„Die ehemalige Prostituierte Huschke Mau“ – und was mich daran ankotzt

    Es ist mal wieder soweit: meine google alerts spülten mir heute einen Artikel ins Mailfach, in dem ich erwähnt werde, und zwar als „Huschke Mau, eine ehemalige Prostituierte“.

    Eine ehemalige Prostituierte. Und sonst nichts.

    Es trifft mich jedes Mal wie ein Faustschlag in die Magengrube.

    Kann sich eigentlich irgendjemand da draußen vorstellen, wie scheiße es ist, darauf reduziert zu werden, immer wieder?

    Ja, ich spreche öffentlich über meine Zeit in der Prostitution. Und ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn in Artikeln erwähnt wird, dass ich ehemalige Betroffene bin – solange ich nicht darauf reduziert werde. NUR, einzig und allein, als „Exprostituierte“ vorgestellt zu werden, ist stigmatisierend und extrem demütigend.

    Ich habe mich aus schwersten sozialen Bedingungen herausgearbeitet. Ich habe Abitur gemacht (da war ich gerade von Zuhause abgehauen), ein geisteswissenschaftliches Studium abgeschlossen, gerade meine Doktorarbeit zu Ende geschrieben. Unter meinem richtigen Namen, als Wissenschaftlerin, von ich mehrfach publiziert worden. Aber auch, ohne das zu wissen, kann man mich anders vorstellen denn als „ehemalige Prostituierte und sonst nix“. Geisteswissenschaftlerin, Autorin (die Frau, die den Artikel von heute geschrieben hat, bezeichnet sich übrigens als Autorin, und ich würde sie gern fragen, warum sie „Autorin“ ist und ich „ehemalige Prostituierte“, obwohl wir beide dasselbe machen), Gründerin des Netzwerks Ella, Aktivistin, Referentin. Sucht euch was aus.

    Was ist so schwer daran, wenigstens noch eine Sache dazuzusagen? Zu schreiben „Huschke Mau, Autorin, Aktivistin und ehemalige Betroffene“ oder „Huschke Mau, Geisteswissenschaftlerin, Autorin und ehemalige Betroffene von Prostitution“  oder sonstwas, statt „Huschke Mau, ehemalige Prostituierte“? Was ist so schwer daran?

    Was soll das überhaupt für eine Tätigkeit sein, „Exprostituierte“? Ich kann mir darunter nichts vorstellen. Was ist das für ein Beruf? Was macht man denn als Exprostituierte den ganzen Tag? Ich habe keine Ahnung.

    Ich wundere mich ernsthaft über dieses ständige Skandalisierungsbedürfnis, auch, über die Zuspitzungen und Undifferenziertheiten. Nein, ich war nicht „10 Jahre in der Prostitution“, sondern „über einen Zeitraum von 10 Jahren immer wieder“ und ja, das ist ein Unterschied. Ja, ich habe mich prostituiert, aber das ist nicht meine Identität, sondern etwas unter vielem, das ich getan habe bzw. das mir angetan worden ist. Diese Sensationsgeilheit nervt mich. Oh mein Gott, eine ECHTE NUTTE!

    Es ist pervers, dass ich in Talkshows sitzen muss, als Frau, die sonst mit „Historikerin, Autorin und Expertin“ angeredet würde, und mich vorstellen lassen muss als „Exprostituierte“. Als ich im Bundestag als Sachverständige im Ausschuss gesprochen habe, erschienen am Tag darauf 10 (zehn!!!) Artikel mit alle demselben Tenor: „der Polizeipräsident, der Sozialarbeiter, die Psychologin und die Exprostituierte haben im Ausschuss Folgendes gesagt“.

    Als ob dort zu sprechen nicht schon anstrengend genug gewesen wäre, kommt am Tag nach öffentlichen Auftritten IMMER sowas. Immer. Da kann man im Vornherein ständig betonen, wie man angekündigt werden will, weil man schon weiß, dass das sonst wieder passiert – aber irgendwer kriegt immer das Memo nicht.

    Mit welchem Recht werden alle mit ihrer Expertise und ihrem Beruf benannt, nur ich mit dem, was mit angetan wurde? „Exprostituierte“ ist weder eine Tätigkeit noch meine Identität. Nein, das wichtigste an mir, das nennenswert ist, ist nicht, was mir angetan wurde. Das ist nicht, wer ich bin. Wir stellen vergewaltigte oder als Kind missbrauchte Frauen in Dokus, Talkshows und Artikeln doch auch nicht vor als „die Vergewaltigte Ulla S.“ und „die kindsmissbrauchte Helene M.“, „das Prügelopfer Marianne G.“, als wäre es ihre Persönlichkeit.

    Ich hasse es abgrundtief, dass meine Expertise so herabgewürdigt wird. „Die Exprostituierte Huschke Mau“ reduziert meine Expertise auf meine Betroffenheit. Es wird suggeriert, ich könnte nichts anderes, als „meine Opfergeschichte“ zu „erzählen“. Jeder und jede, die mein Buch gelesen hat, wird wissen, dass „es war schlimm für mich, also müssen wir es abschaffen“ nicht meine Argumentation ist. Sondern dass ich außerhalb meiner Geschichte eine solide geisteswissenschaftliche, sozialpolitische Analyse vorgelegt habe. Ja, ich weiß, das Vorurteil in den Köpfen der Menschen ist bretthart: Prostituierte können nix, die sind Prostituierte, weil sie nichts anderes können, die sind auch bisschen dumm, denn dumm f*ckt gut. Aber ÜBERRASCHUNG: ich kann denken, lesen, schreiben, forschen, analysieren. Irre, gell? Denkt man gar nicht.

    Ganz ehrlich, heute ist wieder ein Tag, wo es mich ganz besonders ankotzt. Es ist nicht sehr sinnvoll, Frauen, die betroffen sind und sich öffentlich gegen Prostitution aussprechen, zu bestrafen, indem man sie ständig so demütigt, reduziert und stigmatisiert. Es ist absurd, eine Frau, die mehrfach publiziert hat, die Autorin ist, die ein abgeschlossenes Studium, eine fertiggeschriebene (wenn auch noch nicht eingereichte) Doktorarbeit hat, die Referentin ist, Speakerin, Sachverständige als „Exprostituierte“ und sonst nichts vorzustellen. Es ist abartig.

    Es gibt einige Frauen beim Netzwerk Ella, die sagen: „Ich möchte nicht öffentlich sprechen, weil ich sehe, was mit dir passiert.“

    Sie meinen damit nicht nur die Beschimpfungen, Beleidigungen, Bedrohungen. Sie meinen damit auch, für immer stigmatisiert, skandalisiert zu werden und nie was anderes sein zu dürfen als „die Exprostituierte“.

    Für immer reduziert zu werden auf „was soll die schon können, außer ihre Geschichte zu erzählen“. Wer will das schon? Keine.

    Es ist nicht nachhaltig, so mit Frauen mit Prostitutionserfahrung umzugehen. Das ist keine Augenhöhe. Wenn ich auf Podiumsdiskussionen neben Leuten sitzen muss, die keine Ausbildung haben, aber trotzdem mit Beruf vorgestellt werden und als „Experte“ fungieren, ich selbst aber nichts weiter sein darf als „eine ehemalige Prostituierte“, dann hab ich keinen Bock mehr, auf Podien zu sitzen, Interviews zu geben, mich in Talkshows zu setzen. Warum sollte ich mich so demütigen lassen? Mir würde mehr Respekt entgegengebracht werde, wenn ich nie öffentlich gemacht hätte, dass ich mich mal prostituieren musste. Ob man das sagt oder nicht, macht so einen Riesenunterschied, dass ich keiner rate, es zu tun.

    Ich hab diesen Herbst einige Lesungen. Ich freu mich drauf. Aber ich fürchte mich auch vor den Zeitungsartikeln im Nachhall.

    Sie kommen immer am Tag danach. Ich werde sie lesen, am Schreibtisch, während ich meine Doktorarbeit korrigiere und zum einreichen hübschmache. Krank.

    „Exprostituierte“ ist weder meine Tätigkeit noch meine Identität noch meine Expertise. Es ist einfach nur Stigma und Reduzierung.

    Für die Freier sind Frauen aus der Prostitution keine richtigen Menschen, keine richtigen Frauen (mit Persönlichkeiten, Fertigkeiten) – Sexobjekte, die kein Ich haben, die nur zum F*cken gut sind und die darauf reduziert werden.

    Für die meisten Menschen aus dieser Gesellschaft aber auch.

    Merkt ihr was?

    © Huschke Mau