen sich schließlich nicht von allein!

    Hier hast Du Deinen Hinterhof, und anfangs waren wir immer noch gemeinsam im Hof – bis Du eines Tages einen auf Abenteurer gemacht hast und über die Mauer gesprungen bist. Ab da gehörten Dir auch die anderen Hinterhöfe, und als es anfing mit regnen bist Du ja wiedergekommen. Und heute gehen wir manchmal zusammen durch die Hinterhöfe spazieren und Du zeigst mir, wo so Deine liebsten Rumlungerplätze sind.

    Du bist völlig antiautoritär erzogen worden. Du machst eigentlich fast nie was kaputt, und wenn, dann gehe ich davon aus, dass Du einen guten Grund dafür hast. Wie wenn Du mal in die Hosen machst – in meine, mein ich jetzt. Dann weiß ich, Du pinkelst lieber in Klamottenhaufen auf dem Boden, weil Deine Streu im Katzenklo Dir nicht passt. Ich änder das und gut ist, ich schimpfe nie mit Dir. (Und Du nur sehr selten mit mir.) Und Du bettelst nie. Dein Napf ist immer voll, deswegen musst Du Dich auch nie überfressen, und Du weisst: wenns was Gutes wäre, was die Katzenmutti isst, wäre es ja schon lange in Deinem Napf.  Was es manchmal gibt, das sind Starrwettbewerbe, wenn ich mal wieder vergessen hab, dass in der Küche ja noch eine volle 1,5 Kilo Packung Deiner Crispies liegt. Die natürlich geleert werden muss! Überhaupt bist Du ein Gourmet, Du liebst zum Beispiel Hühnchen mit Garnelen oder Thunfisch. Trotzdem gibt es für Dich eigentlich nur 2 Geschmacksrichtungen: „leggoh“ und „egglhaff“. Und wenn was „egglhaff“ ist, verweigerst Du das Essen. Komme was da wolle, und Deine Spaghetti hast Du am liebsten ungekocht und unter den Kühlschrank geworfen, damit Du sie in mühsamer Kleinarbeit wieder drunter hervorfischen und wegknabbern kannst: schrapps schrapps schrapps, Du kleiner Schlingmieps!

    Früh weckst Du mich, ich werde dann benassnasenstupst, und dann magst Du gern Deine erste Runde im Revier drehen, guggn ob alles seine Richtigkeit hat. Dann kommst Du wieder, es gibt Frühstück und einen Vormittagsschlaf (später dann folgen: der Mittags-, der Nachmittags-, der Vorabendschlaf). Du liegst gern auf dem Balkon im Sommer (dann bekommst Du immer Sommersprossen auf den Ohren) und in Deinem Badbett, das ich Dir auf dem Badschrank gebaut hab im Winter. In der Zeit dazwischen hängst Du auf Deiner Plüschplattform über der Heizung am Fenster rum. Das Fenster ist schon voller kleiner Nasenstüberabdrücke, die Du bei der Vogelobservation hinterlassen hast. Überhaupt hast Du in jedem Zimmer mindestens ein Körbchen, außer in der Küche. Hab ich schon erwähnt, dass ich massenweise Sitzkissen für Dich stricke?

    Es heisst ja, jede Katze hat 7 Leben, und einige davon hast Du wohl schon abgezählt, das heisst, wir müssen jetzt gut auf Dich aufpassen, Monsieur Mauz. Du warst zum Beispiel einmal über eine Woche lang in einem Sperrmüllkeller eingesperrt, ich habe in der Zwischenzeit das ganze Viertel mit Suchplakaten zugetackert. Einmal hab ich Dich gefunden, wie Du nur noch mit einer Kralle an der Regenrinne neben dem Balkon hingst und kurz davor warst, runterzuplumpsen (und wir wohnen im 2. Stock!). Und dann hattest Du ja auch mal über 2 Jahre lang diese komische Bauchkrankheit, immer wieder Durchfall, Rumgekotze und Bauchweh. In dieser Zeit bin ich fast durchgedreht vor Sorge, vor allem weil Du immer weiter abgenommen hast, nichts half – auch kein Cortison, von uns liebevoll „Kotzison“ genannt – und keine der Ärztinnen und Ärzte wusste, was Du da nun eigentlich hast. Ich hab irre viel Geld für alle möglichen Untersuchungen ausgegeben, die für Dich schlimmste war wohl der Ultraschall, weil Dir die Ärztin dafür eine Bauchglatze geschoren hat – dafür wurdest Du auf dem Hinterhof bestimmt ausgelacht. Ein klarer Verstoß gegen die Katzenwürde. Besser wurde es erst, als wir aufgehört haben auf die ÄrztInnen zu hören und Dein Futter umgestellt haben. Dich mit Kalbssteak zu päppeln hat auch was gebracht. Oh ja, und einmal warst Du böse, weil ich Dich nachts um 5 nicht rausgelassen habe und hast das Kabel der Nachttischlampe angeknabbert. Ich wurde geweckt von einem Lichtblitz und einem lauten Knall und dachte für einen Moment, die Aliens seien jetzt da, um uns zu holen… Seitdem haben alle Kabel in unserer Wohnung Marderschutz, den Du mit Todesignoranz strafst. Also, ich weiß nicht genau, wieviele Leben Du noch hast, aber jetzt ist hier mal Schluss mit Halligalli. Und Du darfst, genau wie ich, das Haus eh nur mit Amulett verlassen. (Das trägst Du immer stolz am Halsband. Manchmal klaut es Dir die Russenmiez.)

    Denn Du hast zwei Feinde: die Russenmiez, die Dich immer verkloppt – dann kommst Du heim, siehst ganz geschlagen aus und ich weiß, was ich sehe, sind nur die äußeren Wunden. Am Tag danach bist Du dann immer ganz gebrochen und traurig, aber schon am zweiten Tag nach der Schlacht häkelst Du wieder an Deiner Hasskappe. Bis dieses Monster Dir wieder einen BeinBiss verpasst, so dass Du an akuter Humpelitis leidest. Einmal mussten wir Dir sogar einen Zahn aus Deinem Plüschpo operieren lassen! 3 Wochen hattest Du Stubenarrest und das war für Dich genauso schrecklich wie für mich. Die Konzerte, die Du mir gegeben hast, haben sehr deutlich Dein Leid transportiert. Und dann dieser blöde Halskrausenlampenschirm. Der wurde auch nicht schöner davon, dass ihn Dir alle beschrieben haben mit „gute Besserung!“ und mit Herzchen. Du kamst schlecht mit ihm zurecht. Als ich einmal vom einkaufen kam, saßt Du in der Ecke wie die Menschen bei der Schlussszene von Blair Witch Project, und starrtest die Wand an, weil Du nicht wusstest, wie Du aus der Ecke wieder rauskommen solltest. Danke, Russenmiez! Naja, und Dein zweiter Feind ist der Tierarzt. Für mich ist es „der Ivan“, aber für Dich ist es natürlich „Ivan der Schreckliche“, der jedwede Forderung der Emiezipation wie „my body my choice“ oder „no means no“ ignoriert und Dir Blut abnimmt oder Dir Spritzen gibt. Da wirst Du dann zum ProtesTier! Ivan hat eben keine Miaunieren, sondern Angst vor Dir und Du hast Angst vor ihm, und meistens endet es damit, dass sich auf dem Untersuchungstisch das Blut von euch beiden mischt, während ich danebenstehe und alle zwei Minuten frage ob Du etwas schreckliches hast und sterben musst – das darfst Du nämisch ni. Und jedes Mal nach der Untersuchung muss Ivan sich bei Dir dafür entschuldigen, dass er Deine Gefühle verletzt hat. Was ich Dir nie gesagt habe: der Ivan würde gerne mal mit mir ausgehen. Aber das tu ich Dir natürlich nicht an, dass ich nach dem Rendezvous dann Deinen schlimmsten Folterer mit heimbring (ich seh Deinen Blick schon jetzt vor mir!). Allein der Weg zum Ivan ist für Dich immer ganz schlimm. In Deinem Korb sitzend versuchst Du unterwegs die Menschen darauf aufmerksam zu machen, dass Dich gerade eine Dir völlig fremde Frau entführt, aber die Menschen ignorieren Dein Leid und sagen bloß so Sachen wie: „Oar gugg ma, wie süß, die Katze fährt Fahrrad!“ – na danke auch. Ein klarer Fall für eine Meldung beim Katzenamt, oder?

    Deiner ersten Freundin hast Du immer Mäuse gebracht, ihr lagt dann im Hinterhof auf der Wiese, sie hat mit ihnen gespielt und Du saßt daneben und warst stolz wie Bolle und jederzeit bereit, ihr eine neue Maus zu bringen oder die alte wieder einzufangen, wenn sie ihr entwischte. Leider ist Deine kleine Freundin tot, weil sie überfahren wurde (und Du hast sie gefunden  – da warst Du lange traurig). Aber letzten Sonntag hast Du Deine neue Freundin mit heimgebracht – die Katzenklingel ging und ihr beide standet vor der Tür. Hättest Du mal vorher was gesagt! Ich hätte doch was gebacken! Jedenfalls, sie ist herzlich willkommen hier, sie kann jederzeit bei uns klingeln: Ja, bei uns. Du stehst natürlich mit am Klingelschild. Denn Du bekommst mehr Post als ich: während ich immer nur die Rechnungen kriege, bekommst Du Postkarten unserer FreundInnen und Bekannten, die, wenn sie auf Reisen sind, Dir berichten wie die Katzen in anderen Ländern so leben.

    Sonntags liegen wir gerne länger im Bett und spielen „Fußmaus“ – die Fußmaus kommt aus einem Tunnelmäusegang unter der Decke hervor und muss sofort eingefangen werden, was Du ausgezeichnet machst (aua!). Du schnupperst gern an offenen Flaschen, wenn ich was trinken will, ich hab nie verstanden, wieso. Wenn ich heimkomme, quillst Du schon aus der Tür, sobald ich sie öffne, und willst auf den Arm. Ich heb Dich dann hoch und wir tauschen ein Schmus gegen ein Schnurr, während Du mir das halbe Ohr abkaust. Wenn wir miteinander reden – „mau mau“ oder „mack mack“ – schauen wir einander in die Augen. Wenn ich Dich rufe, kommst Du sofort, es sei denn es ist eine dieser lauen Sommernächte und Du liegst noch irgendwo unter einem Busch und chillst. Dein Lieblingsspiel heißt „Börsti & Wörsti“ und geht so: ein Streichler mit der Schmusebörste (du liebst sie, ich habe sie für dich aus dem Puff mitgehen lassen, sie hat Wildschweinborsten, eigentlich nutzen wir sowas nicht) und darauf ein Würstchen. (Du liebst Würstchen. Wenn Du könntest, würdest Du sie schon zum Frühstück essen. Wie so ein Engländer. Ein kleiner Lord!) Und wie Du und ich Deinen ersten Schnee erlebt haben, werde ich nie vergessen. Völlig vergessen von der Welt standen wir im Erker und sahen in die von den Straßenlampen golden beleuchtete Schneefallwelt und die Zeit schien stillzustehen. Du konntest Dich gar nicht sattsehen, das war ein heiliger Moment, nur Du und ich auf der Welt – und der Schnee.

    Wir lieben uns sehr, und können nicht ohneeinander. Wenn ich mehr als einen Tag von Dir getrennt bin, krieg ich die Krise. Nach ein paar Stunden schon werde ich unruhig. Ich kann dann nachts nicht schlafen, weil zum einschlafen für mich gehört, dass Du neben mir liegst und ich Dir den Bauch kraule, bis einer von uns einpennt. Und wenn ich mich nachts umdreh, stehst Du auf und wanderst auf die Seite, auf der mein Gesicht ist und legst Dich dort wieder hin.

    Einmal, im Sommer, kamen Wahrsager zu uns und wollten mir was erzählen davon, wann ich heirate. Als ich sagte, dass mir das wurscht sei und sie mir lieber was über mein Katze erzählen sollten, teilten sie mir mit, die Katze sei schwanger. Ich hab mich sehr gefreut, aber warum hast Du mir nicht gesagt, dass Du schwanger bist, Katerchen? Und von wem eigentlich? Von diesem Urweib, der Russenmiez doch wohl hoffentlich nicht? Ich glaube wir müssen einen Katerschaftstest machen… Auf die Babys warte ich bis heute, aber Du rückst sie irgendwie nicht raus.

    Du machst gerne Sport. Oder, besser gesagt: Du bist gerne dabei, wenn ich Sport mache. Sobald ich die Yogamatte ausrolle, liegst Du drauf und zeigst mir, wer in der Position „ruhender Buddhakönig“ der Meister ist. Du liebst es, hochgenommen und auf der Schulter rumgetragen zu werden. Oder mich nachts um 3 zum „Mau Mau“ spielen aufzufordern (das ist nämlich gut für das KatzenKarma). Dass Sommer ist, merke ich immer daran, dass es plötzlich zwischen den Zähnen knirscht, wenn ich Dich küsse – weil Du mal wieder in irgendeinem Hinterhof eine Schmuhlekuhle gefunden und Dich drin gewälzt hast. Zu Silvester baue ich Dir immer Bunker, unterm Bett oder im Bad, und halte mit Dir Pfötchen, weil Du so eine Angst vor dem Feuerwerk hast. Um 12 gehen wir dann immer ins Bett und Du bleibst an mich geschmiegt unter der Bettdecke, bis gegen 4 Uhr das Schlimmste vorbei ist. Einmal war im Hinterhof um die Ecke eine Python ausgerissen und ich bin Dich nach der Polizeimeldung sofort suchen gegangen. Dich hab ich gefunden, und die Python wurde auch gefunden, es wurde vermeldet, sie sei satt und habe ein Kleintier gegessen, Gott sei Dank warst das nicht Du. (Du warst wahrscheinlich zu schlau. Obwohl, einmal bist Du mit Deinem Kopf in einem Joghurtbecher steckengeblieben…)

    Du kannst voll viel, Du bist ein Multitalent. Als ich gelernt habe auf Stelzen zu laufen, hast Du auf meiner Schulter gesessen und mich beruhigt. Na okay, und natürlich einen triumphierenden Blick ins Revier geworfen: so hoch hinaus wie Du sind die anderen Katzen nicht gekommen! Du kannst alles. Alle Kinder im Hinterhof lieben Dich total. (Du bekommst sogar regelmäßig Kinderbilder geschenkt!) Du schaffst es, dass sogar Offiziere und Polizisten vor Dir auf die Knie gehen und mit zitternder Stimme Sachen sagen wie: „Oh Gott, ich hoffe bloß ich habe die richtigen Katzenwürstchen mitgebracht…“ Du hast ziemlich viele Fans, aber Dein größter Fan bin ich. Ich habe Tassen, Wärmflaschenüberzüge, Lesezeichen und Schneekugeln mit Deinem Bild drauf. Und Dich. 🙂

    Aber Du bist nicht zu allen nett. Vor allem Männer magst Du oft nicht. Wenn ich dann doch mal Männerbesuch habe, wendest Du eine sehr clevere Taktik an: Du möchtest raus, sofort. Und tapst dann draußen im Regen rum, so dass ich garantiert keinen Spaß habe, sondern die ganze Zeit an Dich denken muss. Dann schmeiße ich den Mann raus und 5 Minuten später stehst Du wieder vor der Tür: „War was? Is schon okay. Hauptsache da liegt kein böser Mann mehr in UNSEREM Bett.“  Als ich vor Jahren mal einen festen Freund angeschleppt hab, warst Du so erbost, dass der in unserem Bett schläft (Und Du hast ja Recht, hallo, warum heisst es Doppelbett? Weil ZWEI drin schlafen! Du und ich!), dass Du ihm unters Kissen gekackt hast, so scheisse fandst Du das, dass er da ist. Ich hab so gelacht! Und ihn rausgeschmissen, als er Dich schimpfen wollte. Das darf der nämisch gorni. Und daran, dass er versucht hat mit Dir zu schimpfen sieht man mal wieder, warum Katzen wie Du Huhn mit Garnelen kriegen bei mir und Männer nur Wasser, trocken Brot und Vorwürfe. Überhaupt weisst Du wohl, wie man sich wehrt, Du hast ja sogar mal einem Pitbull auf die Nase gehauen, und selbst Geister schrecken Dich nicht. Wenn wir einen Gruselfilm geschaut haben, starrst Du sie todesmutig an, wenn sie wieder unsichtbar irgendwo in einer Ecke stehen, während ich vor Angst wie erstarrt im Bett liege und mich frage, was zur Hölle Du da bitte schauerliches treibst.

    Du liebst es, mit Minzbonbons Hockey zu spielen (und ja, ich kenne Deinen Bunker unter der Couch…). Ich kann mir nicht die Haare kämmen, ohne dass Du mauzend ins Bad kommst und auch einen schicken Scheitel haben willst. Weil Du weisst, dass ich nicht so gut im Jagen bin, bringst Du mir halbtote, blutende Spatzenbabys, aber auch Libellen und Schmetterlinge (über die freue ich mich mehr). Einmal hast Du mir einen blauen Wellensittich geschenkt, der war sogar noch heile. Anscheinend war er irgendwo entflogen und kam nicht klar draußen, da hast Du ihn weggeschnappt. Ich habe einen alten Meerschweinchenkäfig umgebaut und den Tierschutz informiert und gewartet, bis der dazugehörige Mensch sich meldet (und währenddessen musste ich Dich mehrmals daran erinnern: „Geschenkt ist geschenkt, wiederholen ist gestohlen!“), aber Wilhelmine ist dann auch von uns abgehauen. Schön blöd, ne? Da wird man schonmal von einer sehr sozialen Katze vor der Wildnis gerettet und dann das.

    Überhaupt muss bei Dir alles seine Ordnung haben. Du weisst genau, was es heisst, seine Pflicht zu tun. Wenn wir alte Folgen Akte X schauen und Du neben mir liegst, springst Du jedes Mal auf, wenn Fox Mulders Telefon klingelt, und wirst ganz aufgeregt. Für mich ein klares Zeichen dafür, dass Du denselben Arbeitgeber hast: das Feline Bureau of Investigation. Dafür spricht auch, dass Du im Hinterhof für Ordnung sorgst. Sobald der Mülltonnenmann kommt, wirst Du nervös: Du weisst nämlich genau, dass der die Tonnen nicht wieder genauso hinstellt wie sie vorher standen! Und überhaupt gehen im Hinterhof manchmal ungenehmigte Vorgänge vonnstatten. So wurde eines Tages, hinterhältig während Deines Mittagsschlafs, Dein Geschäftsbaum gefällt. Der Geschäftsbaum wurde von Dir schon seit Jahren, nun, genutzt, und war schon ganz nadellos und bis zu einer Höhe von 3 Metern verdörzelt und kahl. Und den haben sie einfach gefällt! Ich sehe noch die Verzweiflung in Deinen Augen. Jetzt düngst Du immer das Gemüsebeet, dass diese Iddis dort hingepflanzt haben. Immer dieselbe Stelle. Ordnung muss sein. Aber ein Abenteurer bist Du auch! Du warst sogar schon zwei Mal mit an der Ostsee. Tagsüber fandest Du das gut und bist mit mir über die Dünen und den Strand gelaufen. Aber nachts hast Du immer gejault, hattest Du Heimweh? Die Kühe fandst Du superinteressant, die Enten und Möwen waren Dir unheimlich (Vögel die fliegen UND schwimmen können?!) und das Pferd, das Dir ins Gesicht geprustet hat fandst Du gar nicht lustig (weil Du da noch keine Pferdesprache gesprochen hast und dachtest, der wilde Drache will Dich fressen!).

    Von Dir habe ich so viel gelernt. Ich komme aus einem Elternhaus, in dem ich nur berührt wurde, wenn es Schläge gab. Ich war in der Prostitution, wo jede Berührung Missbrauch war. Von Dir habe ich gelernt, Grenzen zu setzen, denn Du machst das auch, und zwar ganz selbstverständlich. Ich habe es mir von Dir abgeschaut. Ebenso habe ich durch Dich gelernt, was Bedürfnisse sind. Ich war durch all die Misshandlungen so von meinem Körper getrennt, dass ich mich nicht mehr gefühlt habe. Ich habe durch Dich gelernt, dass man essen muss, wenn man hungrig ist, und dass man schlafen darf, wenn man müde ist. Dass man sich tröstenlassen darf, wenn das Leben oder die Russenmiez einen verkloppt hat. Dass man schreckliche Dinge erst mal ausschlafen muss und dass es manchmal hilft, es sich gemütlich zu machen (wir nennen das „müdli machen“). Dass man DA SEIN darf, ohne sich zu entschuldigen oder zu bestrafen dafür. Dass es nicht normal ist, sich so zu quälen oder quälen zu lassen. Du zweifelst nie an Dir selbst. Du entschuldigst Dich nie. Du rechtfertigst Dich nie. Und Du hast nie ein schlechtes Gewissen. Gut mit sich umzugehen, Gelassenheit und Souveränität, das sind Dinge, die hast Du mir beigebracht. Durch Dich habe ich gelernt, auf jemanden einzugehen, und wie es ist, sanft und zärtlich zu jemandem zu sein – das konnte ich vorher nämlich gar nicht, es hatte mir nie jemand beigebracht. Weil Du da warst, hab ich auch in den schlimmsten Phasen immer durchgehalten und nie aufgegeben. Denn Du warst da, und Du hast einen Platz gebraucht, wo Du wohnen kannst. Du hast was zum Essen gebraucht. Und eine Umgebung ohne Gefahren, ohne Freier, Zuhälter oder andere böse Männer. Du hast eine giftlose Umgebung gebraucht, ohne betrunkene Menschen, ohne dass Drogen rumliegen oder ausgeschwitzt und dadurch auf Dich übertragen werden beim streicheln. All das, all die Entzüge, das Beschaffen der besten Wohnung der Welt mitsamt bestem Hinterhof der Welt, das Kappen der Kontakte zu toxischen Personen, das Vermeiden von selbstverletzendem Verhalten, das Studium, das Schreiben, den Ausstieg aus der Prostitution, all das habe ich wegen Dir gekonnt, Schritt für Schritt für Schritt. Du warst immer für mich da und hast mich nie alleingelassen, selbst als ich der einsamste Mensch auf der Welt war und es nicht mal aufgefallen wäre, wenn ich verschwunden wär. Und auch, dass ich jetzt darüber sprechen kann was mir passiert ist, hat mit Dir zu tun. Du hast mir sogar dabei geholfen ein Pseudonym zu finden unter dem ich berichten kann: Wir saßen auf der Couch und ich hab gesagt, „Huschke ist doch ein schöner Name, aber wir brauchen einen Nachnamen, fällt Dir einer ein?“ und Du sagtest: „Mau“ und damit war die Sache klar. Dadurch, dass ich mich um Dich gekümmert habe, habe ich gelernt, mich um mich selbst zu kümmern und konnte aufholen, was an mir als Kind und als junge Erwachsene versäumt worden ist und teilweise ausbügeln, was mir angetan wurde.

     

    Was ich Dir damit sagen will: Du bist mein Katzenkind und mein bester Freund. Und Du hast mir das Leben gerettet. So ganz nebenbei. Und ich danke Dir dafür wie verrückt.

    Das größte für mich ist Dein Schnurr, denn das Schnurr ist das Brot der Katzenmutti. Und wenn Du zurückzwinkerst, macht mich das sehr glücklich.

    Also, Katerchen, alles Gute zum Geburtstag! Heute vor 13 Jahren hast Du mein Leben verändert, und ich auch Deins – denn wenn wir uns nicht getroffen hätten, säßen wir wohl beide noch im Puff, wahrscheinlich in unterschiedlichen. Oder wären gar nicht mehr da.

    So, und hole ich Dir ein Nommie und drucke Dir den Text hier aus: ich hoffe er gefällt Dir und man kann gut drauf sitzen. 🙂 Auf die nächsten 13 Jahre – darauf eine eidespfotliche Versicherung – und ein dickes Kussi!

     

    Deine Dich heftig liebende Katzenmami

     

    © Huschke Mau, Juni 2017