Guten Morgen. Ich habe heute Nacht nicht geschlafen. Keine einzige Minute.Ich bin gestern auf einer Veranstaltung über Prostitution von Linken als „rassistisch“ bezeichnet worden, weil ich als Exprostituierte auf den Rassismus in der Prostitution aufmerksam gemacht habe. In dieser Nacht habe ich kein Auge zugetan und deswegen genügend Zeit gehabt, das zu durchdenken, was mich als Linke an Debatten in der Linken, und da zähle ich Teile der Grünen Jugend dazu, gerade so ankotzt. Vorsicht – es wird grundlegend.Erstmal: was ist gestern geschehen? Ich bin Exprostituierte und Aktivistin für die Abschaffung der Prostitution und war auf einer Informationsveranstaltung über Prostitution als Referentin eingeladen. Dabei sind unter anderem folgende Dinge geschehen:
– Ich wurde als „rassistisch“ bezeichnet, weil ich darauf aufmerksam gemacht habe, dass in der Prostitution Rassismus stattfindet und weil ich gesagt habe, dass Freier Ethnien fetischisieren und rassistische Stereotype festigen und ausleben: „devote Thaifrauen“, „hemmungslose schwarze Frauen“, „tabulose unemanzipierte Osteuropäerinnen“ usw. – die exakte Sprache, mit der nichtdeutsche Frauen in Freierforen belegt werden, möchte ich hier nicht wiederholen… Dies, wurde mir gesagt, sei „problematisch“ von mir, da ich wöllte, dass Freier nicht mehr mit „weißen“ Frauen schlafen, und da ich jede „Attraction“ zu „nichtweißen Frauen“ als pervers und Fetisch einordnen würde. Darauf, dass in Deutschland ein neuer (alter?) Kolonialismus herrscht, der es erlaubt, dass deutsche Männer sich Frauen (und Jungs und Männer) aus wirtschaftlichen Krisengebieten und aus Kriegsgebieten sexuell verfügbar machen, wurde nicht eingegangen. Anzumerken, dass in Deutschland struktureller Rassismus herrscht, der sich vor allem auch in der Prostitution manifestiert, macht mich augenscheinlich zur „Rassistin“.
– Ich wurde als „migrantenfeindlich“ bezeichnet, als ich darauf hingewiesen habe, dass es vor allem Menschen aus sehr armen Ländern sind, die hierzulande in der Prostitution von deutschen Männern sexuell ausgebeutet werden: Frauen aus den Armenhäusern Europas, aber auch geflüchtete Männer, die sich z.B. im Berliner Tiergarten unter Elendsbedingungen prostituieren.
– Ausserdem wurde mir abgesprochen, Betroffene zu sein mit der Begründung, ich sei ja aus der Prostitution ausgestiegen und sei damit keine Betroffene und keine „Sexarbeiterin“ mehr. Mein Betroffenenstatus wurde mir also aberkannt. Außerdem sei ich dagegen, mit Betroffenen zu sprechen. Dass das allein schon deswegen Quatsch ist, weil ich das Netzwerk Ella gegründet habe, DAMIT Frauen aus der Prostitution sprechen können und mehr Gehör finden, war für die, die vorgegeben haben, mir zuzuhören, kein valider Punkt.
Ich habe jetzt die ganze Nacht wachgelegen und vor mich hingedacht. Das hier war ja nicht das erste Mal, dass ich als Exprostituierte, die über die Realitäten in der Prostitution spricht, ausgerechnet von linken Gruppen auf unterstem Niveau und außerhalb jedweder Sachebene angegriffen worden bin. Das schmerzt mich umso mehr, weil ich mich selber als linke Person begreife, und ich möchte heute dazu folgendes sagen:Ich habe nichts gegen harte Diskussionen, ich bin Aktivistin und brauche keine Kuschelatmosphäre, um zu sprechen, und auch keine falsche Rücksichtnahme, bloß weil ich betroffen – weil selber ehemalige Prostituierte – bin. Aber gestern, das war einmal wieder ein Anzeichen für diejenigen Absurditäten in linken Debatten, denen ich nicht mehr folgen kann.Ist es nicht Rassismus, strukturellen Rassismus zu leugnen?Ist es nicht absurd, Menschen, die auf strukturellen Rassismus hinweisen, als RassistInnen zu bezeichnen?Ist es nicht der Inbegriff von Betroffenenfeindlichkeit, Diskriminierung und Stigmatisierung, eine Betroffene, bloß weil deren Meinung einem nicht passt, mit dem Ziel der Bekämpfung von „Betroffenenfeindlichkeit“ fertigzumachen und ihr den Betroffenenstatus abzusprechen?
Ich bin Aktivistin und Exprostituierte. Ich verstehe Prostitution als Gewaltverhältnis, als sexistisches, rassistisches und klassistisches System, das abgeschafft gehört. Diese meine Meinung muss man nicht teilen. Und ich möchte auch nicht falschverstanden werden: es geht mir nicht darum, dass man mir bedingungslos zustimmen und alles abnicken muss, was ich sage. Aber mir fällt zum wiederholten Male auf, dass die DEBATTENKULTUR innerhalb vieler linken Gruppen eigentlich keine ist, weil sie grundlegend unsachlich und persönlich angreifend ausschaut. Für mich stellt sich das so dar, dass eine Schicht von Menschen innerhalb der Linken, die ich vor allem aus bürgerlichen und bildungselitetechnischen Milieus kommen sehe, es in Ordnung findet, Betroffene zu beleidigen, weil deren Realitäten nicht in die eigene Weltanschauung passt. Diese Entsolidarisierung macht mir schlaflose Nächte. Ich sehe zunehmend, dass für eine vor allem aus der Oberschicht stammende Linke die Klassenfrage anscheinend nicht mehr existiert und Menschen aus prekären Verhältnissen damit nicht mehr zugehört wird. Ich sehe, dass Prostitution zunehmend als identitätsstiftend benutzt wird: als etwas, womit, Verzeihung, vor allem Menschen, die nie wirklich mit Prostitution zu tun hatten, sich gegenseitig versichern können, wie „sexpositiv“, „liberal“ und „offen“ sie sind, weil sie es bejahen. Dass die Realitäten in der Prostitution, die Machtverhältnisse, die sexuelle Gewalt, die dort stattfinden, da nur stören, ist vor allem dann logisch, wenn man den eigenen „Only Fans“-Account vor sich herträgt um sich selbst zu beweisen, wie progressiv man ist. Reale Betroffene und reale Machtstrukturen stören da nur, und es geht vor allem darum, die, die sprechen, als „problematisch“ zu markieren, damit man ihnen nicht zuhören muss. Aber ist das noch linker Aktivismus, wenn man den ganzen Tag damit beschäftigt ist, Dinge zu finden, die „problematisch“ sind, nur damit man die realen Probleme und Kämpfe nicht mehr sehen muss? Ist das noch linker Aktivismus, wenn Betroffene dafür fertiggemacht werden, dass sie von Realitäten erzählen, die nicht in euer ach so progressives, wokes, fancy Weltbild passen? Was ist das für ein Weltbild, das vor allem um die eigene Identität kreist, und das Machtungleichgewichte und Diskriminierung und Gewalt vor allem dadurch lösen will, dass man sie umbenennt, verschweigt und ignoriert?
Teile der Linken haben sich entkoppelt von der Realität, und das hat zur Folge, dass ich mich entkoppelt fühle von ihnen, von ihrer Weltsicht und ihrer Art von „Diskussion“. Es ist nicht das erste Mal, dass ich als „problematisch“ gelabelt wurde, weil es bestimmten Leuten nicht passt, was ich sage. Und da kommt es dann eben auch zu so absurden Dingen wie, mir „Rassismus“ vorzuwerfen, wenn ich auf Rassismus hinweise, mir als Betroffener „Betroffenenfeindlichkeit“ zu unterstellen oder mich als „unfeministisch“ zu bezeichnen, wenn ich anmerke, dass in der Prostitution eben größtenteils MÄNNER sexuellen Zugang zu FRAUEN kaufen (und nicht, wie ich belehrt wurde: „alle Geschlechter und alle dazwischen bei Freiern und Menschen in der Prostitution vorzufinden sind“). Sorry, aber das ist nicht die Realität. Auf dem Straßenstrich stehen und im Wohnungsbordell sitzen eben größtenteils keine Menschen, die sich täglich neue Pronomen für ihre Geschlechtsidentität ausdenken, sondern da sitzen und stehen eben größtenteils Frauen, die sexuell ausgebeutet werden. Und da sitzen auch keine Menschen, denen damit geholfen wäre, das Sprechen über Rassismus als Rassismus zu problematisieren, sondern die sich real in rassistischen Diskriminierungsstrukturen befinden. Und da sitzen und stehen auch keine Menschen, die Debatten über „Freiwilligkeit“ führen, weil ihre Armut ihnen in den meisten Fällen nämlich überhaupt keine Wahl lässt.
Es tut mir nicht Leid, dass euch diese Realitäten nicht fancy genug sind. Es bereitet mir Kopfschmerzen, wenn ich sehe, wie Teile der Linken sich so sehr von Realitäten entkoppelt haben, dass die Klassenfrage oder Geschlechterverhältnisse ihnen so grundlegend fremd sind, dass Solidarität für sie nur noch dann in Frage kommt, wenn Betroffene maskottchengleich nachplappern, was sie selbst gerne hören würden, weil sie es für die Bildung ihrer Identität als woke und progressiv brauchen und wenn es ihre Weltsicht bestätigt, in der es anscheinend nur noch um sich selbst und die eigene Identität geht. Mir bereitet Sorge, dass sich eine Debattenkultur etabliert, in der es nicht mehr um den Austausch von Sachargumenten geht, sondern darum, missliebige Meinungen als „problematisch“ zu labeln. Beispiel dafür gestern: Ich bin also Rassistin und „nicht betroffen weil ausgestiegen“, dass das Nordische Model gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution hilft, wurde „nicht geglaubt“. Argumente dagegen gab es keine. Auf meine Bitte, dann doch zu äußern, wie man die Gewalt in der Prostitution denn anders zu lösen gedenke, kamen keine Vorschläge.Und ganz ehrlich?Dann seid doch bitte so direkt und formuliert es aus: Betroffene von Menschenhandel und Zwangsprostitution, Frauen, die Gewalt in der Prostitution erleben, sind euch scheißegal. Ihr braucht ein paar Maskottchen, die euch ihren Onlyfansaccount und ihre fancy nonbinary Geschlechtsidentität als cool verkaufen, damit ihr euch selbst besser fühlen könnt. Ihr braucht keine Argumente und keine politische Analyse, sondern ihr wollt emotionale Wahrheiten einiger weniger „freiwilliger Sexworker*_Innen, die sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen“, weil ihr euch besser fühlt, wenn ihr die Realität ausblendet. Dass ihr dafür Absurditäten in Kauf nehmt wie die, das Ansprechen von Rassismus als Rassismus zu bezeichnen oder das Aufdecken der Geschlechterverhältnisse in der Prostitution – Männer kaufen Frauen – als „undifferenziert“ zu bezeichnen oder Betroffene fertig zu machen, weil sie nicht das sagen, was ihr hören wollt, ist da nur recht und billig. Die Realität ist ein Störfaktor, und die Debatten sind mittlerweile so, dass ich als linke Person lieber bei der CDU eingeladen werde als bei einigen linken Gruppen, weil ich nämlich bei der CDU wenigstens nicht beleidigt werde und der äußere Anstand gewahrt wird, während ich in einigen linken Gruppen regelmäßig beleidigt, verleumdet und angekreischt werde, als „Rassistin“, als „gewaltvolle Person“ (weil ich sage, dass es Frauen sind, die in der Prostitution von Männern gekauft werden) und weil ich, wie mir auch schon vorgeworfen wurde, anscheinend „will, dass Sexworker*_Innen sterben!!!11elf“.
Ich habe dieser „Debatte“ mit Leuten wie euch nichts mehr hinzuzufügen, ich stehe sprachlos vor einer linken Kultur, die vergessen hat, was strukturelle Kritik ist, was politische Analyse ist, was Kapitalismuskritik ist, und ich fühle mich entkoppelt von dieser Strömung innerhalb der Linken, die mich als Frau aus prekären Verhältnissen mit einer traumatischen Gewaltgeschichte und mit Prostitutionserfahrung, die sich ihre Bildung hart und selber erarbeiten musste, dafür fertigmacht, dass sie nicht willens ist, die Klassen- und Geschlechterfrage einer Wohlfühl- und Identitätspolitik zu opfern, die doch nichts weiter als Narzissmus und Egozentriertheit ist. Es geht nur noch darum, Personen, die unliebsame Wahrheiten aussprechen und von gewaltvollen Realitäten berichten, fertigzumachen dafür, dass sie das eigene Weltbild stören. Und perverserweise wird dieses Fertigmachen, dieses Beleidigen, dieser Mangel an Grundrespekt und Sachlichkeit NICHT als gewaltvoll gelabelt. Der Mangel an Analyse und Argumenten wird mit Aggression wettgemacht, und Realitäten, die mit der eigenen Identität nicht vereinbar sind, sind nur noch Störfaktor und alles, was das eigene Weltbild in Frage stellt, wird als „problematisches Sprechen“ bezeichnet und vom Diskurs ausgesschlossen.
Aber Betroffene von Prostitution sind nicht dafür da, eure Wohlstands- und Privilegienverwahrlosung zu unterstützen und Prostitution als etwas darzustellen, das okay ist, nur damit ihr euch mit eurem OnlyFansAccount fancy und cool und sexpositiv und progressiv vorkommen könnt. Und ich verabscheue zutiefst dieses Handeln, Menschen, die nicht die Zeit haben, sich den ganzen Tag eure schrägen Identitätspolitiken in den Kopf zu stellen und eure woken Fantasien nachzuvollziehen, als unwichtige Stimmen wahrzunehmen. Ihr seid für mich nichts weiter als Neoliberale, die patriarchale und kolonialistische Ideen in einen sexygeilen, schicken Anzug stecken und Glitzer draufstreuen, um sich daran zu erfreuen, wie toll sie selber sind. Mit Solidarität, mit Analyse, mit Kapitalismuskritik oder gar Feminismus hat diese wohlstandsverwahrloste Anstandslosigkeit nichts mehr zu tun. Ihr tretet nicht für alle Menschen ein, nur für euch selber, für privilegienverseuchte Bürgikids, die sich als Elite empfinden. Tut mir und euch den Gefallen und geht dorthin, wo ihr eigentlich hingehört: in die FDP. Ich habe es satt, eure Alibireferentin zu sein, die ihr einladet, damit man euch nicht vorwerfen kann, eure Debatte „unausgewogen“ zu führen. Das hat nichts damit zu tun, dass ich finde, man müsse mir in allem zustimmen, was ich sage und tue. Sondern damit, dass ich das, was gestern und auch schon viele Male zuvor passiert ist, als gewaltvoll erlebe, und dass diese neoliberale und patriarchale Kackscheisze mir nicht schöner wird, bloß weil man sie mir von Links und Grün entgegenschleudert. Ich als Exprostituierte, die Prostitution als Gewalt erlebt und analysiert hat, und die für eine Abschaffung der Prostitution eintritt, weil Prostitution eine sexistische, rassistische und klassistische Institution ist, verachte in linken Kreisen sich rumtreibende wohlstandsverwahrloste Bürgikids, die eine ordentliche Kapitalismuskritik durch emotionale Wahrheiten Einzelner ersetzen und die sich Betroffene als Maskottchen heranzüchten, die dafür da sind, ihr eigenes Wohlfühlweltbild zu bestätigen, einfach richtig hart. Und ich sehe die Entkopplung, die hier stattfindet, eure Entkopplung von der Realität und euer Verlorensein in Diskursen, die einfach nur noch absurd sind. Und ich sehe auch meine Entkopplung von euch. Ich nehme sie hin und nach dieser Nacht muss ich endgültig sagen:
Ich stehe euch RealitätsverleugnerInnen, AnalyseverweigererInnen und LifestyleLinken nicht mehr zur Verfügung.
Und damit habe ich fertig.