Überleben heißt sich schämen und Anderssein für immer

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Heute Vormittag war ich auf dem Amt und habe eine neue Auskunftssperre für meine Adresse beantragt. Auskunftssperren für Adressen sind eine gute Idee, wenn man einen Zuhälter hatte, der Polizist ist, wenn der nächste Zuhälter bei der Organisierten Kriminalität war, wenn man öffentlich über Prostitution spricht und jeden Tag in seinen Postfächern Drohungen und Vergewaltigungsfantasien vorfindet.


Ich kann nur jeder Frau, die Gewalt erlebt hat, raten, eine Auskunftssperre zu beantragen. Weil es das Leben eben doch ein bisschen sicherer macht.

Niemand kann jetzt einfach aufs Einwohnermeldeamt latschen und fragen, wo ich wohne. Kein Polizist kann sich einfach an den Polizeicomputer setzen und ohne Angabe von Gründen nachsehen, wo ich aufzufinden bin. Das ist schön.
Zwei Frauen waren das, die heute Vormittag mit mir zu tun hatten. Ich hab alle Karten auf den Tisch gelegt und alles gesagt: ich bin selber betroffen, ich helfe anderen Frauen, und ich spreche öffentlich.

Die Frauen waren super geschult und meganett. Es gab keine Diskussion, es gab keine blöden Fragen („Warum haben Sie nicht angezeigt“ etc.), es gab kein naives Gestaune, als ich sagte, dass es manchmal Verbindungen und Verabredungen zwischen Bordellbetreibern und Polizisten gibt. Stattdessen nur: „Das wissen wir, und wir sperren Ihre Adresse jetzt für alles.“
So gesehen: eine der wenigen wirklich guten Begegnungen auf Behörden in meinem Leben.

Und trotzdem sitz ich gerade im Unibüro und flenne heimlich vor mich hin. Zuerst dachte ich: ist bestimmt nur Stress rauslassen. Irgendwo müssen die Stresshormone hin, die gemacht haben, dass ich so eine schreckliche Unruhe in mir hatte vor dem Termin. Inklusive auf dem Behördengang sitzen und keine Luft mehr kriegen.

Aber ich glaube, das ist es nicht. Es ist etwas anderes, was mich gerade so traurig macht.

Es ist, dass ich mich schäme und mich schuldig fühle. Und obwohl ich weiß, dass das normal ist, Schuld und Scham zu empfinden, wenn man sexuelle Gewalt erlebt hat (egal ob Zuhause, in der Prostitution oder sonstwo), ist es eben nur der Kopf, der das weiß. Was ich empfinde, fühlt sich trotzdem sehr… privat, authentisch und echt an.

Um ehrlich zu sein, ich hab mich klein gefühlt, dort zu sitzen und so beschissene Dinge anzusprechen wie: „Ich brauche Schutz vor meinem ersten Zuhälter, er war Polizist. Ich brauche Schutz vor meinem zweiten Zuhälter, er ist bei der Organisierten Kriminalität. Ich brauche Schutz, weil ich jeden Tag Emails und PN von Idioten bekomme, die mir Vergewaltigungen androhen und mich heftig beschimpfen.“

Ich hab das genau so gesagt.
Aber was ich dabei empfunden habe, war etwas anderes. Gefühlt habe ich nämlich gesagt:

„Ich hab nie zu dieser Gesellschaft gehören dürfen. Ich hatte nie ein Nest. Ich war immer draußen. Dort, wo es dreckig, asozial, kalt und brutal ist. Dort, wo mich Männer gekauft und verkauft haben. Dort, wo „das Andere“ ist, was keiner sehen mag, außer, es läuft Sonntagabend im Tatort. Können wir bitte für einen Moment so tun, als wäre ich ein Mensch, ein normaler Mensch, mit Rechten und so, und einen behördlichen Vorgang in Gang setzen, der mich schützt, auch wenn ich das alles nicht verdient habe, weil ich selber schuld bin und mich völlig zu Recht schäme?“

So hab ich mich gefühlt.
Ich hab das nicht gesagt. Aber gedacht. Und jetzt sitze ich hier, und fühle mich ganz klein und dreckig und selber schuld und schäme mich halbtot. Und ich würde am liebsten wieder nach Hause gehen, aber das Institut ist voll, und sobald ich auf den Gang trete, sind da Menschen. Am liebsten würde ich mich unter meinem Schreibtisch einrollen und mich unsichtbar machen und nicht darüber nachdenken, dass ich eigentlich gerade nur noch aus einem einzigen Gefühl bestehe:
Ich gehöre nicht hier hin. Ich gehöre nicht in ein Unibüro. Ich verdiene kein Begabtenförderungsstipendium, keine Promotionsbetreuung, keine Wohnung, keine Anrede mit „sehr geehrte Frau“.
Ich verdiene Angst, Gewalt, illegal leben müssen, nicht dazugehören, ständig Adrenalin, Armut und irgendwie überleben müssen, Spielregeln, die weder Behörden noch Polizei involvieren, denn über sowas lacht man, das wird anders geklärt.

Da sind sie, meine gehassten Begleiter, Schuld, Scham und ein zertrümmertes Selbstwertgefühl. Vielleicht hab ich Glück, und sie bleiben nur für diesen Nachmittag.

Ich schreibe das für Dich. Falls Du weißt, wovon ich spreche. Geh hin, bitte die Behörden um Schutz. Auch wenn Du denkst, Du hast es nicht verdient. Auch wenn Du denkst, Du bist doch selber schuld. Auch wenn Du Dich so schämst, dass Du keine Luft mehr bekommst.
Mach es trotzdem. Du bist nicht alleine mit dem erbärmlich schalen Gefühl danach und all den schäbigen Erinnerungen, die hochkommen.

Wenn ich es hab und Du es auch hast, sind wir schon zu zweit.
Und damit vielleicht nicht mehr ganz „draußen“. Sondern in einem „zu zweit drinnen“.

So. Und jetzt hol ich mein gebügeltes Blümchentaschentuch aus der Tasche, rotz da volle Kanne rein, heb das Kinn, spiele Trotzkind und sag mir:

Egal. Fühl ich mich halt schäbig, schuldig und schmutzig.

Ich mache trotzdem weiter.

Begleiter, die scheiße zu einem sind, gehören einfach ignoriert.

© Huschke Mau