Das Nordische Modell ist gefährlich!
Migrantische Frauen, die in Schweden in der Prostitution aufgegriffen werden, werden abgeschoben!
Prostituierte verlieren ihre Wohnungen!
Ihre Kinder werden ihnen weggenommen!
Die Freiergewalt gegen Prostituierte hat zugenommen! Prostitution ist nicht weniger geworden, sie ist nur in den „Untergrund“ gerutscht!
Das hören wir immer wieder in der aktuellen Debatte darüber, ob wir die massiven Menschenrechtsverletzungen, die durch die Legalisierung der Prostitution in Deutschland täglich geschehen, reduzieren können, indem wir das Nordische Modell einführen.
Deswegen habe ich heute ein ganz besonderes Schmankerl für euch – nämlich ein Interview mit der grossartigen schwedischen Aktivistin Merly Asbogard, die 16 Jahre in Schweden in der Prostitution war. Wir haben uns, von Prostitutionsaussteigerin zu Prostitutionsaussteigerin, über das Nordische Modell unterhalten – dieses besteht aus einer Freierbestrafung, der Entkriminalisierung von Frauen in der Prostitution, garantierten Ausstiegshilfen, gesellschaftlicher Aufklärung über Prostitution und der Annahme, dass Prostitution Gewalt gegen Frauen ist.
Wie sind also die Realitäten in der Prostitution unter dem Nordischen Modell, welche Auswirkungen hat es, und was können wir besser machen?
Viel Spass beim Lesen.
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1)
Huschke Mau: Liebe Merly, bitte erzähl uns etwas über Dich und Deine Geschichte.
Merly Asbogard: : Ich wurde 1985 in Kolumbien geboren und kam als Adoptivkind 1986 nach Schweden. Ich wurde aufgezogen in einer fast nur weissen Mittelklassegesellschaft mit sehr viel Rassismus. Als ich 14 war, wurde ich in die Prostitution genötigt durch eine Freundin von mir, die die Tatsache ausnutzte, dass ich in der Schule schwer sexuell genötigt worden war. Ich blieb 16 Jahre in der Prostitution.
2)
HM: … und über Deine Organisation.
MA: Gardet ist eine feministische Organisation für Frauen mit einer großen Onlinepräsenz. Wir sprechen über alle Arten von Männergewalt gegen Frauen und Kinder und beleuchten auch die strukturelle patriarchale Unterdrückung, an der Frauen in Schweden, aber auch in anderen Ländern leiden. Wir haben ein bisschen über 600 Mitglieder und 44.000 FolowerInnen auf Instagram.
3)
HM: In Deutschland ist Prostitution legalisiert. Wir werden als das „Bordell Europas“ bezeichnet, und es gibt sehr viel Zwangsprostitution und Menschenhandel. Wir, also Frauen, die Prostitution überlebt haben, Aktivistinnen und Feministinnen, möchten, dass auch in Deutschland das Nordische Modell eingeführt wird. In Schweden gibt es das Nordische Modell bereits seit 20 Jahren. Kannst Du uns erklären, was das Nordische Modell ist?
MA: Das Nordische Modell ist ein Gesetz, dass Freier, also Sexkäufer, kriminalisiert, weil es die feministische Perspektive einnimmt, dass Prostitution Teil der Männergewalt gegen Frauen ist. Die geringste Bestrafung besteht aus Bußgeldern, das Höchststrafmaß aus 2 Jahren Gefängnis. Jetzt möchte die schwedische Regierung die Bußgelder streichen und auf jeden Sexkauf eine Gefängnisstrafe aussetzen. Das ist noch nicht passiert, kommt aber sehr wahrscheinlich bald. Man arbeitet ebenso daran, Sexkauf auch dann bestrafen zu können, wenn schwedische Männer sich in anderen Ländern als Freier betätigt haben.
4)
HM: betrachtet man die Diskussion über das Nordische Modell in Deutschland, hört man immer wieder dieselben Argumente der Pro-Prostitutions-Lobby. Geht es nach ihnen, ist Schweden ein sehr düsterer Ort für Frauen in der Prostitution. Darüber würde ich Dir gerne einige Fragen stellen. Als erstes: hat sich die Zahl der Freier vergrößert oder ist sie zurückgegangen? In Deutschland geht man davon aus, dass täglich 1,2 Millionen Männer zu Prostituierten gehen, Statistiken gehen davon aus, dass jeder 5. Mann das tut.
MA: Das ist eine schwierig zu beantwortende Frage, denn das Nordische Modell wurde bei uns zu genau der Zeit eingeführt, als das Internet aufkam und damit der Strassenstrich in andere Räume verlagert und damit schwerer sichtbar wurde. Die Antwort ist, ja, die Anzahl der Freier ist gesunken, aber es haben immer noch 10% der schwedischen Männer schon einmal Sex gekauft. Aber die Anzahl ist gesunken, so steht es in jedem Evaluationsbericht.
5)
HM: Ist es wahr, dass migrantische Prostituierte aus Schweden ausgewiesen werden, wenn sie in der Prostitution aufgegriffen werden, so, wie wir es hier immer wieder hören?
MA: So war es mal. Aber jetzt wissen wir mehr und wissen es besser und treffen individuelle Einschätzungen und es wird geprüft, unter welchen Umständen die Frau in Schweden in der Prostitution war und wie die Lage in ihrem Heimatland überhaupt ist. Als Immigrantin darf man regulär für 3 Monate in Schweden bleiben, als Touristin, oder man bittet um Asyl, oder man versucht, einen Job zu finden. Wenn man den findet, darf man bleiben. Man darf aber auch um Asyl bitten, wenn man Menschenhandelsopfer oder Opfer von Prostitution ist. Was aber nicht geht, ist, Prostitution als Job zu zählen, über den man in Schweden bleiben darf. Man hat aber immer das Recht, um Asyl zu bitten, und Prostitution und Menschenhandel sind Gründe, dass einem Asyl in Schweden gewährt wird.
6)
HM: ist es wahr, dass Frauen, die sich prostituieren, Probleme damit haben, eine Wohnung zu finden oder auch obdachlos werden, weil im Nordischen Modell auch das Vermieten von Räumen an Frauen zum Zweck der Prostitution verboten ist?
MA: Nope! Das ist einfach eine Lüge. Es ist gegen das Mietgesetz, die Wohnung zur Prostitution zu nutzen, aber nur weil man in der Prostitution ist, wird einem nicht der Mietvertrag verweigert. Und ich kenne nicht einen einzigen Fall, wo auch nur eine einzige Frau in ihrer Wohnung Prostitution betrieben und deswegen ihren Mietvertrag verloren hat. Das passiert wirklich nur bei Bordellen, oder bei Zuhältern.
7)
HM: Stimmt es, dass Prostitution „in den Untergrund“ wandert, wenn man das Nordische Modell einführt?
MA: Natürlich ist es illegal, für Prostitution zu werben jetzt, aber man kann die Onlinenanzeigen immer noch finden. Aber das Geschäft mit dem Menschenhandel wird aus mehr als einem Grund in den Untergrund getrieben. Dennoch müssen sie ihre „Ware“ ja verkaufen, und so sind sie nie komplett unsichtbar.
8 )
HM: Stimmt es, dass Freier in Schweden brutaler sind? Wir hören oft von der Pro-Prostitutionslobby, die guten Freier blieben weg und es blieben nur die übrig, die eh kein Problem damit hätten, Straftaten zu begehen. Gibt es also mehr Gewalt gegen Frauen in der Prostitution in Schweden?
MA: Nein, Schweden hat keinen einzigen Mord an einer Frau in der Prostitution durch einen Freier vorzuweisen. Ob brutal oder nicht, die Art der Freier bleibt gleich – die Gewalt hat nicht zugenommen.
9)
HM: Ist es wahr, dass Frauen, die in Schweden in der Prostitution sind, ihre Kinder weggenommen werden?
MA: Nein, man verliert seine Kinder hier nicht, weil man in der Prostitution ist.
10)
HM: Wie würdest Du den Unterschied beschreiben zwischen der Situation in Deutschland und der Situation in Schweden?
MA: Da liegen Welten dazwischen! Ich würde sagen, der Hauptunterschied liegt darin, wie die Gesellschaft Prostitution sieht. Wir hatten hier in Schweden neulich den Fall, dass eine Person des öffentlichen Lebens im Bordell war, und er hat daraufhin alles verloren. Die schwedische Gesellschaft akzeptiert es nicht, dass Männer Frauen kaufen. Über 75% aller schwedischen Menschen unterstützen das Nordische Modell!
11)
HM: Wenn wir in Deutschland das Nordische Modell einführen, gibt es dann etwas, das wir besser machen können als Schweden, etwas, worauf wir achten müssen?
MA: Ja, stellt unbedingt sicher, dass ihr genug Ausstiegsprogramme bereitstellt und dass genügend aufgeklärt wird über alle Aspekte der Prostitution. Und stellt genug Regeln auf und Verhaltensvorgaben für alle Teile der Gesellschaft, die regelmäßig Kontakt haben mit Frauen, die drohen, in die Prostitution abzurutschen oder bereits in ihr sind.
Vielen Dank für das Interview, Merly!