Dieser Text ist zuerst bei den Störenfriedas (hier) erschienen.
Die Debatte um Sexualassistenz hat mich richtig derbe aufgewühlt. Ich hab mehrere Nächte gebraucht um auseinanderzuklamüsern, was genau mich so fertig macht daran. Was mich daran hindert, einfach einen neuen bösen Text zu schreiben.
Ich bin nicht nur Exprostituierte, ich habe nicht nur Erfahrungen in der Prostitution. Ich hab auch mal für ein paar Wochen im Behindertenheim gearbeitet. Und während der Debatte sind mir so viele Bilder von damals wieder aufgetaucht. Wir hatten einen 50igjährigen auf der Station, der hatte seit einem Hirnschlag keinerlei Kontrolle mehr über sein Sprachvermögen (unter anderem). Und das bei vollem Bewusstsein. Greifen ging nicht mehr, essen ging nicht mehr, sprechen ging nicht mehr. Zu dieser Zeit hatte ich einen Flirt mit einem Pfleger auf der Station. Niemand hat das mitbekommen, nur der Patient hat immer gegrinst, wenn er uns beide sah, hat zwischen uns hin- und hergeschaut und die Augenbrauen neckisch hochgezogen. Wir haben uns angelacht und fortan wussten also 3 Menschen von diesem Geheimnis. Aber ich habe mich auch unglaublich geschämt, dass ich einfach so rumlaufen und mich verlieben und das auch ausleben darf, während andere das nicht mehr können. Dann war da noch eine Patientin mit Trisomie 21, die mich dauernd umarmt hat. Ich kannte das nicht von Zuhause, liebevoll angefasst zu werden, und hab gleich erstmal losgeheult. Und jeden Tag hat sie mich auf ihre Hochzeit eingeladen. Sie hat sogar schon Bilder gemalt, von sich und ihrem Kleid und den Luftballons und den Gästen. Wenn man auf die leere Stelle neben der Braut getippt und gefragt hat: „Wo ist denn dein Bräutigam? Wen willst du denn heiraten?“ meinte sie immer leichthin: „Och, das weiß ich noch nicht. Aber bis morgen ist doch auch noch Zeit!“
Heute Morgen hab ich dann endlich klargekriegt, was mich an der Debatte so fertig macht.
Es ist die Tatsache, dass ich als Exprostituierte weiß, wie furchtbar es sich anfühlt, die hier geforderten „sexuellen Dienstleistungen“ abzuliefern.
Es ist die Tatsache, dass diese Debatte geführt wird mit dem Argument, dass alte, behinderte, demente Menschen Nähe bräuchten, Zärtlichkeit, Berührung, Zuwendung. Und ich weiß, dass sie das brauchen, ich habe gesehen und gefühlt, dass ihnen das fehlt. Das hat geschmerzt. Und nicht zuletzt: ich kenne dieses Defizit auch von mir selbst. Ich weiß, wie es ist, einsam zu sein, und ich weiß aus meinem Elternhaus noch wie es ist, gerade mal so abgefüttert zu werden und nie liebevoll berührt.
Aber vor allem ist es die Wut darüber, dass genau diese Menschen hier missbraucht werden um uns weiszumachen, es brauche „sexuelle Dienstleistungen“ für alle.
Meine Meinung zu der von der Grünen-Politikerin Elisabeth Scharfenberg geforderten „Sexualassistenz“ auf Rezept für Pflegeheime habe ich an anderer Stelle kundgetan. Hier möchte ich jetzt den Nachweis führen, dass es sich bei „Sexualassistenz“ um Prostitution handelt.
Denn wenn von „Sexualassistenz“ die Rede ist, geht es nicht, wie uns weisgemacht werden soll, um Aufklärung, Anleitung und Begleitung im sexualtherapeutischen Sinne.
Schauen wir uns die Angebote mal an:
Stephanie Klee aus Berlin bietet: „Sexualbegleitung/-Assistenz für Senioren, Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderungen (auch Paare). Jeder Mensch hat ein Recht auf Sexualität: zuhören oder reden, lachen und weinen, kuscheln und sich eng aneinander schmiegen, Körper fühlen und berühren (dürfen), Körper und Erotik erforschen und kennen lernen, Kribbeln spüren und Spannung erleben, Geschlechtsverkehr und Entspannung genießen.“
Sexualassistentin Nina deVries definiert Sexualassistenz so: „Aktive Sexualassistenz ist eine bezahlte sexuelle Dienstleistung für Menschen mit einer Beeinträchtigung. SexualassistentInnen sind Menschen, die aus einer transparenten und bewussten Motivation heraus folgendes anbieten: erotische Massage, zusammen nackt sein, sich gegenseitig streicheln und umarmen, Anleitung zu Selbstbefriedigung für Menschen die das nicht von Bildmaterial verstehen können, bis hin zu Oral und Geschlechtsverkehr. (…)Die Sexualität und Sinnlichkeit, um die es bei Sexualassistenz geht, ist eine ganzheitliche, ganzkörperliche, bewusste und nicht eine auf Geschlechtsmerkmale fixierte, mechanische Sexualität, die man eher in der so eben genannten „normalen Prostitution“ aber auch in viele Ehebetten findet. Sexualassistenz ist eine bezahlte sexuelle Dienstleistung, wo der Mensch an erster Stelle steht und die Anbieterin ihre eigenen Grenzen und Möglichkeiten reflektiert hat und achtet.“
Bei ihr gib es keinen Geschlechtsverkehr: „Nina de Vries ist Sexualassistentin, sie bietet Gespräche an, Beratung, aber eben auch Zärtlichkeit und Massagen. Geschlechtsverkehr, Oralsex und Küssen gehören nicht zu ihrem Angebot, das ist eine unumstößliche Grenze. Ihre Klienten sind Menschen mit schweren physischen und psychischen Beeinträchtigungen, Schwerst- und Mehrfachbehinderte, in aller Regel sind es Männer.“
Sexualbegleiterin Edith Arnold „streichelt, massiert und befriedigt, machmal ist sie einfach nur nah. In Einzelfällen schläft sie auch mit ihren Klienten – aber ohne Küssen, ohne Oralverkehr.“
Sexualbegleiterin Deva Bhusha Glöckner: „kuscheln, anfassen, massieren – und manchmal auch Sex.“
Bei Jutta Ketl aus Österreich gibt es Kuscheln, Handentspannung, Hilfestellung, Intimmassagen.
Und die Sexualbegleiterin Karin Engel beschreibt Sexualassistenz wie folgt: „„Bei der Begegnung steht nicht der Akt an sich im Vordergrund“, erklärt Engel. „Es ist ein ganz besonderer Umgang miteinander, viel achtsamer und respektvoller.““
Nicht nur ich als ehemalige Prostituierte, nein, wir alle erkennen Prostitution, wenn sie uns so deutlich vor Augen steht, oder? „Ganzheitlichkeit“ und „Achtsamkeit“ hin oder her. Sexualassistenz IST Prostitution.
In mehreren Artikeln wird deutlich, mit welchen Problemen sich die behinderten Männer, über deren Erfahrungen mit „Sexualassistenz“ berichtet wird, rumschlagen: z.B. im Bericht des focus über den behinderten Michael und die Sexualbegleiterin Jutta: „Aufgrund ihrer Behinderung haben es die meisten Menschen wie Michael schwer Kontakt zum anderen Geschlecht aufzunehmen. Im Zentrum von Juttas Arbeit steht deswegen vor allem die körperliche Nähe.“
Im Stern lesen wir von Roland, der mit 60 Jahren zu ersten Mal Sex hatte – mit einer Sexualbegleiterin. Woran scheiterte es zuvor? „Wenn Roland spricht, dann nicht mehr als einen sorgfältig überlegten Satz. Er hat nie gelernt, wie das funktioniert: Eine Frau ansprechen, mit ihr einen Kaffee trinken gehen, ihre Hand halten. Auf andere Menschen einzugehen, zuzuhören, Bedürfnisse zu erkennen und aufzugreifen – das ist ihm fremd. „Einmal in der Lebenshilfe“, erinnert Roland sich, „da gab es eine Frau“. Die hat ihm gefallen. Seine Frage, die erste und einzige: „Willst du mit mir Geschlechtsverkehr machen?““
Michaels Problem ist, dass er schwer Kontakt zum anderen Geschlecht bekommt. Rolands Problem ist, dass er nicht beigebracht bekommen hat, wie man mit anderen Menschen umgeht. So findet man natürlich auch keine Sexualpartnerin. Und Roland formuliert auch gleich noch, was er eigentlich wünscht: „“Was mir immer wieder durch den Kopf geht: Ich möchte statt der Frau Engel eine richtige Partnerin haben.“ Eine, mit der er reisen könnte, frühstücken gehen oder einfach ein Buch lesen.“
Stattdessen hatten seine Pfleger vor, ihn in ein Bordell zu bringen. Bis sie dann auf das Sexualassistenzangebot stießen und ihm eine Stunde buchten. So geht’s natürlich auch. Fehlende Partner und mangelnde Privatsphäre sind das Problem, als dessen Lösung uns hier Prostitution vorgeschlagen wird. Das hat ein bisschen was von „ruhigstellen“, auch DeVries bekommt zu hören, nach ihren „Diensten“ sei der Patient viel ruhiger und auch die Wohngruppe sei schön entspannt, und pro familia empfiehlt zur Ruhigstellung dementer Opis in Pflegeheimen das Ordern einer Sexualassistentin.
Während also einerseits von manchem Pflegepersonal darauf bestanden wird, JEDER, egal mit welcher Behinderung, hätte ein sexuelles Empfinden und es gehöre dringend zur Lebensqualität, dieses auch auszuleben, hören wir von Seiten der Sexualassistentinnen so lustige Sprüchlein wie: „“Die Generation der 80-Jährigen, vermutet sie, sei in ihrem Leben häufig sexuell eher unterversorgt gewesen, möglicherweise auch ein Grund dafür, dass sich diese Bedürfnisse im Alter mit Macht zurückmeldeten. „In der Demenz versagen die Kontrollmechanismen“, sagt sie, „das sexuelle Verlangen wird nicht mehr von Konventionen oder Moralvorstellungen kanalisiert und drängt ungefiltert heraus.““ Sexuelle Unterversorgung, die im Alter aufgeholt werden muss? Na dann. Spannend zudem, dass gegen die Übergriffe dementer Männer auf die Schwesternschaft die „Sexualbegleitung“ empfohlen wird, diese Sexualbegleitung dann aber für dich in Anspruch nimmt, der Klient müsse wissen, was Grenzen sind: „“Bevor sie einen Termin vereinbart, informiert sich Nina de Vries genau über demente Klienten. „Ich muss wissen, wie der Mann auf Verbote reagiert, ob er zu verbalen oder körperlichen Aggressionen neigt“, sagt sie. „Ob er versteht, dass es sich um eine bezahlte Dienstleistung handelt, oder ob er denkt, ich sei seine Freundin.“ In ihrer Arbeit sei es unerlässlich, dass ihr Gegenüber die Grenzen respektiere.“ Von einem Menschen, dessen Kontrollmechanismen versagt haben zu erwarten, dass er plötzlich mit den Übergriffen aufhört, weil eine Sexualbegleiterin statt eine Schwester vor ihm sitzt – das hat einfach überhaupt keine Logik.
Überhaupt ist Missbrauch an den Klienten nicht auszuschließen. Selbst Sexualbegleiterinnen äußern, sie seien sich nicht immer sicher, ob das, was sie da am Patienten tun, wirklich gewünscht wird.
Während also auf der einen Seite nähebedürftige Patienten mit Sex abgespeist werden und demente ältere Herren ihre Übergriffe von der Schwesternschaft auf Prostituierte umlenken sollen (kennen wir diese Theorie nicht von irgendwoher?) ist an anderer Stelle schon lange eine Interessenvertretung für behinderte Freier entstanden. Nicht nur bringen behinderte Freier wie Lothar Sandforth in selbstgegründeten Ausbildungsstätten Prostituierten bei, wie man Sex mit Behinderten macht. Auch die Sexualassistenz wird von ihnen kritisch beäugt: als nicht genügend für behinderte Männer, etwa weil die Sexualbegleiterinnen für sich in Anspruch nehmen, das Treffen jederzeit abbrechen zu können (z.B. wenn die Energie nicht stimmt) oder aber ihre Grenzen zu wahren, denn „das ist der Unterschied zur Prostitution, dort bestimmt der Freier, was passiert“, so eine Sexualbegleiterin.
„Genau diese Unsicherheit für die Kunden kritisieren Gegner der Sexualbegleitung. Peter Wehrli etwa, Geschäftsleiter des Zentrums für selbstbestimmtes Leben in Zürich und selbst Rollstuhlfahrer, sagt: „Wer 90 Euro zahlt, muss auch wissen, was er dafür bekommt.“ Unter Umständen macht die Sexualbegleiterin ihren Kunden heiß und lässt ihn dann sitzen. Für Wehrli ist das inakzeptabel. „Sexualbegleitung dieser Art stempelt Behinderte als Sonderfälle ab. Krass ausgedrückt ist das therapeutische Sperma-Entleerung.“ Viel wichtiger sei die Öffnung der herkömmlichen Prostitution für Menschen mit Behinderung.“
Und für den Behinderten Michael, der regelmäßig eine Sexualbegleiterin bucht, gibt es auch keinen Unterschied zwischen Sexualassistentin und Puff: „Michael sagt: „Ich könnte auch ins Bordell gehen. Aber wieso, wenn ich mir bei Edith sicher sein kann, dass sie von keinem Zuhälter zu etwas gezwungen wird?““
Raul Krauthausen, Behindertenaktivist der an der Glasknochenkrankheit leidet, listet auf seiner Seite https://wheelmap.org/map auch barrierefreie Bordelle auf.
Integration, Inklusion heißt hier: Puffbesuche müssen für alle (Männer) möglich sein, und sind die Zugänge nicht behindertengerecht, wird auch gerne mal die Baugenehmigung verweigert.
Dafür setzt sich auch Matthias Vernaldi ein, der das Berliner Netzwerk Sexybilities mitgründete und der gerne mal darüber schreibt, wie sein Puffbesuch so war, während er eben diesen mit seiner Behinderung begründet.
Das langjährige, ehemalige linke Mitglied des Bundestags Dr. Ilja Seifert, selbst Rollstuhlfahrer, fordert auf seiner Facebookseite: „Umso wichtiger, daß die grüne Kollegin auf das Beispiel Niederlande verweisen kann. Dort können Frauen und Männer, die nachweislich keine andere Möglichkeit haben, Sex zu leben, ihn quasi „auf Krankenschein“ von „zertifizierten Sexarbeiter*innen“ bekommen. Eine ähnliche – unbürokratische und zugleich nicht-stigmatisierende – Lösung wird von der deutschen Behindertenbewegung seit Jahrzehnten gefordert. Es wäre an der Zeit, sexuelle Bedürfnisse als allgemeine Lebensbedürfnisse – und Sex als Lebensmittel -, worauf Jede*r Anspruch hat, anzuerkennen.“
Und „Recht auf Sexualität“ heißt hier augenscheinlich: Recht darauf, als Mann jemand weiblichen zur Verfügung gestellt zu bekommen der mitmacht.
Selbst die Aktion Mensch verlässt uns hier, wenn sie den Wunsch behinderter Männer nach Sex vermischt mit dem Recht behinderter Männer auf Prostituierte.
Auch die Beratungsstelle pro familia empfiehlt sexuelle Assistenz für Behinderte, wenn auch leider leider noch gar nicht klar sei was behinderte Frauen wollen, so dass es rein zufällig mal wieder um das Recht von Männern auf Sex geht. Zusammen mit der Prostituiertenberatungsstelle Kassandra gestalten sie Kurse, um Frauen zu Sexualbegleiterinnen auszubilden. Laut dem Wikipediaeintrag über Surrrogatpartnerschaft, eine Spielart der Sexualassistenz, ebenfalls empfohlen und entwickelt von Lothar Sandforth, geht pro familia sogar noch weiter: „Pro Familia kam zu dem Schluss: „Es findet sich keine einfachgesetzliche Rechtsgrundlage, aus der sich eine staatliche Pflicht ableiten ließe, AnbieterInnen von entgeltlicher Sexualassistenz und Sexualbegleitung für Menschen mit Behinderungen institutionell zu fördern.“ Gleichwohl wird inzwischen allgemein von einer eben nicht einfachgesetzlichen, sondern verfassungsrechtlichen Verpflichtung ausgegangen und das zwangsweise Vorenthalten von ggf. bezahlten Sexualkontakten als strukturelle Gewalt betrachtet.“
Wenn ich das richtig gelesen habe, wird hier also das Festschreiben des (männlichen) Rechts auf Prostituierte bzw. auf Sex und verfügbare (Frauen-)Körper in der Verfassung gefordert.
Während also einerseits dem am Pflegenotstand (Einsamkeit, emotionale Verwahrlosung) und an weiteren Systemfehlern (fehlende Privatsphäre in den Einrichtungen, mangelnde Aufklärung geistig Behinderter, keine Inklusion etc.) krankenden alten, dementen, behinderten Männern ein Stündchen Ficken hingeklatscht wird, welches ihre Bedürfnisse verfehlt und allen weismacht, am System müsse nichts geändert werden, und während also alle zufrieden sind, dass diese Männer endlich „Ruhe geben“, obwohl man manchmal gar nicht genau weiß, was sie eigentlich wollen und ob sie das, was an ihnen vollzogen wird, ÜBERHAUPT wollen, konstituiert sich auf der anderen Seite eine Fraktion von behinderten Freiern, die Frauen dafür ausbilden, ihre Bedürfnisse zu befriedigen, die Inklusion als etwas verstehen, das ALLEN Männern die Teilnahme am Fleischmarkt Prostitution, am tabulosen Sex mit jungen Frauen, ermöglicht. Und einige Beratungsstellen wünschen sich, das in der Verfassung zu sehen. Da kommt Freude auf.
Aber solange die Interessen Behinderter, Alter und Dementer vorgeschoben werden können, wird es weiter möglich sein, hier einen neuen Markt zu eröffnen. Weil Sexualassistenz ja irgendwie viel besser ist als Prostitution. Ganzheitlicher. Achtsamer. Karitativer. Quasi Sex mit einer Sozialarbeiterin.
Oder, wie die Berliner Agenturbesitzerin und Sexualbegleiterin Stephanie Klee sagt: „Wenn ich mit einem normalen Gast schlafe, bin ich eine Hure, wenn ich mit einem gehandicapten Gast schlafe, eine Heilige.“
© Huschke Mau, Januar 2017