Guten Morgen. Heute Nacht hat mir eine Vertreterin der Pro-Prostitutionslobby auf Twitter geschrieben: “Du arbeitest an Deiner eigenen Überflüssigkeit mit”, und normalerweise antworte ich nicht auf so einen Schmarrn, aber als ich vorhin im Bad stand und mir nach einer wegen Schlafstörungen durchwachten Nacht ein Gesicht und vor allem ein paar Augen gemalt habe, damit es wenigstens so aussieht, als wäre ich wach, hatte ich dann doch ein paar Gedanken dazu. Und diese möchte ich gerne mit euch teilen.
Zunächst: Ja, ich bin für das Nordische Modell, ich bin dafür, Prostitution abzuschaffen. Sex, der aus Geldknappheit und nicht aus Lust geschieht, finde ich scheiße, und Prostitution ist ein Mittel, Frauen zu unterdrücken. Und absolut will ich das abschaffen. Aber ich weiß auch: das Nordische Modell muss kritisch begleitet werden in seiner Umsetzung. Dafür müssen und werden wir Aktivistinnen auch nach seiner Einführung Sorge tragen.
Und nun zur “Überflüssigkeit”: Ich glaube nicht, dass es “überflüssige Menschen” gibt. Es wundert mich aber nicht, dass so eine menschenverachtende Aussage von jemandem kommt, der die menschenverachtende Institution Prostitution für gut hält. Also reden wir lieber mal von “überflüssigem Aktivismus” und tun so, als hätten wir das mit den überflüssigen Menschen überhört.
Arbeite ich mit meinem eigenen Aktivismus an der Überflüssigkeit desselben mit? Absolut! Und ich kann mir wenig schöneres vorstellen, als dass mein Aktivismus endlich unnötig und nicht mehr gebraucht wäre: weil es keine Prostitution mehr gibt, weil es keine Frauen gibt, die anschaffen müssen, sich missbrauchen lassen müssen für Geld, weil es keine Männer mehr gibt, die Frauen kaufen und sie sexuell ausbeuten, wohl wissend, dass sie den Sex gar nicht wollen. Es ist ein Wunsch, ein Traum und eine Vision von mir, dass Frauen frei sein dürfen, nicht ficken müssen, um zu überleben, dass sie geachtet und geschätzt sind, dass der Sex, der stattfindet, lustvoll und von beiden gewollt ist, und dass Männer aufhören, mit Frauen zu schlafen, von denen sie nicht wissen, ob sie dazu gezwungen werden.
Wenn mein Aktivismus überflüssig wäre, endlich, dann könnte ich mich in mein Holzhäuschen in Brandenburg zurückziehen, dem schönsten Fleck dieser Erde. Ich könnte mich ein bisschen gruseln, wenn es abends darin knarren und ächzen würde, und mich fragen, ob es spukt. Ich dürfte endlich weitere Bücher unter meinem Klarnamen und unter anderen Pseudonymen veröffentlichen, die nichts mit Prostitution zu tun haben, noch mehr Bücher schreiben, Bücher Bücher Bücher. Ich würde meine Hände in tiefe Ackererde auf den Stoppelfeldern graben und dankbar sein für jedes Krümel Sand, dass ich aus meinen Schuhen klopfen muss. Ich würde Esel streicheln und meinen Katzenbebies zuschauen, wie sie im Garten Schmetterlinge jagen. Und auf dem warmen Gras sitzen, an Spätsommerabenden, den Grillen beim zirpen zuhören, und die Hitze des Tages riechen und einatmen, während die Sonne schräg steht und die Wegeplatten zwischen den Felder diesen unnachahmlichen DDR-Beton-bei-großer-Hitze-Geruch ausströmen, der nach ewigen Sommerferien schmeckt.
Ja, wenn mein Aktivismus überflüssig wäre, das wäre unfassbar schön. Und dann hätte man auch endlich mal mehr als 2 Tage im Monat frei.
Aber.
An etwas so wichtigem wie der Abschaffung der Prostitution mitzuarbeiten ist auch ein Privileg. Jeder Aktivist und jede Aktivistin, der oder die daran festhält, für die Abschaffung von Missständen, Unterdrückung und Gewalt mitzuarbeiten, hofft und arbeitet darauf hin, dass ihr und sein Aktivismus eines Tages nicht mehr gebraucht wird: weil Menschen keine Tiere mehr quälen, Männer keine Frauen mehr vergewaltigen, Menschen nicht mehr rassistisch diskriminiert werden und wir endlich aufhören so zu tun, als wären die Ressourcen dieser Erde unendlich.
Und in diesem Sinne fühle ich mich verbunden mit allen AktivistInnen dieser Welt, die so hart dafür schuften, dass sie nicht mehr tun müssen, was sie tun. Mein Herz ist weit für euch, und ich wünsche euch euer eigenes kleines Brandenburg. Mit Sonne und Regen und Zufällen, die keine sind, und mit himmlischen Zeichen und viel, viel Ladestationen für euer Herz und eure Seele und eure Kraft. Und ich wünsche euch, dass ihr alle immer einen Akku dabei habt, falls eure Energie mal wieder gen Nulllinie tendiert, weil ihr erschöpft seid.
Kudos, Kudos, Kudos.
Möge das, was wir tun, nicht mehr gebraucht werden!