Immer wieder höre ich davon, dass Frauen, die sich von ihren schlagenden (Ehe-)Männern trennen, dazu verpflichtet sind, diesen weiterhin die Kinder zu Besuch zu schicken, weil das Jugendamt der Meinung ist “Nur weil er Sie geschlagen hat, ist er ja kein schlechter Vater, und dem Kind hat er ja schließlich nichts getan”!”
Deswegen möchte ich heute darüber sprechen, was es mit Kindern macht, die sogenannte “häusliche Gewalt” mitzuerleben.
Ich rede hier gar nicht von Kindesmisshandlung und -missbrauch. Beides habe ich auch erlebt. Aber in diesem Text soll es nur darum gehen, was es in Kindern auslöst, mitzubekommen, dass Väter Mütter schlagen. Und immerhin jede 4. Frau ist davon betroffen – und damit auch, wenn sie welche hat, ihre Kinder.
Das auf dem Foto, das bin ich. Wie man sieht, bin ich da noch ganz klein (und habe mich gerade mit Schokoladenpudding vollgeschmiert, was ich anscheinend lustig finde). Aber ich erinnere mich, damals schon Gewalt mitbekommen zu haben. Im Kinderbett zu liegen, Schreie zu hören, Gerumpel, schwere Schritte, Klatschen, Poltern und dumpfe Schläge.
Zu Beginn habe ich nicht verstanden, was das ist. Aber es hat mir Angst gemacht, Todesangst. Wie eingefroren lag ich da, und manchmal habe ich vor Angst ins Bett gemacht. Was genau da geschieht, war mir nicht klar, nur, dass es etwas sehr, sehr bedrohliches ist.
Später ist mir dann klargeworden, was da geschieht.
Was passiert mit Kindern, die mitbekommen, dass Väter gewalttätig gegen die Mütter sind?
Das erste: Kinder bekommen das IMMER mit. Gewalt in der Familie erzeugt eine bestimmte Atmosphäre. Ich wusste jedes Mal, wenn mein Stiefvater zugeschlagen hatte, selbst, wenn ich erst einige Zeit danach nach Hause kam. Es war die Atmosphäre, die veränderte Stimmung, man konnte es förmlich riechen.
Das zweite: diese Anspannung, wann es wieder passiert, sie frisst sich in Kinder hinein. Da schwer vorauszusagen ist, wann wieder zugeschlagen werden wird, erwächst in Kindern eine ängstliche Erwartungshaltung, ein: „jederzeit könnte die Katastrophe wieder geschehen“ – und das führt zu dem Bewusstsein, niemals sicher zu sein, immer angespannt zu sein, nie entspannt zu sein, immer mit dem Schlimmsten rechnen zu müssen. Und das ist eine Art von psychischem Terror.
Drittens: Die Hilflosigkeit, die Kinder verspüren, wenn die Gewaltausbrüche geschehen, sind enorm. Und Ohnmacht zu erleben, während man ZeugIn von massiver Gewalt ist, das ist einer der Faktoren, die zu einer Posttraumatischen Belastungsreaktion führen können. Zu klein zu sein, um sich einzumischen, und so schlimme Dinge zu sehen, das initiiert in Kindern ein Weltbild, in dem diese quasi keine Selbstwirksamkeit haben. Sie lernen von vornherein: du bist der Welt ausgeliefert. Schlimme Dinge können geschehen und werden geschehen, und du kannst nichts dagegen tun! Kinder, die sowas miterlebt haben, suchen sich später keine Hilfe, wenn sie sie bräuchten. Sie wissen, dass keine kommt.
Viertens: Viele Kinder, und so war es auch bei mir, übernehmen irgendwann Verantwortung, wo sie gar keine Verantwortung haben. Sie lernen, dazwischenzugehen. Auch ich bin darauf konditioniert, sofort und ohne Rücksicht auf meine eigene Sicherheit dazwischenzugehen, wenn ich irgendwo Gewalttätigkeiten sehe. Ich weiß noch, wie ich abends oft im Bett lag und angespannt auf jedes Geräusch aus dem Wohnzimmer lauschte: war es schon soweit? Wann wurde das Poltern so deutlich, dass es auf beginnende Prügel hinwies? Die schweren Schritte, fängt die Gewaltorgie jetzt an? Und dann sprang ich auf, ging dazwischen und spielte „Blitzableiter“ –bekam stattdessen alles ab und wurde richtig übel verdroschen, manchmal so sehr, dass ich Blackouts hatte und mich danach an nichts mehr erinnern konnte.
Am heftigsten nagt an mir bis heute die Tatsache, dass ich mich zwar bei Prügel immer eingemischt habe, mich aber als Kind nie traute, dazwischenzugehen, wenn mein Stiefvater meine Mutter vergewaltigte. Ich weiß genau, dass das nicht meine Aufgabe war, das zu verhindern, aber bis heute fühle ich mich feige und schuldig. Dieses Schuldgefühl ist etwas, das alle Kinder haben, die Gewalt von Vätern gegen Mütter mitgekriegt haben.
Fünftens: Die Scham. Man lernt, dass man mit niemandem darüber sprechen darf, was geschieht. Und wenn man es doch tut, ist man das „Asi-Kind“, wird gemieden, wird beschwiegen, aber an den Verhältnissen ändert sich nichts.
Sechstens: Das horrorhafte Geschlechterbild. Wer lernt, dass es anscheinend normal ist, wenn Männer Frauen schlagen, der schlägt manchmal häufig selber seine Partnerin, wenn er ein Junge ist – oder sucht sich unbewusst Partner, die schlagen, wenn es sich um ein Mädchen handelt.
Und nicht zu vergessen, siebtens: Kinder, die aus solchen Familien kommen, sind traumatisiert. Da die „Zuhauses“ meistens auch noch „broken homes“ sind, die auch nach dem 18. Geburtstag keinerlei Unterstützung liefern können, wird hier vor allem für Mädchen eine hässliche Mischung generiert: null Unterstützung, null Schutz, manchmal auch null Kontakt, dafür aber eine fette Traumatisierung. Leichtes Opfer also für weitere Gewalttäter.
Wenn Männer ihre Partnerinnen schlagen, ist das keine „häusliche Gewalt“. Ich habe noch nie ein gewalttätiges Haus erlebt. Der Begriff muss lauten: „partnerschaftliche Gewalt“. Und die ist keine „Privatsache“, keine „Sache zwischen den Eltern“, kein „Streit“.
Wenn Kinder mitbekommen, dass Väter die Mütter schlagen oder vergewaltigen – und Kinder bekommen das immer mit -, dann ist das traumatisierend, und es ist auch Gewalt gegen Kinder.
Und nein, Männer, die ihre Frauen schlagen, können nicht „trotzdem gute Väter“ sein. Sie sind Väter, die Kinder traumatisieren, die Kindern Gewalt antun. Können wir das bitte demnächst miteinbeziehen, wenn es um das Umgangsrecht nach Trennung / Scheidung geht? Das wäre gut.
Gewalt darf nicht normalisiert werden. Kinder zerbrechen, wenn sie lernen, dass der Vater, der die Mutti immer verdroschen hat, immer noch weiter „der liebe Papi“ sein und alles normal sein soll.
Gewalt gegen Mütter ist auch Gewalt gegen Kinder – diese Denke sollte endlich mal Standard werden!
© Huschke Mau