Heute ist Internationaler Tag gegen Menschenhandel. Etwa 50 – 60% des internationalen Menschenhandels betreffen sexuelle Ausbeutung. Die überwältigende Mehrheit der Betroffenen sind Frauen und Mädchen: 92%.
Auch ich bin durch Menschenhandel in die Prostitution gekommen und möchte heute ein Bewusstsein darüber wecken, dass wir falsche Bilder von Menschenhandel im Kopf haben. Denn wird in Deutschland darüber gesprochen, denken viele an aus Südosteuropa verschleppte, im Kofferraum geschmuggelte und schließlich im Heizungskeller des Bordells angekettete Frauen. Fakt ist: die meisten Menschenhandelsfälle sehen nicht so aus. Menschenhandel KANN mit Sklaverei, körperlicher Gewalt und Entführung zu tun haben. Aber auch mit: Ausnutzen von Notlagen. Schuldknechtschaft (z.B. das „Abarbeiten“ von „Reisekosten“). Drohungen. Täuschungen.
Bei mir war keine körperliche Gewalt nötig: ich war stark traumatisiert, von der Familie verstoßen, wohnungslos, durchs soziale Netz gefallen und ideales Opfer für meinen ersten Zuhälter, einen Polizisten. Und dadurch – und weil ich unter 21 Jahren alt war – ein Fall für die Kategorie „Menschenhandel“.
Wann ich das kapiert habe? Erst 10 Jahre später. Auch ich dachte, Menschenhandel wäre es erst gewesen, wenn er mir eine Pistole an den Kopf gesetzt hätte. Hat er nie. Musste er gar nicht. Meine Not war groß genug.
Wir haben falsche Bilder von Menschenhandel im Kopf. Für Menschenhandel ist kein Grenzübertritt nötig. Deine Nachbarin oder Schwester könnte in die Prostitution gemenschenhandelt werden. Ganz ohne Prügel. Und wahrscheinlich könnte sie das Bordell sogar jederzeit und immer wieder verlassen. Niemand muss sie anketten. Und vielleicht hat sie nebenbei einen Alltag, der normal aussieht. Vielleicht sogar einen normalen Job? Und manchmal lacht sie.
Sagt gar nichts aus. Warum ist dieses gesellschaftlich gängige Vorurteil darüber, wie Menschenhandel aussieht, so eng definiert und so präzise und konkret, dass es auf kaum eine Frau zutrifft? Genau eben DAMIT es auf keine Frau zutrifft. Damit wir weiter sagen können: Menschenhandel ganz schlimm, aber bei der da war es keiner und die war auch selbst schuld. Wie bei anderer Gewalt gegen Frauen: Vergewaltigung ganz ganz schlimm, aber bei der da war das doch keine Vergewaltigung. Gewalt durch männliche Partner ganz großes Übel, aber bei der da war es jetzt wirklich keine „häusliche Gewalt“. Der konkrete Fall trifft die Definition nie: selbst schuld, nicht so schlimm, übertreibt, hat mitgemacht… Praktisch, denn so kann weiter THEORETISCH Gewalt gegen Frauen verdammt werden, während PRAKTISCH keine Fälle existieren und sprechende Frauen beschämt und unglaubwürdig gemacht werden. Lasst uns damit aufhören und Frauen und Mädchen glauben, wenn sie sprechen. Ja, dann sehen wir das Ausmaß der Katastrophe. Ja, das ist unangenehm und schlimm. Aber nur so können wir was ändern. Und geändert werden muss was: solange eine von uns nicht safe ist, ist keine von uns safe.
(c) Huschke Mau
Bild: (c) Sven Döring