Legalisierung, Prostitutionsverbot, Entkriminalisierung, Nordisches Modell – wie gesetzgeberisch umgehen mit Prostitution?

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Mein Name ist Huschke Mau[1], und ich bin eine Frau aus der Prostitution. Momentan bin ich Doktorandin. Seit 2014 bin ich als Aktivistin für das Nordische Modell aktiv und halte Vorträge. Im Januar 2018 habe ich das Netzwerk Ella[2] gegründet, wir sind ein Zusammenschluss von Frauen, die in der Prostitution waren oder noch sind, und wir definieren das, was wir erlebt haben und noch erleben, als Gewalt. Die Konsequenz, die wir daraus ziehen, ist die Forderung nach der Einführung des Nordischen Modells auch in Deutschland. Wir haben erfahren, wie Prostitution in einer legalisierenden Gesetzgebung ist, und wir finden, dass sie uns nichts als Nachteile gebracht hat. Mit Aussteigerinnen aus Ländern, in denen das Nordische Modell eingeführt worden ist, stehen wir in Kontakt.

Wenn man von den gesetzgeberischen Umgängen mit Prostitution spricht, herrscht oftmals eine große Verwirrung. Ist Legalisierung dasselbe wie Entkriminalisierung? Ist das Nordische Modell de facto ein Prostitutionsverbot? Dieser Beitrag soll dabei helfen, die einzelnen Begriffe zu klären und die Konsequenzen der jeweiligen Regelung bezüglich Prostitution für uns Betroffene, aber auch für die gesamte Gesellschaft, darzustellen.

Es gibt bisher 3 Arten, mit Prostitution gesetzgeberisch umzugehen: Legalisierung, Prostitutionsverbot oder das Nordische Modell. Der jeweilige regulative Umgang mit Prostitution sagt auch etwas darüber aus, ob Prostitution in der betreffenden Gesellschaft als Gewalt gegen Frauen wahrgenommen wird oder nicht.  Mein Standpunkt ist ein abolitionistischer. Ich argumentiere nicht nur aus meiner Erfahrung heraus – und aus der vieler meiner (Ex-)Kolleginnen -, sondern ich finde, es braucht eine politische Analyse, um zu begreifen, was Prostitution wirklich ist. Schauen wir uns an, wie Prostitution sich heute gestaltet.

Für den Einstieg kommen in den allermeisten Fällen vier Faktoren zusammen: die Frauen (oder Mädchen) sind sexuell vortraumatisiert[3], sie befinden sich in einer ökonomischen Notlage, es gibt oft eine dritte Person, die ihnen „beim Einstieg hilft“ (und dann auch profitiert) und sie haben in einer sexistischen Gesellschaft bereits eine Abwertung als Frau erfahren, ebenso wie eine Konditionierung auf ihre weibliche Geschlechterrolle (die inkludiert, dem Mann zu gefallen und ihm sexuell verfügbar sein zu müssen). Manchmal fühlt sich für bereits zuvor missbrauchte / vergewaltigte Frauen der Einstieg in die Prostitution wie eine Aufwertung an: wo vorher jeden ran und rüber durfte, kann jetzt selektiert werden –  es dürfen jetzt nur noch die, die zahlen. Da sich der Prostitutionsmarkt auf Anbieterinnenseite also vornehmlich aus Frauen rekrutiert, die sich in (emotionalen, finanziellen, psychischen) Notlagen befindet und die (sexistisch, rassistisch, klassistisch) diskriminiert werden, kann man sich hier zunächst schon die Frage stellen, ob ein System, das darauf angewiesen ist, auf vielerlei Ebenen gewaltvorgeschädigte Personen zu rekrutieren, nicht selber ein System der Gewalt ist. Ob das System der Prostitution ein existierenswertes ist, können wir also nicht davon abhängig machen, ob die einzelne Frau dazu „ja“ gesagt hat oder nicht. Diese Last ist Individuen nicht aufzubürden. Vielmehr gehören die Umstände analysiert, unter denen die betreffende Person „ja“ gesagt hat – wenn sie das überhaupt getan hat: die Polizei in Augsburg berichtet davon, bei bis zu 90% aller Prostituierten deutliche Merkmale von Zwangsprostitution durch Dritte vorzufinden.

Sicherlich erscheint Prostitution mancher als Mittel, die Armut zu bekämpfen (oder mit ihrer Vortraumatisierung umzugehen), dennoch kann man wohl kaum davon sprechen, dass Prostitution immer eine Wahl ist: denn eine Wahl setzt voraus, dass es mehrere Handlungsoptionen gibt, zwischen denen man sich entscheiden kann. Für die meisten Frauen in der Prostitution war Prostitution aber eben der letzte Ausweg. Das bedeutet: Prostitution ist keine Alternative, sondern der Mangel an Alternativen. Sie gehört nicht als „Wahl“ verklärt, sondern ihr gehören Handlungsalternativen hinzugefügt – die dann wiederum zeigen würden, dass sich die meisten Frauen eben nicht für Prostitution entscheiden würden, wenn sie eine wirkliche Wahl hätten. Jetzt könnte man sagen: gut, es gibt Frauen, die sich unter Zwang prostituieren, aber das ist ja nicht das Wesen der Prostitution, und es ist nur die Zwangsprostitution, die schlecht ist, aber freiwillige Prostitution ist doch okay. Auch das lässt sich aber in Frage stellen. Denn wenn kapitalismuskritisch betrachtet jede Form von Arbeit in einem kapitalistischen System Zwang ist, dann ist „Sexarbeit“ auch Zwang. Da erzwungener Sex aber eben keine „(Sex)Zwangsarbeit“ ist, sondern sexuelle Nötigung, Missbrauch oder Vergewaltigung, wird klar: Prostitution ist immer Gewalt. Denn sie ist ihres Wesens nach ja auch immer fremdbestimmt: es kommt in ihr darauf an, die Sexualität des Freiers zu bedienen (nicht die der Frau), die sexuellen Bedürfnisse des Freiers zu bedienen (nicht die der Frau). Von „selbstbestimmter Sexualität“ kann also in der Prostitution zumindest auf Anbieterinnenseite nicht die Rede sein, das, was geboten wird, ist eingezwängt in die Gegebenheiten des Marktes und die Bedürfnisse der Käufer. Und ist Prostitution wirklich der Verkauf einer „Dienstleistung“? Dem deutschen Recht nach nicht[4]: hier wird eine Dienstleistung definiert als etwas, das man nicht anfassen kann. Jetzt könnte man sagen: ja, aber Altenpflegerinnen, Friseurinnen und Physiotherapeutinnen fassen ihre Kunden doch auch an. Und das tun sie. Der Unterschied besteht darin, dass es hierbei nicht darum geht, wie ihr Körper ausschaut. Grob gesagt: dem Kunden, der die Dienstleistungen einer Physiotherapeutinnen in Anspruch nimmt, ist nur wichtig, dass sie korrekt und gut ihren Job ausübt. Dem Prostitutionskunden hingegen kann nicht nur das wichtig sein, denn sonst wäre es ihm egal, ob z.B. ein männlicher Rentner die Dienstleistung ausübt oder eben eine junge, hübsche Frau. Dienstleistung ist schließlich Dienstleistung, und Blowjob ist Blowjob, oder? Dem ist in der Prostitution nicht so: Freier wollen einen bestimmten Körper, der die sexuelle Handlung vollführt. Er soll z.B. jung sein, hübsch sein, langhaarig, blond oder brünett, schlank oder füllig, mit großer oder kleiner Oberweite… Und damit steht fest: Prostitution ist keine Dienstleistung, sie ist der Kauf – oder besser: das Mieten – eines Frauenkörpers auf Zeit.

Nehmen wir dennoch mal an, es gäbe so etwas wie die „schlimme Zwangsprostitution“ und die „gute, freiwillige Prostitution“, und beides sei ganz klar zu trennen – wie möchte der Freier sich darüber klar werden, was hier vorliegt? In der Realität ist es so, dass viele Freier sehr wohl wissen, dass Zwangsprostitution vorliegt. Es macht sie geil oder es ist ihnen egal – klar wird, ihre sexuelle Befriedigung ist wichtiger als die Sicherheit von Frauen. Doch selbst wenn ein Kunde glaubt, es läge keine Zwangsprostitution vor: wie kann er sich da sicher sein? Schließlich hat er die prostituierte Frau ja dafür bezahlt, dass sie JA gesagt hat und so tut, als gefiele es ihr. Die volle Wahrheit kennt er naturgemäß nicht. Das bedeutet: er kann nicht ausschließen, dass er gerade eine Vergewaltigung begeht. Ist das im Jahr 2019, in dem wir so heftig über Konsens streiten, eine Art von Sex, die wir noch dulden wollen – ein Sex, bei dem der Mann nachher nicht sagen kann, ob er einen sexuellen Übergriff begangen hat?[5]

Zudem zeigen Studien, dass auch Frauen, die „freiwillig“ in die Prostitution eingestiegen sind, durch die dort gemachten Erfahrungen traumatisiert werden. 68% erfüllen die Kriterien für eine Posttraumatische Belastungsstörung.[6]

Wenn man also Prostitution als Gewalt per definitionem betrachtet, ist es natürlich zynisch, darüber nachzudenken, unter welchen Umständen dieser sexuelle Missbrauch stattfinden sollte und unter welchen nicht. Ist der sexuelle Übergriff okayer, wenn er in einer schönen Verrichtungsbox am Strich stattfindet, statt zwischen dem Müll dort? Ist er okayer, wenn er registriert wurde und besteuert? Darum kann es nicht gehen. Einem sexuellen Missbrauch gegen Geld aus welchen Gründen auch immer zuzustimmen, macht keinen Job daraus. Es geht hierbei nicht darum, Frauen für die von ihnen getroffenen Entscheidungen zu verteufeln, sondern die Situation zu analysieren und zu sagen: im Zweifel gehört diese Situation abgeschafft.

Genau das geschieht in einem System der legalisierten Prostitution nicht.

Da Entkriminalisierung und Legalisierung häufig durcheinandergeworfen werden, hier eine kurze Erläuterung: Legalisierung bedeutet, sich zu prostituieren ist, ebenso wie Prostitution in Anspruch zu nehmen, grundsätzlich erlaubt. Kriminalisierung bedeutet: für Prostitution werden gesetzliche Extraregelungen geschaffen. Dazu gehören zum Beispiel: Regeln, nach denen Straßenstriche erst ab bestimmten Uhrzeiten geöffnet werden, Sperrbezirke um Kitas, Schulen usw., die Anmeldepflicht, der prostituierte Frauen seit dem ProstSchG2017 unterliegen.

Mit dem Prostitutionsgesetz von 2002 wurde Prostitution in Deutschland nicht legalisiert, denn Prostitution war in Deutschland nie verboten – aber stark kriminalisiert. Zudem war Prostitution sittenwidrig, was konkret bedeutete, dass ein „Hurenlohn“ vor Gericht nicht einklagbar war. Dies wurde mit dem Gesetz geändert. Ein weiteres Ziel war, Frauen in der Prostitution die Möglichkeit zu geben, sich sozialversichern zu können.  Das ist nicht gelungen: gerade mal 44 Prostituierte sind über die Prostitution sozialversichert. Die meisten Frauen in der Prostitution sind höchstens über den Ehemann in ihrem Herkunftsland krankenversichert und haben keine Altersvorsorge. Steuern zahlen müssen sie dennoch: ironischerweise auch eine „Vergnügungssteuer“, wobei unklar ist, wieso nicht der Freier, der das Vergnügen ja schließlich hat, diese zahlen muss.

Profiteure der Legalisierung sind Bordellbetreiber und Zuhälter: diese können jetzt nicht mehr wegen Förderung der Prostitution belangt werden. Die Polizei hat nur noch wenig Handhabe, in die Bordelle reinzugehen und Anfangsverdachten von Prostitution Minderjähriger oder Zwangsprostitution nachzugehen. Da vieles um die Prostitution herum entkriminalisiert worden ist, ist Zuhälterei de facto nicht mehr strafbar, nur noch dann, wenn sie als „ausbeuterische Zuhälterei“ mehr als 50% der Einnahmen der Prostituierten kassiert. Prostitution zu legalisieren lohnt sich für diesen Staat: bei den offiziell geschätzten 1,2 Millionen Männern, die in Deutschland täglich (!) eine Prostituierte aufsuchen, beläuft sich der Jahresumsatz des Prostitutionsgeschäftes auf 12 bis 15 Milliarden Euro pro Jahr. Der Staat profitiert in Form von Steuern – und wird damit einer Zuhälterfunktion gerecht, denn Steuern werden auch von Zwangsprostituierten kassiert. Bei der Flucht vor einem Zuhälter aus dem Fenster zu springen, wird jetzt als Arbeitsunfall deklariert[7], eine Statistik über ermordete Frauen in der Prostitution gibt es offiziell nicht mehr, dies sei diskriminierend.

Nach dem Gesetz von 2002 hat das Prostitutionsgeschäft in Deutschland, auch wegen der EU-Osterweiterung, einen Aufschwung erfahren. Mittlerweile kommen 90% der Prostituierten aus den Armenhäusern Europas. Eingebunden in patriarchale Familiensysteme haben sie kaum eine Chance, denen, die sie zur Prostitution nötigen – ihre Brüder, Väter, Cousins, Ehemänner – und sie in diese verkaufen zu entkommen. Selbst wenn sie entkämen: wohin sollten sie gehen und welche Alternativen könnten sie wählen? Ihre Prostitution wird in Deutschland noch immer verkauft als großartige Chance für sie, sich (und ihren Familien) ein Auskommen zu sichern. Der kolonialistische Aspekt davon, arme, rassistisch und sexistisch diskriminierte Frauen ohne Wahlmöglichkeit zur sexuellen Ausbeutung durch deutsche Männer freizugeben, findet in der allgemeingesellschaftlichen Betrachtung keine Beachtung.

Das Prostitutionsschutzgesetz von 2017 ist eine Art Nachfolgegesetz des Prostitutionsgesetzes von 2002. Mit ihm wird versucht, die heftigsten Auswirkungen dieses Gesetzes einzudämmen, wie z.B. Clubs, in denen nur AO (alles ohne Gummi) angeboten wird, oder Gangbangpartys, bei denen Gruppenvergewaltigungen  nachgestellt werden, ebenso Flatrateclubs, also Angebote wie das, für 70 Euro alle Frauen des Bordells in allen Stellungen und ohne Gummi anal, oral und vaginal penetrieren zu dürfen (Bratwurst und Getränke inclusive) . Es handelt sich hierbei nicht um einen gesetzgeberischen Umschwung, sondern um eine Detailregulierung innerhalb der Prostitutionslegalisierung.

Das Gesetz von 2017 gliedert sich in 2 Teile: der eine Teil betrifft Prostituierte, der andere BetreiberInnen bzw. Prostitutionsstätten. Prostituierte müssen sich jetzt anmelden, sie haben die Pflicht, sich einem Beratungs- und Informationsgespräch zu unterziehen sowie einer gesundheitlichen Beratung. Diese ist nicht zu verwechseln mit einer Zwangsuntersuchung (die z.B. in Österreich stattfindet). Bei der Anmeldung wird eine besondere Bescheinigung ausgestellt, der sogenannte „Hurenpass“, der bei der Ausübung der Prostitution mitzuführen ist und auch unter Aliasnamen ausgestellt werden kann. Unter bestimmten Umständen (Person ist noch nicht 18, die Frau ist 6 Wochen vor der Entbindung, Vorliegen von Hinweisen auf Zwang durch Dritte) kann die Anmeldung verweigert werden. Gleichzeitig zur Anmeldung werden die persönlichen Daten dem Finanzamt übermittelt. Die Anmeldepflicht gehört zu den Dingen, die unter „Kriminalisierung von Prostituierten“ fallen – dennoch muss gesagt werden, dass bei aller gegebenen Vorsicht bzgl. der Übermittlung von Daten an Dritte die Anmeldung auch eine Chance für prostituierte Frauen aus Osteuropa sein kann: diese kommen in Kontakt mit Behörden, sie erfahren, an welche Beratungsstelle sie sich wenden können (sofern es in diesem Bundesland eine gibt: in Thüringen gibt es z.B. keine einzige). Sie kann außerdem der Nachweis über die Länge des Aufenthalts in einem Land sein und so helfen, beim Ausstieg Zugang zu Sozialleistungen zu bekommen.  Im Informationsgespräch werden Frauen, die in die Prostitution gehen oder schon darin sind, darüber aufgeklärt, welche lokalen Vorschriften gelten (z.B. Sperrbezirke) , sie werden auf Hilfsangebote (Gesundheitsämter usw.) verwiesen und über ihre Steuerpflicht informiert. Das Gespräch muss in einer Sprache geschehen, die die jeweilige Person versteht. Zwar ist die Tatsache, dass bei deutlichen Hinweisen auf Zwangslagen die Anmeldung auch verweigert werden kann, zunächst ein Schutz für Opfer von Menschenhandel und durch Dritte in die Prostitution verbrachte Personen, sie kann aber auch dafür sorgen, dass diejenigen Personen, die ihre Freiwilligkeit bei der Anmeldung nicht gut genug vorgespielt haben, danach von Zuhältern und Menschenhändlern bestraft oder einfach woanders angemeldet werden.

Die Gesundheitsberatung findet für alle über 21-jährigen aller 12 Monate statt, für Frauen unter 21 alle 6 Monate. Fragen zu Verhütung, Schwangerschaft, Infektionskrankheiten, Drogen und Alkohol können hier gestellt werden. Verstößt eine Frau gegen die Anmeldepflicht, kann ihr ein Bußgeld auferlegt werden.

Auch BetreiberInnen unterliegen jetzt neuen Anordnungen. Sie benötigen jetzt für die Eröffnung einer jeden Prostitutionsstätte eine Erlaubnispflicht, d.h. verurteilte Menschenhändler oder Männer, die gegen die sexuelle Selbstbestimmung verstoßen haben, können nicht wie zuvor ein Bordell eröffnen. Bei Verstößen gegen die Kondompflicht oder bei Zwangsprostitution kann diese Erlaubnis wieder entzogen werden. Während das Gesetz einerseits eine Verbesserung bringt, weil Kriminelle jetzt nicht mehr so einfach ein Bordell eröffnen dürfen, muss ganz klar gesagt werden, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit von diesen jetzt einfach Strohmänner und –frauen für die Anmeldung des Betriebs eingesetzt werden. Zudem setzt die Prüfung durch den Staat an alle Freier eine fatales Signal: hier ist alles in Ordnung, sagt die Genehmigung aus, hier kannst du reinen Gewissens Frauen kaufen, der Staat hat alles kontrolliert und genehmigt.

Dabei ist es doch eigentlich die Verantwortung eines jeden, der einen sexuellen Akt begeht, sicherzustellen, dass ein Konsens besteht. Kein Staat, keine Behörde kann dies der handelnden Person abnehmen – ein sexueller Übergriff ist stets die Verantwortung dessen, der sie direkt ausübt. Warum sollte das bei Freiern anders sein, warum sollten sie aus der Verantwortung genommen werden, indem ihnen vorgegaukelt wird, im staatlich genehmigten Ökobordell sei alles in Ordnung?

Alle drei Jahre werden die BetreiberInnen jetzt auf Zuverlässigkeit geprüft. Angebote wie Flatrate oder Gangbang sind verboten, bauliche Änderungen müssen vorgenommen werden: z.B. Notfallknöpfe auf den Zimmern (ein deutlicher Hinweis darauf, dass Prostitution auch unter legalen Umständen verdammt gefährlich ist), abschließbare Spinde im Pausenraum usw., zudem dürfen Prostituierte nicht mehr in denselben Betten schlafen, in denen sie ihre Freier bedienen. Die BetreiberInnen haben aus dieser Not mittlerweile eine Tugend gemacht und vermieten den Prostituierten jetzt extra Schlafräume – gegen Cash natürlich. Was als Schutz für Prostituierte gedacht war, die teilweise aus den Bordellen nie rauskommen, wurde hier zur Möglichkeit für BetreiberInnen, Prostituierte nur noch weiter abzuzocken: gleich zwei Mal Miete.

Betreiber haben jetzt Pflichten: sie müssen sichergehen, dass die Frauen in ihrem Betrieb 18 Jahre alt sind, dass sie der Pflicht zur Gesundheitsberatung nachgehen und angemeldet sind. (Was bedeutet: sie erhalten sehr viele Daten von Prostituierten. Damit wird keine Prostituierte geschützt: jemandem, der von einem finanziell profitiert und der also ein Interesse daran hat, einen auszubeuten, viele Informationen über sich zu geben, ist generell eine schlechte Idee.)

Neu ist: BetreiberInnen haben jetzt keine Weisungsbefugnis mehr. Zuvor durften sie, obwohl Prostituierte im Bordell de facto scheinselbstständig sind, Weisungen zu Freiern, Praktiken und Preisen erteilen.

Das ProstSchG von 2017 ändert also nichts daran, dass die legalisierende Prostitutionsgesetzgebung in Deutschland zu vielen hunderttausend sexuell ausgebeuteten Frauen geführt hat. Es versucht nur, nach gutbürgerlicher Doppelmoral, die Auswüchse einzudämmen und das Elend zu verschleiern. Es gibt nur einen Punkt am ProstSchG, der wirklich positiv ist, und das ist die Kondompflicht. Denn hier wird endlich der bestraft, der für das Weglassen des Gummis verantwortlich ist. Ich kenne keine Prostituierte, die gerne ohne Gummi mit ihren Freiern schläft, es ist vielmehr so, dass Freier dies verlangen und ggf. mit Druck oder mehr Geld, unter Ausnutzung der wirtschaftlichen Lage der Frau, dies durchsetzen und die Frau dann unter Umständen anstecken. (Eine Gesundheitsberatung wäre also eigentlich für die Freier viel eher passend…) Bis zu 50.000 Euro Strafe muss ein Freier zahlen, der darauf drängt, das Kondom wegzulassen, auch bei Oralverkehr. Ein derartig großes Bußgeld ist bis dato nicht verhängt worden, die angezeigten Fälle endeten aber bis jetzt sehr wohl mit Strafgeldern im unteren vierstelligen Bereich. Ob die Kondompflicht durchsetzbar ist oder nicht, sie ist zumindest eine Argumentationshilfe für von der Prostitution betroffene Frauen:  sie sind nicht mehr so heftig dem Konkurrenzdruck des Marktes und der Freier ausgeliefert und können jetzt sagen: „das darf ich nicht, es ist verboten und du würdest dafür bestraft werden“. Das ist vor allem in den Fällen von Vorteil, in denen andere für die Frauen die Werbeanzeigen schreiben – oft wissen die Frauen nämlich gar nicht, mit welchem Service sie da angeboten werden.  Die Frauen, die, warum auch immer, Prostitution ohne Gummi anbieten (müssen), können deswegen jetzt wenigstens einen höheren Preis verlangen. Ein Blick in die Freierforen zeigt: dieses Gesetz hat durchaus Auswirkungen auf das Verhalten von Freiern. Auch das Gesetz, nach welchem Kunden von Zwangsprostituierten neuerdings bestraft werden, scheucht die Freiergemeinschaft auf, ist jedoch insofern nutzlos, als dem Freier nachgewiesen werden muss, dass er bewusst und wissentlich eine Zwangsprostituierte aufgesucht hat – was in der Realität so kaum je nachzuweisen sein dürfte.

Macht die Legalisierung Prostitution denn jetzt wenigstens sicherer? Das Gegenteil ist der Fall. Während BordellBetreiberInnen weitere Zugriffe auf das Leben und die Daten von prostituierten Frauen bekommen und Zuhälterei nur noch geahndet wird, wenn sie übermäßig geschieht, blühen Menschenhandel und Zwangsprostitution in Deutschland ebenso wie die Freiergewalt. Legalisierung bedeutet, nicht zu fragen: Was ist Prostitution? Warum gibt es sie? Und zu was führt sie? Prostitution zu legalisieren bedeutet nur, zu sagen: „ja, das gibt es, lasst uns einen Weg finden, damit umzugehen“. Bei keiner anderen Gewaltform würden wir das sagen. Wir würden niemals sagen: „Die Frau, deren Ehemann sie schlägt, ist doch freiwillig zurückgegangen, deswegen ist es jetzt keine Gewalt mehr, dass er sie schlägt.“ Und wir würden auch niemals sagen: „Frauen, die von ihren Partner geschlagen werden, schämen sich, auf ihnen liegt ein Stigma, sie seien selbst schuld. Das Stigma ist das Problem, lasst uns also Partnergewalt legalisieren, damit die Frauen nichts mehr haben, wofür sie sich schämen müssen.“ Und wir würden auch bei keiner anderen Gewaltform sagen, dass die Gewalt sicherer gemacht werden muss. Unvorstellbar ist es, dass in Deutschland vorgeschlagen würde, Vergewaltigungen zu legalisieren, damit Frauen, die vergewaltigt werden, „sicherer“ sind, weil die Täter sie ja sonst aus Vertuschungs- und Verdeckungsgründen und aus Angst vor der Strafverfolgung umbringen könnten. Bei Prostitution passiert aber genau das. Es wird gesagt: „Das hat es schon immer gegeben.“ (Dass das nicht stimmt, sondern dass Prostitution nicht zufällig gleichzeitig mit der Sklaverei entstanden ist, ist in der Forschung längst angekommen.[8]) Es wird gesagt: „Prostitution brauchen wir, damit es weniger Vergewaltigungen an Frauen gibt.“ Dabei ist gerade diese Annahme es wert, auseinandergenommen zu werden. Denn sie geht davon aus, dass Männer gar nicht anders können, als zu vergewaltigen – sprich, Männer sind der Biologie wegen Vergewaltiger. Nehmen wir an, dass das stimmt, und dass es nicht so ist, dass, wie Feministinnen annehmen, Gewalt gegen Frauen ein ansozialisiertes Herrenrecht für Männer ist, das man auch wieder ent-lernen kann: ist es dann nicht so, dass wir dann mit Männern nicht mehr in einer Gesellschaft zusammenleben könnten, wenn jeder Mann ein geborener Triebtäter ist? Ist es dann nicht so, dass die Lösung wäre, Männer von uns Frauen komplett fernzuhalten, und nicht, unsolidarischerweise eine Gruppe von Frauen für sie zur Verfügung zu stellen, eine Gruppe, an der sie sich abreagieren können, damit die soliden Frauen in Ruhe gelassen werden? Und davon mal ab: Was ist das für ein Männer-, was für ein Frauenbild?

Übergriffe gegen nichtprostituierte Frauen lassen sich nicht verhindern, indem man Prostitution gestattet. Es ist im Gegenteil so, dass in Gesellschaften, in denen Prostitutionsnutzung als Teil des Männlichkeitsnormativs erweist, deutlich mehr Übergriffe auch auf solide Frauen vorkommen.[9] Das liegt ganz einfach daran, dass Männer eben nicht vergessen, dass sie gerade Lust daran empfunden haben, eine Frau missbraucht zu haben, wenn sie die Bordelltür wieder hinter sich zumachen. Prostitution geht uns alle an, sie betrifft uns alle, nicht nur uns prostituierte Frauen. Auch solide Frauen kriegen ihr Fett weg: sie müssen ebenso mit den Freiern zusammenleben (oft ohne es zu wissen), denn die Freier sind ihre Brüder, Ehemänner, Chefs, Freunde, Kollegen. Sie müssen ausbaden, was Freier im Bordell gelernt haben: dass es unter Umständen okay ist, mit einer Frau zu schlafen, die eigentlich nicht will. Oder extrem demütigende Praktiken an einer Frau auszuüben, die nicht nein sagen kann und darf. Das Frauenbild, das durch die Prostitution generiert wird, betrifft uns alle ohne Ausnahme.

Legalisieren wir Prostitution, dann nehmen wir uns die Chance, eine Gesellschaft zu formen, wie wir sie gerne hätten. Wir nehmen uns die Fähigkeit, gesellschaftspolitische Visionen zu entwickeln. Warum sollte eine Gesellschaft ohne Prostitution nicht möglich sein? Würden wir vor anderen Aufgaben auch so kapitulieren? Würden wir sagen, ach, Armut, Vergewaltigungen, Unterdrückung, das gibt es alles schon so lange, das ist jetzt so und bleibt jetzt so, kann man eh nicht abschaffen, lassen wir es, wie es ist und betreiben ein bisschen Schadensbegrenzung?

Das würden wir natürlich nicht tun.

Und es gibt keinen Grund, für Prostitution eine Ausnahme zu machen. Denn Prostitution hat keinen Nutzen für eine Gesellschaft. Im Gegenteil fügt sie ihr Schaden zu.

In der legalisierten Prostitution wird nicht hinterfragt, warum Prostitution existiert. Sie existiert einfach. Das führt dann dazu, dass man meint, es allen an der Prostitution Beteiligten besser einrichten zu müssen. Die Frauen am Strich bekommen eine Verrichtungsbox hingestellt und eine Waschgelegenheit, damit sie sich zwischen zwei missbräuchlichen Akten mal frisch machen können. (Signal an die Freier: schau, der Staat baut euch mit Steuergeldern Verrichtungsboxen hin, es ist okay, was ihr tut und unterstützendwert!) In der Schweiz fiel der Polizei schon vor Jahren auf, dass es immer mehr minderjährige Mädchen auf den Strichs gab. Man wollte diese nicht bestrafen, ein ehrenwertes Anliegen. Also erlaubte man die Prostitutionsausübung ab 16 Jahren. (Signal an die Freier: es ist okay, sich sexuellen Zugang zu 16-jährigen Mädchen zu kaufen!) Diese Massnahme wurde wieder zurückgenommen, weil immer mehr Freier ganz junge Mädchen kaufen wollten. Zuhälter und Menschenhändler witterten zurecht das große Geschäft und sorgten für genug Angebot. Beruhigt hat sich dadurch nichts, im Gegenteil standen plötzlich massenweise minderjährige Mädchen auf den Straßenstrichs. Denn eine legalisierte Prostitutionsgesetzgebung hat nicht im Blick, dass sie, wenn sie Freiertum legalisiert, immer auch das Signal sendet, dass dies ein annehmbares Verhalten wäre, und dass Prostitution auf diesen Markt reagieren wird: mehr Legalisierung bedeutet mehr Nachfrage – und die muss befriedigt werden, das bedeutet, es wird, so oder so, freiwillig oder nicht, mehr Angebot rangeschafft, mittels Menschenhandels, mittels Zwangsprostitution. Die wenigsten Frauen gehen dieser Tätigkeit ohne direkten Zwang aus, der größte Teil wird immer direkt gezwungen werden müssen. Wer soll die große Nachfrage also bedienen? Wer Prostitution legalisiert, nimmt damit automatisch Menschenhandel und Zwangsprostitution in Kauf. Und was ist eigentlich Zwangsprostitution? Ist es Zwangsprostitution, wenn eine rumänische Familie die Töchter drängt, hier in Deutschland das Familienauskommen zu verdienen, und wenn diese Mädchen dazu ja sagen, weil sie es nicht anders kennen? Ist es Zwangsprostitution, wenn ich im Bordell keine Freier ablehnen darf, weil ich sonst Ärger mit dem Chef bekomme? Ist es Zwangsprostitution, wenn ein Ehemann seiner Frau den Vorschlag macht, doch im Bordell die gemeinsamen Schulden abzuarbeiten? Es gibt so viele Grauzonen. Bis jetzt ist es so, dass jede Frau einzeln vor Gericht beweisen muss, dass Zwang ausgeübt wurde. „Zwang“ ist aber gesetzgeberisch nicht definiert, das heißt, es kommt auf die Definition des Richters oder der Richterin an. So oder so bedeutet eine legalisierte Prostitution immer, dass es mehr Prostitution gibt.

Während also Legalisierung einerseits den Freiern nützt, weil Prostitution öffentlich nicht mehr als Missbrauch anerkannt ist und weil sie für die Übergriffe, für die sie gezahlt haben, nicht belangt werden, verbleibt nicht nur das Stigma komplett bei uns Frauen aus der Prostitution[10], nein, es gibt auch kaum noch einen Weg heraus. Denn wenn Prostitution ein Job ist wie jeder andere, braucht es auch keine eine Ausstiegshilfe – eine Friseurin, Ingenieurin oder Lehrerin benötigt ja auch keine Ausstiegshilfe aus ihrem Beruf. Indem der Missbrauch unsichtbar gemacht wird, wird auch verdeckt, was Prostitution an der Frauen selbst anrichtet – jedes Trauma, jede aus der Zeit in der Prostitution herrührende Depression, Zwangserkrankung usw. wird ihr allein angelastet – am Beruf kann es ja nicht liegen. Wir vom Netzwerk Ella haben viele Erfahrungen gemacht mit PsychologInnen, die uns erstmal darüber belehrten, dass Prostitution nicht per se schlecht sei, es seien nur wir, die wir – aus welchen Gründen auch immer, anscheinend übersensible Persönlichkeit? – darunter litten, mit uns könne ja was nicht stimmen. Das ist die Auswirkung, die eine legalisierte Prostitution hat. Alle wollen was von einem ab: die Steuer, die Krankenkasse… aber mit den Schäden bleiben wir allein. Auszusteigen in einer legalisierten Prostitutionsgesetzgebung ist schwer. Denn wer einmal drin ist, der ist bei den Behörden als Prostituierte festgeschrieben, und der wird, ob Finanzamt oder ALG“, vorgeworfen werden, sie verdiene sich heimlich noch was dazu. Da sich nicht beweisen lässt, dass man nicht mehr anschafft (wie sollte das auch gehen?), kommt es hier zu unmöglichen Steuerschätzungen und dazu, dass Frauen, die über HartzIV aus der Prostitution aussteigen wollen, Teile der Minimalsicherung vorenthalten werden, da ihnen unterstellt wird, sie verdienten ja noch. Den Nachteil an der Legalisierung und der völligen Verkapitalisierung des menschlichen Ichs tragen also prostituierte Frauen, aber damit nicht genug. Um die Schmuddelei doch irgendwie einzudämmen, erlässt der Staat bestimmte Regeln, z.B. Sperrbezirke. Er verhängt Bußgelder und zwingt damit Frauen, sich weiter zu prostituieren, um die Strafe zu zahlen und einer Haftstrafe zu entgehen. Was ist das anderes als Zwangsprostitution?

Halten wir fest: Legalisierung nützt uns Frauen in der Prostitution nichts. Was uns nützen würde, wäre die Entkriminalisierung – aber eben nicht, wie jetzt, die Entkriminalisierung der Freier, Zuhälter und Bordellbetreiber, sondern unsere Entkriminalisierung.

Und das bedeutet in der Konsequenz: sich zu prostituieren, darf keinen Sonderregulierungen unterliegen und darf nicht verboten sein. Denn die Prostitutionsverbote, wie sie in Russland und in den USA gängig sind, helfen Prostituierten nicht, sondern bedeuten am Ende ja eine für sie verschärfte Kriminalisierung. Die Kriminalisierung die Freier, Zuhälter usw. betreffend, müsste aber eingeführt werden, um deutlich zu machen, dass die Gesellschaft an sich verurteilt, sich mit finanziellen Mitteln Zugang zu anderen Menschen – konkret: zum Geschlecht Frau – zu verschaffen. Der Unterschied besteht ganz einfach darin, dass man Frauen nicht vorschreiben kann, was sie mit dem eigenen Körpern tun, Freiern aber eben sehr wohl, was sie mit dem Körper anderer tun.

Genau das geschieht im Nordischen Modell. Das Nordische Modell ist ein Maßnahmenpaket, und es besteht aus 5 Punkten:

1. Der Anerkennung der Tatsache, dass Prostitution sexuelle Gewalt gegen Frauen ist und Gleichstellung verhindert.

2. Der völligen Entkriminalisierung der prostituierten Frau.

3. Ausstiegshilfen.

4. Der Einführung der Freierbestrafung.

5. Aufklärung über Prostitution, z.T. auch schon in der Schule.

Das Nordische Modell wurde nach jahrzehntelanger Forschung und Rücksprache mit Betroffenen 1999 zuerst in Schweden implementiert. (Und mittlerweile auch in Norwegen, Island, Frankreich, Irland, Kanada und Israel.) Freiertum wird als Suchtkrankheit behandelt, auch für Freier gibt es Beratungsstellen. In Kanada werden z.B. Freier gezwungen, an einem Sensibilisierungskurs teilzunehmen, in welchem sie konfrontiert werden mit den Konsequenzen, die ihre Handlungen haben. Die Freier müssen diese Kurse bezahlen – der Erlös geht an Hilfestellen für prostituierte Frauen. Kommen die Freier dem Zahlungsbescheid nicht nach, wird ihr Auto beschlagnahmt. Durch die normative Wirkung des Gesetzes ist es zudem in Schweden zu einer Einstellungsänderung gekommen – war vor der Einführung des Gesetzes noch die Mehrheit der Gesellschaft, vor allem die Männer, gegen ein Sexkaufverbot, sind jetzt 70% der Gesamtbevölkerung dafür[11]. Die Anzahl der Freier nahm im Zeitraum von 1996 bis 2006 um je 0,5%-Punkte im Jahr ab und lag im Jahr 2006 noch bei 8% der männlichen Bevölkerung.[12] Dies sind Zahlen von denen wir in Deutschland nur träumen können: je nach Statistik geht jeder fünfte[13] bis zehnte[14] Mann regelmäßig ins Bordell. Wenn es über das Nordische Modell gelänge, diese Zahlen zu minimieren, wäre das also schon ein Fortschritt – was KritikerInnen des Nordischen Modells, die immer wieder betonen, es gäbe ja Prostitution auch in Schweden immer noch, nämlich gerne vergessen: ja, es gibt sie noch, aber eben quantitativ weniger. Prostitution ist nicht einfach „da“, sie findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern wieviel es von ihr gibt und wie sie sich gestaltet, kann durchaus beeinflusst werden.

Dadurch, dass die Kunden fürchten, wegen Sexkaufs angezeigt zu werden, bleiben sie eher weg und es findet, wenn doch ein Sexkauf stattfindet, eine deutliche Machtverschiebung statt: wo jetzt in der Legalisierung eine gebuchte Stunde durchaus mal zu einem durch die prostituierte Frau nicht anzeigbaren Hatefuck werden kann, sind Freier im Nordischen Modell eher bemüht, keine weiteren Grenzverletzungen zu begehen, denn allein, dass sie eine Frau angesprochen und ihr Geld für Sex geboten haben, ist bereits strafbar. Dass, wie von GegnerInnen des Nordischen Modells behauptet, Gewalt gegen Prostituierte zugenommen hätte, haben die Evaluationen des Gesetzes aus Norwegen und Schweden nicht bestätigt[15]. Das Nordische Modell schützt also nicht nur Frauen davor, in die Prostitution zu geraten, es schützt auch die Frauen, die in der Prostitution sind.

Durch die verminderte Nachfrage ist es unlukrativ geworden, eine Frau nach z.B. Schweden zu handeln und sie dort zur Prostitution zu zwingen. Die Formel lautet: weniger Nachfrage, weniger Angebot, und damit automatisch weniger Menschenhandel und Zwangsprostitution. Es gibt nur zwei Wege, Zwangsprostitution und Menschenhandel zu verhindern, dies ist eben zum einen das Nordische Modell mit seiner Nachfrageminimierung und zum anderen, wie in Deutschland, ein legalisierter Markt, der durch permanente Razzien kontrolliert werden muss, wenn auch völlig unzureichend. Wir vom Netzwerk Ella haben uns bereits gegen diese Razzien ausgesprochen, weil sie unter der deutschen Gesetzgebung nur Ausdruck der Doppelmoral eines Staates sind, der einerseits durch seine Prostitutionspolitik dafür sorgt, dass Frauen nach Deutschland gehandelt und hier sexuelle ausgebeutet werden und sich andererseits dann durch diese vereinzelten Razzien zum Retter zwangsprostituierter Frauen stilisiert.[16] Es ist auch nicht einzusehen, warum prostituierte Frauen mit der Polizei zu tun haben sollten, während die Hintermänner regelmäßig um Verurteilungen herumkommen. Hinzu kommt, dass in Deutschland eben auch Polizisten ungestraft Freier sein dürfen und dann auch sind.[17] Es lässt sich ganz einfach ausrechnen, mit welchem Frauenbild solche Männer die „befreiten“ Frauen konfrontieren.[18] Kann man solch einer Polizei vertrauen? Eher nicht, im Gegenteil öffnet es Tür und Tor für Erpressungs- und Missbrauchssituationen. In Schweden hingegen ist es keine Privatsache, ob jemand zu Prostituierten geht. Menschen, die z.B. im öffentlichen Dienst arbeiten, können, wie bei der Polizei[19], vom Dienst suspendiert oder gefeuert werden, wenn sie sich als Freier hervortun.

Das Nordische Modell hat auch bei der Polizei, nicht zuletzt durch den Kontakt mit prostituierten Frauen und dem Austausch mit SozialarbeiterInnen, zu einem Einstellungswechsel geführt. Prostituierte werden nicht mehr als kriminell oder verdorben, sondern als in einer Notlage feststeckend wahrgenommen.[20] Das ist definitiv begrüßenswert und schafft mehr Vertrauen. Die Prostitution Units, die den Sexkauf ahnden, sind geschulte PolizistInnen. Gibt es keine Hinweise auf Straftaten (Zuhälterei usw.), wird nur noch eine Sozialarbeiterin hinzugezogen, deren Hilfe die prostituierte Frau natürlich auch verweigern kann.

Anders als im deutschen Modell hängt es auch nicht vom Opfer ab, ob eine Anzeige wegen Zuhälterei und Menschenhandel ergeht oder nicht. Während in Deutschland jedes Opfer einzeln anzeigen, die Zwangslage beweisen und aussagen muss (was die betroffene Frau in eine schwere Gefahrenlage versetzen kann), gelten in Schweden objektive Kriterien dafür, was Zwang, Menschenhandel und Zuhälterei ist. Für letzteres reicht es z.B. aus, Geld von der betroffenen Frau genommen zu haben.

Entgegen der oft vorgebrachten Kritik, Prostitution wandere in den Untergrund, wenn man ein Sexkaufverbot erließe, ist Prostitution für alle, die sie angeht immer noch leicht auffindbar. Das liegt daran, dass Prostitution nicht in dunklen Ecken stattfinden kann[21], sondern sichtbar sein muss, damit Prostituierte und Freier sie finden – und wenn Freier das herausfinden können, können PolizistInnen und SozialarbeiterInnen das auch.[22] Der Untergrund, der so gern auf Schweden projiziert wird, findet im Gegenteil hier in Deutschland statt: obwohl Prostitution legal ist, gibt es dennoch den Tatbestand der verbotenen Prostitution, wie z.B. im Sperrbezirk, für den die prostituierte Frau bestraft werden kann. Zugleich findet der Missbrauch vor aller Augen statt, denn in jeder größeren Stadt sind mittlerweile Megabordelle zu finden.

Nicht zuletzt: seit der Einführung des Nordischen Modells in Schweden hat es, statt wie in Deutschland über 80, nur einen einzigen Mord an einer prostituierten Frau gegeben (und der wurde nicht ausgeführt von einem Freier, sondern von ihrem Exfreund).

Das Nordische Modell ist auch das, was wir vom Netzwerk Ella fordern, denn es geht gegen Prostitution, aber nicht gegen Prostituierte vor. Es beschämt nicht die einzelne Prostituierte, sondern kritisiert, in welchen Strukturen sich Dinge abspielen und verändert diese, statt jede einzelne Frau für die Existenz der Prostitution verantwortlich zu machen, nur weil diese unter bestimmten Umstände zu dieser vielleicht ja gesagt hat. Frauen dafür verantwortlich zu machen, in welchen Strukturen sie sich bewegen / bewegen müssen, ist nicht feministisch, das gilt bei Abtreibung ebenso wie bei partnerschaftlicher Gewalt, sexueller Belästigung usw. – man würde ja auch nicht an den Frauen rumregulieren, die von ihren Ehemänner geschlagen werden, sondern an den Ehemännern. Wichtig ist, dass das Nordische Modell komplett umgesetzt wird, jeder der 5 Punkte muss fest installiert und gesichert sein, auch finanziell – eine reine Verkürzung auf die Freierbestrafung funktioniert nicht! Ohne Ausstiegshilfen oder die Entkriminalisierung prostituierter Frauen geht es nicht. Für viele Frauen ist Prostitution die letzte Option, und es darf nicht darum gehen, ihnen diese wegzunehmen, sondern, weitere hinzuzufügen. Wir vom Netzwerk Ella fordern auch Gefängnisstrafen statt der bisher im Nordischen Modell implementierten Bußgelder. Zwar steht jeder prostituierten Frau in Schweden bis dato frei, zu der ordnungspolitischen Bußgeldmaßnahme, die der Freier erhält, auch eine Anzeige wegen Vergewaltigung zu stellen, aber wir finden, dies sollte automatisch geschehen. Wenn die wirtschaftliche Notlage einer Frau auszunutzen, um sexuelle Handlungen an ihr zu vollziehen, eine Gewalttat ist, darf dies nicht mit einem Bußgeld erledigt sein!

Wir wenden uns außerdem gegen jede Regulierung, die prostituierte Frauen betrifft, weil diese Regelungen es uns Frauen noch schwerer machen, auszusteigen. Mit Haftstrafen und Bußgeldschulden steigt es sich nicht mehr so leicht aus!

Immer wieder: gegen Prostitution sein kann jedeR, aus den unterschiedlichsten Gründen, aber wir sind Abolitionistinnen, und das bedeutet: gegen Prostitution, aber für Prostituierte zu sein. Und das bedeutet eben auch: nicht zu spalten in „die arme unschuldige Zwangsprostituierte“ und „die freiwillige deutsche studierende Prostituierte“. Auch letztere haben ihre Gründe für das, was sie tun, und sie schulden uns keine Erklärung für ihr Verhalten. Und nein, auch sie sind nicht schuld daran, dass es Prostitution gibt – Prostitution gibt es, weil es Freier gibt. Ohne Nachfrage kein Markt! Es geht darum, solidarisch zu sein mit Prostituierten, auch wenn uns ihre Meinung, wie oft bei sog. Sexworkerinnenverbänden, nicht passt, denn die Strukturen betreffen auch sie, und diese sollten wir kritisieren, nicht die Frauen, die in ihnen handeln, und hier gehören Argumente her, auf Sachebene, keine persönlichen Beschuldigungen.

Feminismus bedeutet, Frauen zu befreien und nicht, ihre Ausbeutung bestehen zu lassen und lediglich ein bisschen erträglicher zu machen. Prostitution ist nicht deswegen verkehrt, weil es in ihr Menschenhandel und Zwangsprostitution gibt, sondern weil sie Gewalt an sich ist. Das Nordische Modell ist das einzige gesetzgeberische System, das Prostitution als Gewalt erkennt, als sexistische, rassistische und klassistische Gewalt gegen Frauen, und das konsequent danach handelt. Es kann nicht nur um den Ausstieg einzelner Frauen aus der Prostitution gehen, wenn wegen der hohen Nachfrage doch sogleich eine neue nachrückt, sondern es geht um den Ausstieg der Gesellschaft aus der Prostitution.

Es geht um die gesellschaftliche Entscheidung: ist Prostitution sexuelle Gewalt oder nicht?

Und wenn sie das ist, müssen wir die Konsequenzen ziehen, denn eine Gesellschaft, die Prostitution akzeptiert, ist eine Gesellschaft, die Gewalt gegen Frauen akzeptiert.

(c) Huschke Mau 2019

Please note: Dieser Text wird in einem Sammelband über Prostitution des Feministischen Bündnisses Heidelberg erscheinen.

QUELLEN:


[1] https://huschkemau.de/

[2] https://netzwerk-ella.de/

[3] Melissa Farley, eine u.s.-amerikanische Psychologin, hat herausgefunden, dass 57% der Frauen und Mädchen in der Prostitution davon berichten, in der Kindheit sexuell missbraucht worden zu sein, 49% berichten von teilweise schweren körperlichen Misshandlungen. Farley, Melissa, Prostitution in five Countries, 1998, S. 11: http://www.prostitutionresearch.com/ProstitutioninFiveCountries01182013.pdf, Datum des Abrufs: 14.10.2019

[4] Nimierski, Saskia, Sachgutbenutzung versus Dienstleistung – oder: warum Prostitution keine Dienstleistung wie jede andere ist, 2018, https://netzwerk-ella.de/index.php/2018/03/02/sachgutbenutztung-versus-dienstleistung-oder-waum-prostitution-keine-dienstleistung-wie-jede-andere-ist/, Datum des Abrufs: 14.10.2019

[5] Mau, Huschke, Warum ist Prostitution Gewalt?, 2019, https://huschkemau.de/2019/08/30/freiwilligkeit-und-prostitution/, Datum des Abrufs: 14.10.2019

[6] Farley, M.; Cotton, A.; Lynne, J.; Zumbeck, S.; Spiwak, F.; Reyes, M. E.; Alvarez, D.; Sezgin, U. (2003): Prostitution and Trafficking in Nine Countries: An Update on Violence and Posttraumatic Stress Disorder. In: Journal of Trauma Practice. 2(3/4): 33-74.

[7] Kleine, Inge, It´s an accident, stupid!, 2016, https://banishea.wordpress.com/2016/08/19/its-an-accident-stupid/, Datum des Abrufs 14.10.2019

[8] Sigel, Mira, Die Geschichte der Prostitution – keineswegs das älteste Gewerbe der Welt, 2016, https://diestoerenfriedas.de/die-geschichte-der-prostitution-keineswegs-das-aelteste-gewerbe-der-welt/, Datum des Abrufs: 14.10.2019

[9] Kalms, Nicole, No harm done? ‘Sexual entertainment districts’ make the city a more threatening place for women, 2017, https://theconversation.com/no-harm-done-sexual-entertainment-districts-make-the-city-a-more-threatening-place-for-women-81091, Datum des Abrufs: 14.10.2019

[10] Gwynne, Jacqueline, Myth: Legalising Prostitution reduces the Stigma, o.D., https://nordicmodelnow.org/myths-about-prostitution/myth-legalising-prostitution-reduces-the-stigma/, Datum des Abrufs: 14.10.2019

[11] Schon, Manuela, Das Nordische Modell – über Mythen, blinde Flecken und Realität, 2014, https://manuelaschon.blogspot.com/2016/04/das-nordische-modell-uber-mythen-blinde.html, Datum des Abrufs: 14.10.2019

[12] ebenso

[13] Udo Gerheim: Motive der männlichen Nachfrage nach käuflichem Sex. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. 9/2013, S. 44.

[14] https://dieunsichtbarenmaenner.wordpress.com/statistiken-ueber-freier/

[15] Schon, Manuela, Die Evaluation des norwegischen Sexkaufverbots, 2014, https://abolition2014.blogspot.com/2014/08/evaluation-des-norwegischen.html, Datum des Abrufs: 14.10.2019

[16] Netzwerk Ella, Pressemitteilungen zu den bundesweiten Bordellrazzien am 18. April 2018, 2018, https://netzwerk-ella.de/index.php/2018/04/19/pressemitteilungen-zu-den-bundesweiten-bordellrazzien-am-18-april-2018/?fbclid=IwAR2ddHw07GBGJMIRJgXu86oRGLQjs2CNYBebjzZHv1tQQuHnTa_iAJC2hlE, Datum des Abrufs: 14.10.2019

[17] Und nicht nur das: mein 1. Zuhälter war beim damaligen Bundesgrenzschutz, jetzt Bundespolizei.

[18] Ich hatte viele Freier, die Polizisten waren. Einer davon ermittelte beruflich gegen Menschenhandel. Als ich ihn fragte, wie er das übereinbekomme, schaute er mich an und sagte: „Ach, wieso, ich tu ja hier keinem weh, du willst das doch, du machst das doch freiwillig.“ Und das war eine Feststellung, keine Frage.

[19] Schon, Manuela: Schweden: Polizist wegen Prostitutionsnutzung suspendiert, 2018, https://abolition2014.blogspot.com/2018/05/schweden-polizist-wegen.html, Datum des Abrufs: 14.10.2019

[20] Häggström, Simon, Shadow’s Law: The True Story of a Swedish Detective Inspector Fighting Prostitution (English Edition), 2016

[21] Mau, Huschke, “Wenn wir das Nordische Modell einführen, wandert Prostitution in den Untergrund” – eine kleine Aufklärung, 2019, https://huschkemau.de/2019/09/14/wenn-wir-das-nordische-modell-einfuehren-wandert-prostitution-in-den-untergrund-eine-kleine-aufklaerung/, Datum des Abrufs: 14.10.2019

[22] Schon, Manuela, Mythbusting: Wenn man Sexkauf verbietet, wandert die Prostitution in den Untergrund, 2017, https://abolition2014.blogspot.com/2017/01/mythbusting-wenn-man-sexkauf-verbietet.html, Datum des Abrufs: 14.10.2019