Londoner Nachklang

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Gestern habe ich auf der Konferenz “Breaking the cycle – exposing the link between pornography & prostitution” gesprochen darüber, wie die Legalisierung von Freiertum & Sexkauf Gesellschaften verändert. Wie sie verursacht, dass Freier ein Frauenbild entwickeln, in dem Frauen Objekte sind. Wie sie dazu führt, dass Gesellschaften abstumpfen, wenn es um sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen geht. Wie Entsetzen & Mitgefühl darüber völlig auf der Strecke bleiben überall dort, wo Frauen & Mädchen eine konsumierbare Ware sind.

Nach der Konferenz war ich im Londoner China Town unterwegs. Es war wahnsinnig schön. So viele Menschen unterwegs. So viele Lichter und Lampen und Musik von überall her, Leute haben auf der Strasse getanzt, und ich war ganz froh, das war so leicht, so bunt, so lustig auch. Genau das, was man nach einer Konferenz über so ein schweres Thema braucht.

Und dann, plötzlich, hab ich sie gesehen. Mitten in diesem bunten Trubel, zwischen all den Partygängern, Lichtern, in all der Musik und dem Getanze und den offenen Restaurants & Bars stand sie in einer winzigen Tür. Über ihr ein Schild: “Massage”. Sie war furchtbar jung. Im Minirock stand sie da, die Nase rot, die Augen rot. Von der Kälte oder hatte sie geweint? Ich habe sie gesehen & sofort stand die Welt still. Ich blieb stehen, während alles um mich herum weiterging. Ich war so… geschockt. Ja, ich kenne das alles, das Grauen der Prostitution. Aus eigener Erfahrung. Aus Berichten anderer. Aus Studien. Aber dann steht man da, der Menschenstrom fließt an einem vorbei, und schaut sich gegenseitig in die Augen, sieht nur: Schmerz und eine Art Erkennen – ich sehe dich, ich sehe, was passiert. Und die Welt steht still & das Herz bricht.

Irgendwann wurde ich dann weitergezogen. Ich hab geheult. “Aber die ist doch noch ganz klein”, hab ich gesagt. Weil sie vielleicht volljährig war. Aber nicht so aussah.

Da machen Menschen Party um ein Mädchen rum, dass auf die nächste Vergewaltigung warten muss. Bunte Lichter. Ihre rote Nasenspitze. Wie unglücklich sie aussah. Die Menschenmassen. Die ausgelassene Stimmung.

Das ist das eine.

Das andere: man sieht dieses Mädchen und hat sofort Herzimpulse: die friert. Die hat Angst. Geh zur Polizei. Oder gib ihr Geld. Wer ist der Mann da im Hauseingang daneben? Man fühlt Schmerz und Verzweiflung und Hilflosigkeit und eine tiefe, tiefe Traurigkeit.

Was man nicht fühlt: den Impuls: “das will ich ficken, das kann man gut ausnutzen”. Es sei denn, man hat sich mit Pornographie & Prostitution schon einen dermaßen heftigen Hirnschaden angelacht, sich so darauf konditioniert, dass Gewalt, Demütigung, Frauenverachtung einen geil machen, dass man im Prinzip nicht mehr auf andere Menschen losgelassen werden kann. Dass man nicht mehr gesellschaftsfähig ist.

Die ganze Nacht hab ich an dieses Mädchen gedacht. Ich weiss, dass ich ihr nicht helfen kann. Geld würde ihr Zuhälter nehmen. Sie ansprechen kann für sie gefährlich sein. Ich kenne ihre Situation nicht, die Gegebenheiten vor Ort nicht, ich kann nichts tun für sie konkret. Und von dem Schmerz, den ihr Anblick mir verursacht, kann sie sich auch nichts kaufen.

Ich weiss nicht mal, was ich mit diesem Beitrag genau sagen will. Nach all den Jahren, immer wieder Frauen & Mädchen aus der Prostitution zu treffen, tut mir das immer noch weh. Und ich glaube, das ist, was uns von Freiern unterscheidet. Ihnen tut dieser Anblick nicht weh. Alles, was sie sehen, ist eine Gelegenheit, straffrei jemandem auszunutzen.

Im Prinzip, ganz ehrlich, müsste man sie aus der Gesellschaft ausschließen. Ein Zusammenleben auf dieser Grundlage ist ja gar nicht möglich. Mädchen wie das in Chinatown gehören zu uns, in die Gesellschaft, unter unseren Schutz, unter unsere Fittiche & Flügel, sie gehören neben unser Herz. Und Freier gehören raus, raus aus dem Kreis derer, die unser Mitgefühl & Verständnis verdienen, raus aus dem Kreis derer, die für rechtschaffene Mitglieder dieser Gesellschaft gehalten werden.

Und nicht andersrum.

Nicht so, wie es jetzt ist.

Dieser Blick gestern, dieser Blick und was darin lag, was ich darin gelesen habe, was wir uns damit gesagt haben, dieses gegenseitige Erkennen: “ich weiss von deinem Schmerz, ich seh dich”, das hat mir wieder klargemacht, warum ich das hier tue.

Es muss anders werden.

Es MUSS anders werden.

Es muss ANDERS werden.

Sie war doch noch ganz klein.

© Huschke Mau