Warum Prostitution sich selbstbestimmt anfühlen kann, obwohl sie das nicht ist

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Auf diesem Bild bin ich so Anfang 20. In dieser Zeit war ich schon in der Prostitution. Obwohl ich das, was Freier mit mir getan haben, auch damals schon als Gewalt empfunden habe, hätte ich auf die Frage, ob ich “selbstbestimmt” und “freiwillig” in der Prostitution bin, sicher mit “Ja!” geantwortet. Warum?

83% aller Frauen und Mädchen in der #Prostitution berichten davon, in der Kindheit schwere Traumata durch Gewalt erlebt zu haben. Bei 48% fand zudem in der Kindheit sexueller Missbrauch statt.

Das macht was mit einem – und es hat Folgen. Denn wer als kleines Mädchen oder in der Pubertät missbraucht wurde, darf eine grundlegende Erfahrung nicht lernen: Selbstbestimmtheit. Der hat nicht gelernt, dass man über die eigene Sexualität, den eigenen Körper, die eigenen Grenzen selber bestimmen darf. Vor allem junge & jugendliche Mädchen erleben dann auch Folgemissbrauch: das schwer gestörte Selbstwertgefühl wird hinter aufgesetzter Frechheit und Coolness versteckt, zugleich ist man für Männer, die sexuelle Übergriffe begehen wollen, ganz leicht als potentielles Opfer erkennbar (z.B. durch erheblichen Alkohol- oder Drogenkonsum, Narben durch selbstverletzendes Verhalten, die deutliche Unfähigkeit, sich selbst zu schützen usw.). Auch bei mir war es so, dass Männer gemerkt haben: die kann keine Grenzen ziehen, die ist bisschen labil, wenn ich der bisschen Druck mache, kann ich da schonmal drüber.

Wer missbraucht und folgemissbraucht wird, hat auch gelernt: ich bin nichts wert, ich darf keine Grenzen haben, und vor allem: wenn ich die Blicke auf mich ziehe, wenn ich die sexuelle Aufmerksamkeit eines Täters errege, bin ich selber schuld.

Und dann kann sich Prostitution eben selbstbestimmt anfühlen: plötzlich darf dich nicht mehr jeder anfassen, sondern nur noch, wer zahlt. Plötzlich dürfen sie nicht mehr machen, was sie wollen mit dir, sondern nur noch, für welche Stellungen etc. sie zahlen. Plötzlich hat man ein Argument dafür, Täter oder Missbrauchshandlungen abzulehnen: Geld bzw. nicht gezahltes Geld. Denn das „ich will nicht“ kein Argument ist, hat man ja schon gelernt.

Prostitution kann sich für Frauen und Mädchen, die sexuellen Missbrauch erlebt haben, also selbstbestimmt anfühlen. Das macht Prostitution nicht weniger zu sexuellem Missbrauch, es lenkt ihn aber aus Opfersicht in geordnetere, geregelter Bahnen – und man empfindet eine Teilschuld: ist man nicht heute Nachmittag selber und eigenständig ins Bordell gelaufen? Hat man nicht gerade „Ja“ zu dem Freier gesagt? Hat man nicht das Geld genommen? Also muss man ja irgendwie mitgemacht haben und schuldig sein, man hat am eigenen Missbrauch gefühlt mitgewirkt, man ist „selbstbestimmt“ – obwohl Prostitution in Wirklichkeit fremdbestimmte Sexualität ist: Sexualität, die dem Markt und den Freierwünschen unterworfen ist. Aber man bekommt, und auch das kann sich wie ein „Fortschritt“ anfühlen, zumindest eine Entschädigung dafür, auch wenn diese Ent-schädigung den Schaden niemals wieder gutmachen wird.

Das ist das, was gemeint ist, wenn von „selbstbestimmter Sexarbeit“ die Rede ist. Und das klingt schon nicht mehr so zauberhaft, geheimnisvoll und aufregend, wie in den Medien immer dargestellt, oder?

© Huschke Mau