„Wie bleibst Du immer so cool?“ Ich hab erst bisschen gelacht, als ich diese Frage gesehen habe. Aber dann fiel mir auf, dass sie doch irgendwie was mit Prostitution zu tun hat. Mit dem Schlimmsten, was einem in der Prostitution passieren kann: einer lebensbedrohlichen Situation und dem Versuch, diese zu überleben.
Ich war jahrelang in der Prostitution und halte nunmehr auch schon jahrelang Vorträge über Prostitution und auch über das Nordische Modell. Ich setze mich aufs Podium, ich stelle mich den Fragen von ProstitutionsbefürworterInnen, JournalistInnen, Menschen aus dem Publikum. Und manchmal geht das nicht ohne Beleidigungen, Beschämungen und Aggressionen ab – vor allem bei Liveveranstaltungen vor Ort werde ich immer ganz schön angegriffen. Manchmal gibt es auch kleine Demos von „Sexarbeiterinnen“ und Freiern gegen meine Anwesenheit. Bei einer Veranstaltung in Berlin war diese Demo vor der Tür des Veranstaltungsortes, und ich konnte da nicht hindurchgehen, da die Gefährdungslage nicht einschätzbar war. Also musste ich, die Referentin, in irgendwelchen Hinterhöfen über Zäune klettern, um den Veranstaltungsort durch den Hinterausgang zu erreichen Uncool? Aber hallo.
Wie bleibe ich also so cool, obwohl ich bedroht und angegriffen werde?
Ich mache mich jetzt megaangreifbar, aber das Thema ist wichtig. Ich verrate es euch gleich: Ich bin überhaupt nicht cool. Das sieht nur so aus. In Wirklichkeit habe ich Megalampenfieber. Vor jeder, wirklich jeder Veranstaltung fällt mir eine Stunde vor Beginn ein, dass ich ja eigentlich gar nichts kann. Während der Veranstaltung schwitze ich wie ein Tier (note an VeranstalterInnen: hört bitte endlich auf, so piepelkleine NullkommadreiLiterWasserflaschen auf die Podiumstische zu stellen, die nützen NICHTS) und habe teilweise sogar Panikattacken. In Österreich hatte ich mal eine, während ich einen Vortrag gehalten habe. Ich war fest überzeugt, gleich zu sterben und / oder ohnmächtig zu werden. Komischerweise hat das niemand bemerkt – im Gegenteil wurde mir nachher gesagt, ich hätte so souverän und gelassen gewirkt.
Das ist aber nicht, wie ich mich in diesen Momenten fühle. Wenn ihr mich vor der Kamera oder auf der Bühne seht, könnt ihr sicher sein, dass ich die Hosen gerade gestrichen voll habe.
Das sieht nur deswegen nicht so aus, weil ich drei Freunde habe, auf die ich mich verlassen kann.
Der erste Freund ist ADRENALIN. Sobald ich vor eine Kamera oder auf ein Podium trete, kickt es rein und macht, dass ich mich so dermaßen gut fokussieren und konzentrieren kann wie sonst nie. Wenn ihr mal irgendeine Denkaufgabe lösen müsst, mein Tipp: tut es nicht im stillen Kämmerlein. Sorgt für maximale Adrenalinausschüttung. Viel Adrenalin = gute Denkergebnisse.
Mein zweiter Freund ist mein eigener Leistungsdruck und Perfektionsdrang. In dem Moment, in dem mir öffentlich Fragen gestellt werden, bin ich so darauf fokussiert, nicht zu versagen, dass ich einen richtigen Tunnelblick habe. Ich sehe nur noch die Frage, die mir gestellt wurde, vor mir und denke: „Du musst alles tun, um die so gut wie möglich zu beantworten.“ Daneben existiert dann einfach nichts mehr.
Mein dritter Freund ist meine Selbstdisziplin. In der Prostitution war ich so oft in gefährlichen Situationen, weil irgendwelche Freier aggressiv waren oder ich gespürt habe, dass ich mich in einer bedrohlichen Lage befinde. Und mir war immer klar, wenn ich das jetzt anspreche oder Panik kriege, eskaliert das, und ich werde verletzt. Oder umgebracht. Es hat manchmal geholfen, so zu tun, als wüsste ich nicht, in welcher Lage ich mich befinde – um den Freier nicht weiter zu reizen oder um ihn nicht zu provozieren. Dafür war es notwendig, dass ich meine Todesangst nicht zeige, genauso wie ich in der Prostitution gegenüber Freiern so vieles nicht gezeigt habe: Scham, Ekel, Verachtung, Abneigung, Langeweile, Müdigkeit. Dissoziieren zu können, sich abspalten zu können, Gefühle abspalten, verbergen, unterdrücken zu können ist eine der “Einstellungsvoraussetzungen” in der Prostitution. Kannst Du das nicht, hast Du schlechte Karten. Viele Frauen und Mädchen in der Prostitution haben zuvor schon durch Gewalt / Missbrauch gelernt, genau das zu tun.
Es gibt mehrere Situationen, in denen die „Coolness“ und das völlige Verbergen meiner wahren Gefühle mir das Leben gerettet haben. Wenn mein Stiefvater mal wieder ausgerastet war, hat er uns alle manchmal ins Auto geprügelt und eine Amokfahrt gestartet. Wir alle haben gefühlt, er will uns totrasen. Er will gegen den Baum, er will auf der Gegenfahrbahn mit einem Auto kollidieren, er will uns zeigen: ihr gehört mir, ich mache mit euch, was ich will, und wenn ich euch umbringen will, tue ich das. In dem Auto herrschte bei sowas immer eine Totenstille. Ich bin mir sicher, hätte auch nur irgendjemand von uns einen Pieps gesagt vor lauter Angst, er hätte das Auto sofort gegen einen Baum gelenkt.
Dasselbe Spiel, wenn er uns fast totgeprügelt hat. Angst zu zeigen oder zu weinen hiess, ihn in seinem Gewaltrausch herauszufordern. Wenn er mich als Kleinkind aus dem Fenster des 6. Stocks hielt um mir zu zeigen, dass er alles mit mir machen kann, auch, mich aus dem Fenster zu werfen, habe ich keinen Mucks gesagt. Cool bleiben. Mit dem Leben innerlich abschliessen. Absolute Selbstkontrolle. Wenn Du jetzt in Panik verfällst, bringt er Dich um.
Das habe ich Zuhause gelernt, das war die Voraussetzung dafür, dass ich in der Prostitution überlebt habe. Die schlimmste Situation für mich war die, in der ich einen Hausbesuch hatte bei einem anscheinend völlig gestörten Typen, der im Wald wohnte. Er holte mich an einem bestimmten Punkt in der Stadt ab, wir fuhren dorthin. Mitten im Wald. Das Haus war mit Stacheldraht umzäunt, mehrere gro0e Hunde hatte er dort. Es gab keinen Handyempfang, und er zeigte mir als erstes seinen Waffenschrank und fragte in widerlich sadistischer Manier: „Na, hast du Angst jetzt?“
Für mich war klar, ich komme hier nicht mehr lebend raus. Der bringt mich um und verbuddelt mich.
Und mir war klar, den geilt meine Angst auf. Wenn ich sie zeige, eskaliert es. Also habe ich so getan, als würde ich überhaupt nicht merken, was hier abgeht. War einfach weiter in meiner Rolle, war frech, war cool, war lustig. Habe alles hinter mich gebracht und bin tatsächlich unbeschadet aus dieser Situation rausgekommen. Geheult habe ich danach Zuhause.
Ausgelebte Panik ist gefährlich und hilft nicht beim Überleben.
Aber Cooltun rettet manchmal Leben.
Und so schaut das eben manchmal so aus, als wäre ich supergelassen, während ich in Wirklichkeit auf einem Podium meinen Rock durchschwitze und mein Herz stolpert.
Richtig schlimm wird es aber eigentlich erst danach. Von so viel Adrenalin runterkommen ist wie von Crystal oder Kokain runterkommen: wahnsinnig, wahnsinnig unangenehm. Ich liege nach JEDER Veranstaltung, bei der ich über Prostitution gesprochen habe, die ganze Nacht wach und habe Panikattacken und fühle mich irre elend.
Umso mehr freut es mich, wenn ich positive Rückmeldung und so viel Support bekomme. Wenn ihr mich also mal vor oder nach einem Vortrag seht: sprecht mich ruhig an, aber rechnet damit, dass ihr mir Sachen eventuell mehrfach erzählen müsst. Denn auch wenn ich gelassen wirke, habe ich in so einem Moment heftig die Hosen voll und ein Adrenalinlevel bis an die Decke.
Warum ich das alles trotzdem tu? Ich denke einfach, das Thema ist wichtiger als ich. Ich hab nicht vor, mich damit fertig zu machen oder runterzuwirtschaften, aber ein bisschen kann man schon in die Waagschale werfen.
Das Thema ist so wichtig, und ich habe diese Vision, dass wir gemeinsam etwas dafür tun können, dass es weniger Gewalt gegen Frauen und Mädchen gibt.
Dazu gehört auch: eine Welt ohne Prostitution, eine Welt ohne sogenannte „häusliche Gewalt“ – und ich bin mir sicher, das ist machbar!