Es war, als würde diese Gesellschaft zu mir sagen: „Prostitution ist nicht das Problem, damit ist alles cool. Du bist das Problem.“

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Dankesrede anlässlich der Verleihung des Nikolaus-Einkraft-Preises im rheinland-pfälzischen Landtag.

Vielen Dank für die nette Laudatio und auch für den Preis.

Mein Name ist Huschke Mau, ich war, mit Pause, 10 Jahre in der Prostitution. Wie bei so vielen Frauen und Mädchen war ich sexuell traumatisiert, in einer ökonomischen Notlage und hatte einen Mann, der mich in die Prostitution eingeführt hat. Bei mir war dieser Mann ein deutscher Polizist – mein erster Zuhälter. Ich war in Wohnungsbordellen und im Escort.

Mein Ausstieg hatte lange gedauert, mehrere Jahre. Als ich mich an eine Fachberatungsstelle gewandt und um Hilfe beim Ausstieg gebeten habe, hat man mir gesagt: „Der Job ist nicht das Problem, das ist ein Beruf wie jeder andere. Aber wenn SIE das nicht mehr machen wollen, gehen Sie doch einfach nicht mehr ins Bordell und fertig.“ Ich habe nie wieder nach Hilfe gefragt.
Ich habe lange nicht gesprochen über das, was ich in der Prostitution erlebt habe. Wenn ich die Wohnung verlassen habe, habe ich auf plakatwandgroße Puffwerbung geblickt. Wenn ich ein Taxi bestellt habe, musste ich dazusagen, dass ich eins ohne Bordellwerbung möchte. Wenn ich Zeitung gelesen habe, wurde von „Sexarbeit“ gesprochen. Es war, als würde diese Gesellschaft zu mir sagen: „Prostitution ist nicht das Problem, damit ist alles cool. Du bist das Problem.“ Durch die permanente Konfrontation damit, was man mit mir und anderen Frauen und Mädchen machen kann, habe ich lange geschwiegen.

2014 ist mir dann der Kragen geplatzt, als ich ein Interview mit einer Bordellbetreiberin gelesen habe, die beschrieb, das einzige, was an Prostitution traumatisierend sei, sei das Stigma. Mit den Freiern sei alles friedlich und okay.

Daraufhin habe ich meinen ersten Text geschrieben, er hiess „Ich hab die Schnauze voll von euch ProstitutionsbefürworterInnen“. Schon nach 3 Tagen war er in andere Sprachen übersetzt worden. Seitdem habe ich immer weitergeschrieben, ich habe auf Vorträgen und Podien gesprochen und aufgeklärt. Aufgeklärt darüber, was in der Prostitution wirklich passiert. Darüber, dass Prostitution immer Gewalt ist, weil Konsens nicht erkauft werden kann. Darüber, dass die Legalisierung nur Bordellbetreibern und Zuhältern nützt, aber nicht uns von der Prostitution betroffenen Frauen. Darüber, dass wir Prostituierten keine Ausstiegshilfen bekommen, sondern nur Bussgelder. Darüber, dass sich nichts am System ändert, denn selbst wenn eine von uns den Ausstieg schafft, wird sofort die nächste rangeholt, den Prostitution ist ein Geschäft, das sich lohnt – für Bordelbetreiber und Zuhälter. Für uns Betroffene lohnt es sich nicht, wir bleiben mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung zurück.

Wir brauchen nicht nur den Ausstieg der Frauen aus der Prostitution. Wir brauchen den Ausstieg der ganzen Gesellschaft aus der Prostitution! Und das geht nur, indem wir anerkennen, dass Prostitution sexuelle Gewalt ist und die Täter bestrafen.

Im Januar 2018 habe ich das Netzwerk Ella gegründet. Wir sind ein Zusammenschluss von Frauen, die in der Prostitution waren oder noch sind. Wir sind uns einig, dass wir darin Gewalt erlebten und noch erlebten und wir fordern das Nordische Modell. Wir fordern, dass die Gesellschaft hinschaut, wenn es darum geht, was Freier mit prostituierten Frauen machen und dass sie in die Verantwortung genommen werden. Aber die Gesellschaft schaut noch viel zu wenig hin.

Neulich war ich in München auf einer vom Kofra ausgerichteten Konferenz. Zwei Frauen vom Netzwerk Ella, Marlen und Sophie, waren mit mir da. Als Sophie berichtete, sie sei mit 14 durch einen älteren Mann zur Prostitution angeleitet worden, wurde sie von einer Frau aus dem Publikum gefragt, was mit den 14-jährigen Mädchen denn bitte nicht stimme, dass sie sich so einfach anquatschen und prostituieren liessen. Ich habe mich darüber sehr aufgeregt. Es ist nicht die Frage, was mit den Mädchen nicht stimmt – es ist die Frage, was mit den Männern nicht stimmt, dass sie 14-jährige Mädchen ansprechen, missbrauchen und in die Prostitution bringen, sie dort kaufen und verkaufen. Aber die Männer werden nicht beschämt, es sind immer noch wir von der Prostitution betroffenen, die beschämt werden.

Ich spreche jetzt seit 4 Jahren mit Medien, PolitikerInnen, Behörden und vielen, vielen Menschen über Prostitution. Mein Ziel ist es, ein Problembewusstsein zu schaffen, denn Prostitution findet nicht irgendwo statt, sondern mitten unter uns, und der einzige Weg, damit umzugehen, ist meiner Meinung nach, das Nordische Modell einzuführen, bzw. das Abolitionistische Modell.

Wir Abolitionistinnen von heute sind nicht die ersten, die auf die Idee gekommen sind, dass Prostitution frauenverachtend ist und dass es eine Doppelmoral ist, die Frauen zu beschämen, zu überwachen und zu bestrafen, und die Freier davonkommen zu lassen.
Wir sind auch nicht die ersten, die begriffen haben, dass gegen Prostitution vorzugehen nicht heissen darf, gegen Prostituierte vorzugehen.
Frauen in der Prostitution haben oft keine Wahl. Wir brauchen andere Optionen, Alternativen. Freier hingegen haben die Wahl. Niemand, keine Notlage, zwingt sie, uns zu kaufen und zu missbrauchen. Diesen Wechsel der Blickrichtung braucht es.

Als Brunhilde Schierl von der Einkraftstiftung zu mir Kontakt aufgenommen hat, hat mich das sehr gefreut. Auf einem langen Spaziergang haben wir uns kennengelernt, sie hat mir von der Einkraftstiftung erzählt und ich ihr vom Netzwerk Ella. Dabei ist deutlich geworden, dass wir beide gegen sexuelle Gewalt an Frauen kämpfen, und dass wir beide dies mit der Würde des Menschen begründen.

Mit diesem Preis wird anerkannt, dass es für uns Frauen aus der Prostitution, und als solche definiere ich mich noch immer, auch wenn ich mittlerweile Doktorandin bin, schwer ist, über unser Trauma zu sprechen. Dass es uns was kostet – Schlaf, Seelenfrieden, Kraft, Energie, ein Leben ohne Angst.
Ich hätte nie sprechen können, wenn hinter mir nicht so viele Wesen stünden, die mir Kraft geben. Die Tatsache, dass es schon im Kaiserreich Abolitionistinnen gab, gibt mir Kraft. Die Tatsache, dass ich die beste Katze der Welt habe, gibt mir Kraft. Die Tatsache, dass es Frauen gibt, die solidarisch mit mir und mit uns sind, gibt mir Kraft. Und auch diese Anerkennung heute gibt mir Kraft. Dafür möchte ich mich recht herzlich bei Frau Schierl bedanken und auch bei den Organisatorinnen dieser Verleihung.

Ich war eine der ersten Aussteigerinnen, die gesprochen haben. Mit dem Netzwerk Ella werden noch viele folgen. So lange, bis man uns nicht mehr ignorieren kann.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.