Ich habe ein Problem
… und zwar habe ich gerade eine mächtigliche Schämattacke. Oh weia.
Manchmal werde ich gefragt, wie ich so offen mit meiner Geschichte um Gewalt in der Kindheit und um Prostitution umgehen kann, aber eigentlich kann ich das gar nicht. Ich zwinge mich halt einfach dazu. Ich zwinge mich dazu, das zu sagen, wie es war, weil ich finde, dass es etwas ändert und bewirkt.
Aber schämen tu ich mich trotzdem wie Bolle. Ganz, ganz unsäglich. Ich rede hier nicht von “oh, ich schäme mich, weil ich den ganzen Tag mit einem Fleck auf dem Pulli rumgerannt bin und nichts gemerkt hab”-Scham. Sondern von “oh Gott, wie konnte ich nur, wie war ich bloß, es ist so schlimm, ich will nichts mehr mit mir zu tun haben, ich muss weg, sterben gehen”.
Nur leider kann man sich halt von sich selbst nicht scheiden lassen.
Manchmal, da stellen JournalistInnen mir Fragen und ich beantworte die ganz easy und die Scham kommt erst danach, wenn ich allein bin. Manchmal halte ich das aus. Heute ist nicht so ein Tag.
Heute habe ich mich an eine bestimmte Geschichte mit meinem ersten Zuhälter, dem Polizisten erinnert und schäme mich wirklich in Grund und Boden. Für das, was ich getan habe, um zu überleben. Obwohl ja niemals geplant war, dass ich überlebe. Hätte ich nicht einfach still und heimlich verrecken können, so, wie es angedacht war?
Ich weiss ja, wenn man sexuellen Missbrauch erlebt hat, dann entwickelt man Scham- und Schuldgefühle. Ist wie bei Grippe. Da kriegt man Fieber und Husten. Bei sexuellem Missbrauch sind es halt andere Symptome. Man schämt sich tot und fühlt sich schuldig. Hinzu kommt noch, dass ich tief und fest glaube, dass es eigentlich meine Bestimmung gewesen wäre, einfach aufzugeben und zu sterben, so, wie man mir eingetrichtert hat, dass es mit Ballastexistenzen wie mir enden muss.
Aber dagegen hab ich mich halt gewehrt und gehandelt und meine einzige Option wahrgenommen und mich prostituiert. Und jetzt steh ich da so rum und fühle mich schuldig und schmutzig und schäme mich tot und fühle mich schrecklich.
Schämattacken sind das schlimmste. Scham und Schuld sind das aller-, allerletzte. Gehen so tief rein, ankern und verwachsen mit einem, bis man glaubt, dass sie zu einem selbst gehören oder einem die Wahrheit über sich selbst sagen. Und man kriegt sie nicht wieder raus. Kein Wunder, dass ich jahrelang versucht hab, sie rauszuschneiden, rauszuhungern und mich zugeballert hab mit allem, was verfügbar war.
Hält ja kein Mensch aus so.
Und dann ständig dieses Ding, wenn Leute aus meiner Umgebung mich erkennen und dann wissen, was ich mal getan habe. Und immer diese Beschämungen dann.
Ob sich mein Zuhälter eigentlich schämt?
Wahrscheinlich nicht.
Der hat mir ja dieses Jahr eine Nachricht geschrieben. Wahrscheinlich dachte er, er kann nochmal drüberrutschen.
Und bisschen Drohung war auch dabei, hat mir ganz subtil gesteckt, dass er im Polizeicomputer nach meiner Adresse geschaut hat.
Von außen betrachtet ist mir schon klar, wer sich schämen muss. Das ist nicht das knapp volljährige, wohnungslose, geldlose, schwer traumatisierte Mädchen frisch aus der Psychiatrie.
Sondern der Polizist, der denkt, er sollte das Mädchen mal anschaffen schicken.
Bei jeder anderen würde ich das kapieren.
Aber bei einem selbst ist das so schwer.
Da ist man so gnadenlos.
Man. Ich möchte bitte ein anderes Hobby haben als mich zu schämen und mich schuldig zu fühlen. Es macht nämlich keinen Spass. Und gewinnen kann man dabei auch nicht.
(c) Huschke Mau