Impulsvortrag beim Fachgespräch zum Thema Prostitution für die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag am 19. September 2023

    Meine Damen und Herren, vielen Dank für die Einladung zum Fachgespräch. Ich bin sehr froh darüber, dass dieses wichtige Thema der Prostitution heute hier diskutiert werden wird. Ich sitze hier als Betroffene von Prostitution, aber auch als Expertin. Und ich soll heute darüber sprechen, ob das Prostitutionsgesetz von 2002 und das Prostitutionsschutzgesetz von 2017 gescheitert sind. Die kurze Antwort lautet: ja. Aber mir liegt noch mehr auf dem Herzen.

    Ich möchte zunächst, dass Sie verstehen, was Prostitution ist. Denn auch in diesem Raum sitzen Menschen, die sich mit dem Thema nicht auskennen, und die immer noch glauben, es gäbe freiwillige, selbstbestimmte Sexarbeit, Legalisierung mache alles sicherer und es handle sich um ein Nischenthema.

    Ich bin Anfang der 1980er Jahre in Ostdeutschland geboren worden. In meiner Familie gab es extreme seelische und körperliche Gewalt, ausgehend von meinem Stiefvater. Ich spreche von Prügel, die zu Gehirnerschütterungen führte, ich spreche von Folter wie Waterboarding, ich spreche davon, dass wir Kinder mitanhören mussten, wie meine Mutter vergewaltigt wurde, ich spreche von sexueller Belästigung gegenüber uns Kindern. Mit 17 bin ich von Zuhause weggelaufen. Ich bin komplett durch das soziale Netz gefallen, ich habe keine Hilfe bekommen. Dann habe ich meinen ersten Zuhälter kennengelernt. Er brachte mich in die Prostitution. Er war Polizist. Ich habe in Wohnungsbordellen angeschafft und Haus- und Hotelbesuche gemacht. Ein späterer Bordellbetreiber war in der Organisierten Kriminalität tätig. Mein Ausstieg hat mehrere Jahre gedauert. Wenn Sie jetzt denken, es handle sich um einen schlimmen Einzelfall, dann darf ich Sie enttäuschen. Meine Geschichte ist eine Standardgeschichte, was den Einstieg in die Prostitution betrifft. Ich habe in allen Bordellen, in denen ich war, immer nur von Frauen gehört, auf die exakt diese 4 Einstiegsmotive zutrafen: eine sexuelle Vortraumatisierung, bereits an die Abwertung als Frau gewöhnt zu sein, eine extrem prekäre finanzielle Notlage ohne gefühlte Alternative und eine Person, die beim Einstieg hilft: ein Zuhälter. 57% aller Frauen und Mädchen in der Prostitution sind als Kind sexuell missbraucht worden, 49% geben an, schwer geschlagen worden zu sein.[1] Die Polizei schätzt, dass 9 von 10 Frauen in der Prostitution einen Zuhälter haben.

    Heute habe ich es geschafft – ich habe ein abgeschlossenes Studium, ich bin Autorin, ich bin Doktorandin, ich setze mich ein für die Abschaffung der Prostitution. Und ich habe eine schwere Posttraumatische Belastungsreaktion. Das verbindet mich mit 68% aller Frauen und Mädchen in der Prostitution.[2] Das ist eine höhere Prävalenz, als sie Soldatinnen und Soldaten aufweisen, die im Kriegseinsatz waren. Keine andere Berufsgruppe weist eine derartig hohe Traumatisierungsrate auf. Warum ist das so? Es ist so, weil Prostitution kein Beruf ist, sondern Gewalt.

    Ich kenne keine einzige Frau, die in der Prostitution ist, weil sie sich sexuell ausleben möchte. Prostitution, das bedeutet, Sex in Kauf zu nehmen. Ihn zu dulden, stillzuhalten, über sich ergehen zu lassen, weil man muss. Weil man das Geld braucht und keine Alternative hat, oder weil man sonst Prügel vom Zuhälter bekommt. Sex in der Prostitution ist unerwünschter Sex. Ist Sex, bei dem man sich wegmacht, mit Alkohol, mit Drogen oder indem man die Seele vom Körper abspaltet. Weil die Seele sich davor schützen muss, Dinge zu riechen, zu schmecken, zu sehen, zu fühlen, die man ablehnt. Und trotzdem dabei zu lächeln.

    In der Diskussion um Prostitution geht es immer nur um die Frage der Freiwilligkeit. Und oft wird so getan, als könnten wir dieses Ausbeutungssystem nicht abschaffen, solange es auch nur eine einzige Frau auf der Welt gibt, die von sich sagt, dass sie es freiwillig tut. Dabei gaben in einer Befragung von insgesamt 785 in der Prostitution tätigen Frauen und Mädchen 89%, also 9 von 10 an, sie wünschten sich nichts mehr als einen Ausstieg.[3] Wir können noch hundert Jahre darüber sprechen, was Freiwilligkeit ist. Ist eine Romnija, die von ihrer Familie nach Deutschland geschickt wird, um hier Geld zu verdienen, die von ihren Cousins bewacht und abkassiert wird, die aber nicht wegläuft, freiwillig in der Prostitution? Ist eine Frau, die schwere sexuelle Gewalt als Kind erlebt hat und die nie eine Therapie und Unterstützung bekommen hat, freiwillig in der Prostitution?

    Ich möchte Sie auf einen Perspektivwechsel einladen. Reden wir nicht weiter über Frauen und Mädchen in der Prostitution. Reden wir über Freier. Jeder Freier, der ins Bordell geht, weiß, dass es Zwangsprostitution gibt. Jeder Freier, der ins Bordell geht, weiß, dass die Frau vor ihm eine Zwangsprostituierte sein kann. Jeder Freier, der ins Bordell geht, weiß, dass es keine Möglichkeit für ihn gibt, herauszufinden, ob die Frau das freiwillig macht. Denn auch Zwangsprostituierte lächeln ihre Freier an. Weil sie müssen. Weil sie sonst Prügel von ihrem Zuhälter kriegen. Freier wissen das. Es ist ihnen egal. Freier, das sind Männer, die mit Frauen schlafen, ohne zu wissen, ob diese Frauen das wirklich freiwillig machen. Wenn Ihnen heute Ihr Kumpel erzählen würde, dass er letzte Woche mit einer Frau geschlafen hat und eigentlich gar nicht weiß, ob diese Frau das überhaupt wollte, wären Sie entsetzt. Aber in der Prostitution passiert genau das. Das Statistische Bundesamt hat berechnet, dass in Deutschland jeden Tag 1,2 Millionen Männer zu Prostituierten gehen. Jeden Tag 1,2 Millionen Männer, denen ihre sexuelle Befriedigung wichtiger ist als sexueller Konsens. Wir kennen nur eine Gruppe von Männern, denen egal ist, ob die beteiligte Frau den Sex wirklich will. Vergewaltiger. Freier sind Vergewaltiger.

    Aber in Deutschland haben wir genau das legalisiert. Wozu führt das, wenn eine Gesellschaft Freiertum akzeptiert? Wir sehen es an Deutschland, das zum Bordell Europas geworden ist. Die Grundprinzipien sind klar: Freiern passiert nichts. Zuhälterei ist nur noch strafbewehrt, wenn sie ausbeuterisch ist, heißt, wenn mehr als 50% abkassiert wird. Bordellbetreiber sitzen in feinen Anzügen als Geschäftsmänner in Talkshows. Und die Frauen und Mädchen in der Prostitution? Sie tragen die Last der Regeln. In ihrer Notsituation müssen sie sich noch anmelden, Steuern zahlen, auf Sperrbezirke achten.

    Sie haben kaum noch Ausstiegsmöglichkeiten, denn für etwas, das als ganz normaler Beruf angesehen wird, gibt es keine staatlich garantierten Ausstiegsplätze. Eine Friseurin, eine Ingenieurin, die ihren Beruf wechseln will, braucht ja auch keine. So stellt sich die Gesellschaft das auch mit der Prostitution vor. Aber die Realität sieht anders aus.

    Legalisierung führt zu mehr Freiern, denn wenn etwas erlaubt ist, werden mehr Menschen es tun. Die große Nachfrage sorgt dafür, dass es für Menschenhändler und Zuhälter ein lohnendes Geschäft wird, Frauen und Mädchen zur Prostitution zu zwingen. Weil es sich lohnt. Weil es hierzulande so viele Freier gibt. Wir sind in Europa Menschenhandelszielland Nummer 1 geworden. All die Frauen und Mädchen aus den Armenhäusern Europas, sie werden zu uns gebracht. Weil es hier so viele Männer gibt, die bereit sind, sie zu kaufen und sexuell auszubeuten, und denen ihr Elend egal ist. Wir haben es bei den geflüchteten Frauen und Mädchen aus der Ukraine gesehen. In den Freierforen hat man sich auf sie gefreut: „Endlich Frischfleisch!“ An den Bahnhöfen hingen große Plakate der Bundespolizei, die die Frauen und Mädchen vor Menschenhändlern warnten, die sich unter die Helfer gemischt haben. Mittlerweile tauchen die ersten dieser vor dem Krieg geflüchteten Frauen und Mädchen in den Bordellen auf. Ich schäme ich dafür. Wir alle sollten das.

    Legalisierung sorgt für brutalere Freier. Das ist nur logisch. Denn ein Mann, der bereit ist, mit einer Frau zu schlafen, obwohl er nicht weiß, ob diese Frau das will, der ist bereit, noch mehr Gewalt anzuwenden. Über 110 Morde an Frauen und Mädchen in der Prostitution haben wir seit dem Gesetz von 2002. Es sind Frauen wie die Deutsche 19-jährige Andrea, die auf Grund einer psychischen Erkrankung nicht mehr anschaffen konnte und die mit einer Betonplatte an den Füßen lebendig in die Weser geworfen wurde. Es sind Frauen wie die Ukrainerin Olga P., die zerstückelt in einer Tiefkühltruhe gefunden wurde. Es sind Frauen wie Diane H., die 2002 auf dem Straßenstrich von einem Freier umgebracht wurde, weil dieser Erektionsprobleme hatte, oder wie Doris K., erstochen im Stuttgarter Leonhardsviertel von einem Freier, mit dem sie nicht für 10 Euro aufs Zimmer gehen wollte. Dass ich noch lebe, dass ich heute hier sitze, ist nichts als Zufall.

    Ich möchte, dass Sie wissen: all das, die Zwangsprostitution, der Menschenhandel, die Morde, die Gewalt, finden in legalen Bordellen und auf legalen Straßenstrichs statt. Zuhälter und Menschenhändler nutzen die legalen Strukturen, die sie in Deutschland vorfinden. Und Freier fühlen sich berechtigt, da sie als Kunde nichts zu befürchten haben. Sie glauben, sie hätten ein Recht auf Sex. Und sie setzen es durch. Es gibt keinen Schutz für Frauen und Mädchen in der Prostitution. Es gibt nur Schutz für Frauen und Mädchen VOR der Prostitution. Prostitution ist gefährlich, immer. Weil Freier gefährlich sind.

    Denken Sie nicht, das Thema ginge sie nichts an. Sexkauf, das bedeutet, Sex zu einer Ware zu machen, ihn  Marktbedingungen zu unterwerfen. Das ist das genaue Gegenteil von freier, selbstbestimmter Sexualität. Es ist das Gegenteil von sexuellem Konsens.

    Und es erzeugt ein Frauenbild, das gefährlich ist. Kein Freier vergisst, dass er gerade damit durchgekommen ist, seine sexuellen Bedürfnisse über den Willen und die Sicherheit von Frauen zu stellen. Er lässt diese Frauenbild nicht im Bordell, wenn er die Tür schließt  und wieder geht. Sondern er trägt es mit in die Gesellschaft. Es betrifft alle Frauen.

    Eine Gesellschaft, die Freiertum akzeptiert, ist eine Gesellschaft, die Gewalt gegen Frauen akzeptiert.

    Wir brauchen einen Perspektivwechsel. Wir brauchen die Freierbestrafung und das Sexkaufverbot. Wir brauchen Unterstützung und Ausstiegsplätze für Frauen und Mädchen aus der Prostitution. Sie brauchen keine Regeln oder Strafen, sie brauchen Support. Und sie sollen sich endlich wieder vertrauensvoll an die Polizei wenden können. Das Nordische Modell führt zu weniger Gewalt gegen Frauen und Mädchen in der Prostitution. 110 Morde an Frauen und Mädchen in der Prostitution hierzulande, 2 in Schweden – und die nicht mal im Zusammenhang mit Prostitution, sondern ein Mord durch einen Exfreund, einer durch einen Drogendealer. 110 gegen 2 Morde in den letzten knapp 20 Jahren. Die Sache ist eindeutig.

    Das Nordische Modell bedeutet, einen großen Schritt hin zu mehr Geschlechtergerechtigkeit zu gehen. Denn es wird niemals Gerechtigkeit geben dort, wo ein Geschlecht das andere kaufen kann.


    Quellenangaben:

    [1] Farley, Melissa, Prostitution in five Countries, 1998, S. 11: http://www.prostitutionresearch.com/ProstitutioninFiveCountries01182013.pdf

    [2] Farley, M.; Cotton, A.; Lynne, J.; Zumbeck, S.; Spiwak, F.; Reyes, M. E.; Alvarez, D.; Sezgin, U. (2003): Prostitution and Trafficking in Nine Countries: An Update on Violence and Posttraumatic Stress Disorder. In: Journal of Trauma Practice. 2(3/4): 33-74.

    [3] Farley, M. et al. (2003), „Prostitution and Trafficking in Nine Countries …“