Freiwilligkeit und Prostitution

    Als Exprostituierte bin ich oft müde davon, zum hundertsten Mal ausdiskutieren zu müssen, ob Prostitution freiwillig ist. Denn die Frage nach dem Existenzrecht von Prostitution hängt nicht davon ab, ob es irgendwo eine gibt, die es “freiwillig” macht.

    Wir brauchen mehr politische Analyse und weniger Fokusverschiebung auf die, die durch die Prostitution in der handlungsbeschränkteren Lage sind (das sind wir prostituierten Frauen). Prostitution wird nicht dadurch okay, dass irgendwo irgendeine sagt, dass sie es “freiwillig” tut, genauso wenig, wie partnerschaftliche Gewalt dadurch okay wird, dass eine Frau “freiwillig” bei ihrem schlagenden Mann bleibt.

    Diese Konzentration auf das “ja” der Frau erinnert an Victimblaming. Wir brauchen mehr politische Analyse, wir brauchen einen Blick darauf, in welchen UMSTÄNDEN das “JA” gegeben wurde, und dann sehen wir: Ein “Ja”, das gegeben wird, weil ein “Nein” hiesse, negative Konsequenzen zu tragen (nichts zu essen, kein Geld für die Miete, Schläge) kann kein Konsens sein.
    Abgesehen von der politischen Analyse fehlt mir auch oft der Blick auf die Freier. Warum wird andauernd das Verhalten derer, die sich prostituieren, kritisiert und zum 100. Mal durchgekaut? Wir sind doch schon lange an dem Punkt, an dem wir wissen, was Frauen dazu bringt, sich zu prostituieren.
    Drehen wir doch den Spieß mal um und betrachten die Freier. Während man einer Frau sehr wohl zugestehen muss, dass sie mit ihrem Körper machen kann, was sie will (oder muss, um zu überleben), kann man einem Menschen wohl kaum genehmigen, mit dem Körper eines anderen zu tun, was er will – das sind nämlich zwei verschiedene Paar Schuhe.

    Ist es okay, alles zu tun, um das eigene Überleben zu sichern, ist es okay, mit seinem eigenen Körper zu tun, was man möchte? Klares Ja.
    Ist es okay, sich sexuellen Zugang zum Körper einer anderen Person zu kaufen? Klares Nein.
    Das Main Echo hat mit einigen Freiern gesprochen und ich bin froh, dass sie der Freiersicht Raum gegeben haben. Die Interviews mit ihnen machen klar: Freier gehen zu Prostituierten,

    – weil sie es mögen, dass Frauen dort nicht nein sagen (können) und dass sie verfügbar sind (sein müssen)

    – weil sie es mögen, dass die Frauen dort ihre Grenzen nicht wahren dürfen (ein Freier z.B. bezeichnet alle deutschen Prostituierten als “Abzockerinnen”, bei denen es viel kostet und man wenig bekommt – es sollte also am besten auch noch kaum was kosten)

    – weil sie so mit anderen Männern “bonden” können, sich ihrer Zugehörigkeit zur privilegierten Gruppe sichern, sich ihrer (überlegenen) Männlichkeit versichern können, indem sie Frauen als Gruppe abwerten

    – weil sie Frauen in der Prostitution nicht wie Menschen behandeln müssen (“einfach mal das primitive Schwein raushängen lassen”, “Die Prostituierten müssen für mich Deutsch reden können. Aber ob sie freiwillig dort sind, das interessiert mich nicht. Da bin ich kalt.”,”Ob die Frauen freiwillig im Bordell sind, hat für mich eigentlich keine Rolle gespielt, solange sie leidenschaftlich dabei war.”)

    – weil der pornographisierte Sex, der üblich ist ausserhalb des Bordells und in dem alles auf die Bedürfnisse des Mannes konzentriert ist bei gleichzeitiger Lust an der Demütigung und Abwertung von Frauen, im Prinzip dasselbe ist wie das, was man im Puff bekommt (“Eigentlich merkt man gar keinen Unterschied, wenn man zu einer Prostituierten geht.”)

    Dass Sex Geld kostet, führt leider nicht dazu, dass Männer diesen Sex (der ja komplett auf allein ihre Bedürfnisse ausgerichtet ist) dann mehr wertschätzen, im Gegenteil, es geht auf Kosten des Subjektstatus von Frauen.
    Der Blick des Freiers auf Frauen in der Prostitution und damit auf alle Frauen ist einer, der nur auf den sexuellen Nutzwert der Person, die gar nicht mehr als Person begriffen wird, ausgerichtet ist.
    Schauen wir uns mehr die Freier an! Hören wir ihnen zu! Dann wissen wir, was Prostitution ist – und warum Freiertum verboten gehört.