Mein Körper ist mein Gefängnis

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Ich bin Opfer schwerster Kindesmisshandlung. Ich bin Opfer von Kindessexualisierung und auch von Prostitution.

Und ich möchte heute davon berichten, wie es ist, wenn mein Körper sich erinnert.

Viele wissen, dass schwere Gewalttaten Narben auf der Seele hinterlassen und auch, dass diese Gewalttaten zumindest kurz nach der Tat medizinische Komplikationen, körperliche Beschädigungen usw. nach sich ziehen können. Aber wenige wissen, dass es auch eine Veränderung am Körper gibt, die man nicht sieht: die eingeprägte Erinnerung an das, was einem angetan worden ist.

Das beste Beispiel dafür sind Panikattacken. Ich habe richtig heftige Attacken, manchmal muss der Notarzt kommen. Ich bekomme keine Luft, sinke zu Boden, mein Herz rast, ich habe das Gefühl, ohnmächtig zu werden. Es ist wie sterben ohne zu sterben. Das macht Menschen, die das miterleben, hilflos. Sie versuchen, mich zu beruhigen. Sie sagen Dinge wie: „Aber schau doch mal, gerade ist doch gar nichts, hier ist doch gar nichts, wovor Du Angst haben muss, Du bist total sicher gerade!“

Sie verstehen nicht, dass es verinnerlichter Terror ist, der macht, dass ich mich fühle, als würde ich sterben. Was ich erlebt habe, die Folter, der Terror, hat sich in meinen Körper, in meine Nervenbahnen eingebrannt. Zuhause: stundenlang nackt strammstehen zu müssen, während man angeschrien wird. Den Kopf unter Wasser getaucht zu bekommen. Zu hören, wie meine Mutter vergewaltigt wird. Mit anzusehen, wie meine Geschwister fast totgeprügelt werden. Oder selber so verdroschen zu werden, dass es nur dem Zufall zu verdanken ist, dass man überlebt. Die ständige Anspannung, die Angst vor einem erneuten Gewaltausbruch. Die vergiftete Stimmung, das Gekeife, Runtergemache, Abgewerte, das Fertigmachen. Das Festgehalten werden unter der Bettdecke, der schwere Atem, die Hitze, das sich nicht bewegen dürfen, weil man weiß, der Griff wird sonst nur noch fester. In der Prostitution: das Lächelnmüssen, wenn man als geile Schlampe bezeichnet wird, das Durchhaltenmüssen, wenn man den Freier auf dem Zimmer bedient, obwohl der aggressiv ist. Die Verzweiflung, wenn ein Freier auf einem liegt und man einfach nur noch weg will, aber nicht darf, weil nebenan der Zuhälter sitzt.

All das hinterlässt Spuren im Körper. Die Anspannung, sie brennt sich ein. Die Anspannung, die Angst, der Alarmzustand.

Noch heute nutzt mein Körper, ohne, dass ich es will, diese Reaktionen, wenn ihn etwas an früher erinnert.

Wenn ich totgequatscht und vollgelabert werde und aus der Situation nicht raus kann.

Wenn mich jemand festhält, obwohl ich das nicht will.

Wenn mir jemand mit seinem Körper Fluchtwege verbaut, mich einfach nicht weglässt.

Wenn jemand seine körperliche Überlegenheit ausnutzt, um mich niederzudrücken, festzuhalten, an sich zu drücken, ohne, dass ich das will.

Dann dreht mein Körper durch. Er kennt den Terror noch. Es beginnt in meinem Nacken, dort spüre ich den Adrenalinausschuss als würde mir jemand mit einer Pistole in den Nacken schießen. Kommt er daher, der Spruch „Die Angst sitzt mir im Nacken?“ Ich weiß es nicht. Und dann, das Adrenalin. Das gegen meinen Willen durch meine Adern rast. Die Anspannung am ganzen Körper, so fest, als sei ich aus Stein, und ich bekomme keine Luft mehr. Alles zieht sich so fest zusammen, als wären meine Nerven aus Drahtgitter, die irgendjemand immer fester zieht. Und schon bin ich wieder drin.

In dieser Verzweiflung, nicht aus der Situation rauszukommen. In dem Bemühen, die Tränen zurückzuhalten, weil ich weiß, dass das die Täter nur noch mehr erregt. In dem Wissen, ich muss stillhalten, denn wenn ich mich wehre, wird alles nur noch schlimmer. Und in dem Bewusstsein, dass ich allein bin, völlig allein auf dieser Welt, haltlos, bodenlos, ein Dreck, der nur durch Zufall noch lebt. Der ins Bodenlose fallen kann, jederzeit, der umgebracht werden kann, vergewaltigt, festgehalten, geschlagen, angespuckt, halt kein Mensch.

Mein Körper ist ein Gefängnis. Zieht die Blicke von Tätern auf sich, macht mich angreifbar. Mein Körper, er hält mich fest an einem Ort, nämlich in ihm, er ist es, der macht, dass ich gewalttätigen Situationen nicht entkommen kann, weil jemand ihn festhält. Kein Wunder, dass ich dann das Bedürfnis habe, mich selbst zu verletzen, meinen Körper zu bestrafen dafür, dass ich in ihm gefangen bin. Oder dass der Gedanke an Suizid da ist, Hauptsache, weg aus diesem Körper.

Heute ist so ein Tag. Gestern hat sich mein Körper an etwas erinnert, weil ich vollgelabert wurde und aus der Situation nicht raus durfte. Mein Körper glaubt, ich wäre noch immer in dieser Folterhölle, es wäre noch immer so, dass stundenlang auf mich eingeredet wird, was für ein Dreck ich bin, das Letzte. Dass ich stundenlang angeschrien werde, dabei ganz stillstehen muss, nackt, mich nicht bewegen darf, nicht mit meinen Händen bedecken darf, was der Täter an mir so geil findet, während er mich niedermacht. Ich weiß nicht, was ich heute Nacht geträumt habe. Ich weiß nur, dass nach dieser Situation gestern mein Körper all die Verzweiflung und das Bodenlose wieder hochgespült hat. Es lauert in meinen Nerven, es ist physisch. Es ist eine Spur, die sich eingebrannt hat in mich. Da kann mein Kopf wissen, es ist vorbei: mein Körper, der weiß das nicht.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen – Schläge, Folter, Abwertungen, Schreien, Vergewaltigung, Prostitution – hinterlassen Spuren. Auf der Seele. Am Körper. Und auch darin: tief, tief im Körpergedächtnis eingebrannt sind die Bilder, die sich nie wieder löschen lassen.

Als hätte sie mir jemand von innen in die Haut geritzt, sie bleiben, für immer und immerimmer, wie Steinzeitkritzeleien an Höhlenwänden.

© Huschke Mau