Ich hab ganz schön überlegt, ob ich das hier posten soll. Aber dann wiederum denke ich mir, ich bin doch sicher nicht die einzige Frau, der es so geht. Und vielleicht hilft es Dir – wenn Du eine von denen bist, die auch denken, dass sie es nicht verdienen, dass es ihnen mal gut geht, oder dass sie überhaupt eh nicht verdienen, überhaupt zu existieren.
Mir geht es auch so. Ich hab von frühester Kindheit eingeprügelt bekommen, dass ich nicht da sein sollte. Eine Belastung bin. Und dass ich mich für mein Dasein entschuldigen muss und wiedergutmachen muss, dass ich existiere. Wie? Nun, indem ich erstens für andere von Nutzen bin (oder mich be-nutzen lasse) und zweitens, indem ich arbeite. Leistung, Leistung, Leistung! Dann bin ich wenigstens zu irgendetwas gut.
In meiner Kindheit war ich dazu gut, der Blitzableiter für schwere Gewalt zu sein. In der Prostitution war ich dazu gut, zu ficken. Das ist so tief drin in mir, dass ich noch heute misstrauisch bin, wenn Leute mich kennenlernen wollen. Sofort ist da der Gedanke: was wollen die von mir? Die wollen doch irgendwas von mir. Ich soll irgendwas für sie tun. Ihnen nützlich sein. Auf keinen Fall sind sie einfach nur so nett zu mir. Das gibt es nicht – da ist Berechnung, da sind Hintergedanken.
Leuten zu trauen fällt mir also schwer.
Noch heute erarbeite ich mir meine Daseinsberechtigung. Wenn ich mal einen Tag frei habe, kommen sofort die depressiven Gedanken. Was bist Du eigentlich so faul? Kriegst Du überhaupt irgendwas hin? Statt hier rumzuhängen solltest Du mal was tun. Bist Du denn eigentlich zu gar nichts nutze?
Und Freund haben ist ganz schlimm. Denn dass mich jahrelang in der Prostitution Männer sexuell missbraucht haben, ohne darauf zu achten, wie es mir geht damit, hat was mit mir gemacht. Warum sollte ein Mann mit mir zusammen sein wollen? Doch nur zum ficken. Und ich fühle mich immer, als würde ich das schulden. Denn das ist ja das einzige, wozu ich gut bin.
Ich habe Jahre meines Lebens damit verbracht, zu lernen, dass es sein könnte, dass ich friere, wenn ich zitter. Oder dass das Hunger ist, wenn mir der Bauch schon wehtut. Oder dass ich vielleicht müde bin, wenn mir so elend ist, dass ich gleich umkippe. Bedürfnisse benennen. Überhaupt erstmal fühlen. Schwierig, wenn man sich jahrelang von sich selbst abkapseln musste, die Verbindung zum eigenen Körper kappen musste, damit man nicht spürt, dass Männer einem wehtun.
Heute kann ich das. Essen. Schlafen. Mich warm anziehen.
Was noch nicht so gut geht, das sind die Extras. Sowas wie: in den Urlaub fahren (ganz schlimm), Klamotten kaufen, „sich was gönnen“. Ihr lacht da vielleicht drüber, aber ich bekomme da Nervenzusammenbrüche. Jedes Mal, wenn ich mir neue Klamotten gekauft hab, denke ich: so, jetzt kriegst du vom Schicksal eine rein. Du weisst genau, dass du das nicht darfst. Du darfst dir alles geben mittlerweile, was du zum funktionieren brauchst – aber nicht mehr. Das Schicksal hat genau gesehen, was du gerade getan hast. Das steht dir nicht zu. Um das auszugleichen, wird jetzt etwas schlimmes geschehen!
Ja, es klingt irre, aber ich bin tief in mir drin der festen Überzeugung, dass mir das Schicksal die Fresse polieren wird, dass etwas schlimmes geschehen wird, dass jemand sterben muss, wenn ich mir „was Gutes tu“.
Wenn es Dir auch so geht, dann ist das hier für Dich.
Ich kenne Deine Gedanken.
Aber Fakt ist: schlimme Dinge werden so oder so geschehen.
Ob Du gut für Dich sorgst oder nicht. Wahrscheinlich sogar eher mehr, wenn Du es nicht tust. Und vermutlich bist Du auch nicht mal halb so ein schlimmer Mensch, wie Du von Dir annimmst.
Ich habe heute nach wochen- und monatelangem Schreibrausch ein Fünftel meiner Doktorarbeit fertiggestellt. Etwas, von dem ich nie gedacht hätte, dass das mal passiert. Im DoktorandInnenseminar fühle ich mich immer noch unwohl. Ich denke immer: irgendwann finden die alle raus, dass Du eigentlich nix kannst. Und nur eine kleine, dumme Nutte bist. Zum ficken gut. Mehr nicht. Das ist, was hunderte und tausende Männer in mich hineingehämmert haben.
Tja.
Ich bin ja aber auch irgendwo ein kleiner, widerständiger Geist. Ich denke zwar so. Aber ich MÖCHTE nicht so denken. Und ich weiss, dass ich es ändern kann.
Deswegen habe ich mir heute eine kleine Wiedergutmachung für den Stress der letzten Tage und Wochen gegeben: seit ich 13 bin, hab ich mir ein Nasenpiercing gewünscht. Mit Glitzerstecker. Tja, und heute ist mir dann eingefallen, dass ich ja erwachsen bin und tun kann, was ich will! Und noch bevor ich zwei Mal darüber nachdenken konnte, hatte ich schon einen Termin gemacht, und ZACK, jetzt Glitzerglitzerglitzer!
Ich verspüre bereits ein schlechtes Gewissen. Und ich weiss, ich werde heute Nacht wachliegen und schlimme Dinge denken.
Das hast Du nicht verdient. Du egoistisches, selbstsüchtiges Stück. Nichts auf die Kette kriegen und dann so ein Vergnügungssuchti sein. Usw usw. usw.
Aber wenn DU diese Gedanken kennst, kann ich Dir eins sagen: der Trick ist, es TROTZDEM zu tun. Geh und tu es trotzdem. Wenn es etwas ist, das DU Dir wünschst und das niemandem schadet – TU ES. Es darf sich gut anfühlen!
Ich hab mich für heute freigekauft, indem ich eine Spende an ukrainische Katzenbebis verschickt habe. Die sollen was schönes zu essen haben. Die Nacht wird trotzdem scheisse, ich weiss es. Existenzielles Gedankenwälzen und so. Aber hey. Darum geht es nicht. Es geht darum, dass wir es TROTZDEM tun.
Im Patriarchat ist Selbstfürsorge und Liebzusichsein Widerstand!
Also go, GET THE GLITZERSTECKER!!!!!
Eure Huschke