In letzter Zeit häufen sich mal wieder die Artikel über Escorts und
Edelprostituierte, und ihnen gemein ist der Tenor: das ist doch was ganz
anderes als Prostitution, also muss es auch anders behandelt werden!
Aber ist das wirklich so?
Ich war auch im Escort, nachdem ich in 2 Wohnungsbordellen gewesen war.
Das bedeutet konkret: Haus- und Hotelbesuche, und auch mal essen gehen,
oder Theater usw – und danach halt ins Hotel.
Ja, es ist etwas
anderes, als im Bordell zu sitzen und 10 Stunden lang rumzuhocken, sich
einem Freier nach dem anderen vorzustellen und ihn abzufertigen (oder
halt mit Leerlauf und Langeweile klarzukommen).
Im Prinzip verstehe ich aber die Medien nicht, wenn sie behaupten, das sei etwas grundlegend anderes. Warum sollte es das sein?
Im untenstehenden Artikel wird eine Escortdame interviewt, und auch
wenn der / die InterviewerIn zu dem Schluss kommt, das sei ja etwas ganz
anderes als Prostitution, erzählt sie doch eigentlich, dass es dasselbe
ist.
Macht es einen Unterschied, ob die Prostitution in
„Luxusrestaurants, Fünfsternehotels und Opernhäusern“ stattfindet oder
auf dem Strassenstrich?
Einerseits ganz sicher, denn es gibt mehr
Geld. Dafür ist es aber auch so, dass eine Arbeit hinzukommt, die bei
der 10-Minuten-Nummer auf dem Strich nicht verlangt wird: die
emotionale. Auch für ein Escorttreffen muss man – und davon berichtet
diese Frau auch – in eine andere Rolle schlüpfen, um das ICH zu
schützen. Zunächst macht man sich fertig für den male gaze, den
männlichen Blick: das heisst, stundenlang am eigenen Körper zu werkeln,
bis der so ausschaut, dass er begehrenswert und konsumierbar für den
Mann erscheint. Da beginnt es, das sich-verbiegen, das
in-eine-Rolle-schlüpfen, das jemand-anders-werden.
Habt ihr euch mal gefragt, warum wir Frauen aus der Prostitution uns einen anderen Namen geben, wenn wir anschaffen gehen? Das ist nicht nur, um uns vor dem Erkanntwerden, dem Stigma und potentiell sehr anhänglichen Freiern zu schützen, die versuchen, etwas über uns rauszukriegen. Es ist auch, weil wir Theater spielen: Du hast einen anderen Namen, Du trägst andere Klamotten, Du verhältst Dich so, wie Du denkst, dass der Freier es wünscht – nicht so, wie Du eigentlich bist. Es ist wie im Theater, und es nennt sich: Dissoziation. Es ist ein Mittel und eine Strategie, Distanz zu schaffen zwischen mir und einem Ereignis, das ich eigentlich nicht erleben will, nämlich dass ich jemandem, dem ich eigentlich nicht nahekommen will, sexuelle Befriedigung verschaffen werde.
Und wenn es mir nachher nicht gut geht damit, weil es eben potentiell traumatisierend ist, mit jemandem zu schlafen, mit dem man nicht schlafen will, dann kann ich sagen: das ist ja gar nicht mir passiert, das ist der Frau passiert, die ich gespielt habe. Es ist die Rolle, die Figur, der das geschehen ist, aber ich bin heile geblieben, weil ich mich ganz tief in mir verkrochen habe, so, dass mich nicht trifft, was da passiert. Manche Frauen können dissoziieren, weil sie vorher schon sexuelle Gewalterfahrungen gemacht und gelernt haben, sich bei erneutem Missbrauch vom Körper zu trennen. Manche Frauen lernen es in der Prostitution, manche können es irgendwann nicht mehr und brauchen Drogen und Alkohol dazu. Ich habe mir manchmal vorgestellt, dass wir gefilmt werden und ich das hier alles bloss für eine Kamera spiele, dass es gar nicht wirklich passiert, sondern nur gedreht wird, geschauspielert wird. Das hat mir geholfen, meinem Impuls, auf den sexuellen Missbrauch zu reagieren, nicht nachzugeben (indem ich zum Beispiel: das Gesicht verziehe, weine oder die Flucht ergreife), sondern den Freier, der an mir sexuelle Handlungen vornimmt, die ich eigentlich nicht vornehmen will, auch noch anzulächeln.
Fest steht: Dissoziation ist ein Skill, das dabei hilft, Vergewaltigungen und Traumata zu überleben. Welcher Job hat sowas bitte in der Jobbeschreibung? Was in den Medien oft als ach so spannendes „Doppelleben“ beschrieben wird, als prickelndes „Ich schlüpfe gern in neue Rollen“ und als „es ist so aufregend, ich werde jemand anderes und probiere mich sexuell aus“ ist Dissoziation und sonst nichts.
Das ist, was Escort und Edelprostitution mit jeder anderen Art der Prostitution gemein haben. Nur, dass es eben nicht mehr reicht, die Dissoziation auf den rein sexuellen Akt zu beschränken, sondern dass der Kunde eben vorher noch anderes will: emotionale Arbeit. Reden. (Und ich muss den Part im Gespräch einnehmen, den er sich wünscht: die Zustimmerin, die Freche, die hart zu knackende Nuss, die Bewundererin.) Und: so tun, als wäre er sowas von begehrenswert. Und das kostet oft richtig doll Mühe und ist eigentlich nichts anderes als eine permanente Verleugnung des Selbst, der eigenen Impulse (Ekel z.B. oder Langeweile), des eigenen Ichs. Und das schadet auf Dauer halt auch.
Ich kenne Frauen, die irgendwann
nicht mehr damit klarkamen, von ihren Freiern vollgelabert zu werden,
weil sie das als anstrengender empfunden haben, als eine Nummer nach der
anderen zu schieben, bei der sie weder quatschen noch zuhören müssen
noch ewig so tun, als fänden sie das hier geil.
Im Escort geht es
auch nicht darum, sich sexuell auszutoben. Zumindest nicht für die Frau.
Auch hier ist alles auf den Mann ausgerichtet: wie gefalle ich ihm,
welche Rolle soll ich für ihn spielen, was möchte er, was gefällt ihm?
Und es mag Gäste geben, die sagen: „Ich will, dass es dir auch gefällt.“
Dahinter steht aber eigentlich: ich will nicht nur, dass du deine Rolle
spielst und mir Befriedigung verschaffst, ich will, dass du auch noch
so richtig authentisch vorspielst, du fändest das hier geil und
aussergewöhnlich, und: ich will ein Stück echtes Ich von dir, ich will
mehr von dir als die Rolle. Und das ist eigentlich nur eins:
vereinnahmend – und anstrengend.
Wenn ihr das nächste Mal in den Medien lest, Luxusprostitution oder Escort sei ja so was anderes als Prostitution: fallt nicht drauf rein. Was uns als „prickelndes Doppelleben“ verkauft wird, ist eine Überlebensstrategie, die uns von anderen Missbrauchsopfern bekannt ist.
Wenn ihr demnächst wieder
im Restaurant sitzt, schaut doch mal nach links oder rechts: ja, genau,
der Typ da. Könnt ihr euch vorstellen, mit dem jetzt 3 Stunden essen und
ins Theater zu gehen, ohne ihn merken zu lassen, dass er euch anekelt,
langweilt, zuwider ist oder dass seine Meinung zu verschiedenen Dingen
der euren diametral entgegensteht? Könnt ihr euch vorstellen, danach mit
ihm ins Bett zu gehen, ohne ihn spüren zu lassen, dass euch das nicht
gefällt? Nein?
Tja.
Dann ist Escort wohl doch nichts anderes als der übliche sexuelle Missbrauch, der in der Prostitution stattfindet.
Trust your guts!