Sperrbezirke

    In Deutschland ist es ja so, dass Prostitution legal ist, aber nicht entkriminalisiert. Verkürzt bedeutet das, es ist erlaubt, sich zu prostituieren, aber es gibt so viele Regeln, die dabei einzuhalten sind, dass es fast unmöglich ist, keine davon zu brechen.
    Was ganz klar sein muss, ist, dass die Forderung nach der Entkriminalisierung prostituierter Frauen eine Kernforderung des Abolitionismus ist. Strafen, Bussgelder, Regeln, die wir nicht einhalten können, helfen uns kein Stück und sorgen nur dafür, dass sich der Staat an dem Geld, das wir mühsam ervögeln, noch bereichert.
    Klar ist: Wenn es Sperrbezirke gibt, dann sollen die gegen die Verstöße zahlen, die Prostitution nachfragen. Und das geht, die Gesetze kann man so auslegen, dass die Freier zur Kasse gebeten werden, und nicht wir.
    Aber braucht es Sperrbezirke überhaupt?

    Ich kann verstehen, dass es Orte gibt, an denen Prostitution nicht stattfinden sollte. Kindergärten, Schulen… Freier, die Schulmädchen ansprechen (und das tun sie), braucht kein Mensch.
    Ausserdem sorgt die Tatsache, dass es Sperrbezirke gibt, dafür, dass Prostitution eben nicht überall stattfinden kann, nicht überall sichtbar ist und damit auch nicht normalisiert wird.
    Aber bringt das was, wenn sie gleichzeitig weiter stattfindet?
    Haben wir Frauen dadurch eine Option mehr bekommen, oder geht es nur darum, uns zu verdrängen?
    Ich habe immer gemischte Gefühle, wenn eine Stadt mal wieder feiert, dass sie einen Sperrbezirk durchgesetzt hat. Denn einerseits ist es ein ehrenwertes Motiv, zu sagen: „Wir finden Prostitution nicht normal, wir finden sie frauenverachtend, wir wollen das nicht.“
    Andererseits ändern Sperrbezirke nichts an der Realität, dass es Prostitution gibt.
    Keine Frau kann dadurch, dass es einen Sperrbezirk gibt, aussteigen.
    Das heisst, wir prostituieren uns weiter, oft, weil wir müssen, nur eben nicht mehr dort, wo jetzt der Sperrbezirk ist.
    Und das bedeutet unter Umständen: dort, wo es unsicherer ist. Im Gewerbegebiet, am Stadtrand, im Wald…
    Einerseits ist die Gefahr, vergewaltigt, umgebracht oder geschlagen zu werden, in Wohnungsbordellen, bei Haus- und Hotelbesuchen oder eben am Stadtrand nicht unbedingt kleiner. Andererseits ist es halt schon ein besseres Gefühl, wenn man schon anschaffen und mit potentiell gewalttätigen Freiern umgehen muss, es dann wo zu tun, wo noch andere Leute sind – in einem Hotel z.B.
    Oder auf dem Parkplatz neben dem Strich.

    Aber jetzt mal alle Sicherheitsmassnahmen, die wir prostituierten Frauen treffen (Kennzeichen aufschreiben, bei einem Hausbesuch einer Freundin die Adresse weitergeben,…) beiseite:

    Hat eine Gesellschaft, die duldet, dass Frauen sich prostituieren müssen um zu überleben, ja, die das sogar fördert und davon profitiert, ein Recht, eben diese Prostitution nicht sehen zu müssen?

    Es ist doch genau diese Doppelmoral, seit Jahrhunderten: Es gibt Prostitution und all die „ehrenwerten“ Männer nutzen sie, und das ist okay, aber die Prostitution selbst darf nicht sichtbar sein, und die prostituierten Frauen sind pfui Spinne.
    Wie ist das mit geschützten Räumen für prostituierte Frauen?
    (Mal abgesehen davon, dass Prostitution niemals sicher und ausserdem ein Übergriff an sich ist.)
    Oftmals werden Strassenstrichs und altgediente Prostitutionsorte aufgelöst. Dafür wird dann im Gewerbegebiet ein Laufhaus oder ein Eroscenter hingebaut.
    Das wollen viele von uns aber gar nicht, weil es das reinste Konkurrenzspektakel ist, weil wir weniger Verhandlungsfreiheit haben, mehr Vorschriften, weil wir dort weniger vom Geld behalten können. Es beschränkt uns noch mehr in der Prostitution, in der ja bekanntermassen die Wahl-, Entscheidungs- und Handlungsfreiheit eh nicht riesengroß ist.

    Andererseits, Prostitution einen Ort zuzuweisen, das ist auch problematisch. Wie beim Dortmunder Strassenstrich, an dem man Verrichtungsboxen aufstellte, und plötzlich wurde er zum größten Strich Europas, massenweise wurde südosteuropäische Frauen hingekarrt, weil ihre „Freunde“, Männer, Zuhälter befanden, da sei es legal und geregelt und das wäre doch auch mal eine Idee, dort eine Frau hinzustellen.

    Geschützte, zugewiesene Orte entwickeln also immer auch eine Sogkraft hinsichtlich Zuhälterei und Menschenhandel, und sie geben Freiern auch das Signal: es ist okay, was du tust, es ist hier ausdrücklich erlaubt.
    Wie also umgehen mit der Sichtbarkeit von und dem Schutz von Frauen in der Prostitution, ohne Prostitution zu normalisieren und zu akzeptieren?
    Sperrbezirke ja oder nein, und unter welchen Bedingungen, und warum seht ihr das, wie ihr es seht, aus welcher Position sprecht ihr?

    Es geht mir nicht um die Forderung nach dem Nordischen Modell, ihr wisst ja, dass ich mich dafür einsetze. Im Nordischen Modell werden Freier bestraft, und das ist auch richtig so. Das bedeutet, im ganzen Land ist sozusagen ein Sperrbezirk eingerichtet, und zur Verantwortung gezogen werden die Freier. Wichtig ist, dass wir bedenken, dass das NM aus 5 Säulen besteht und dass alle durchgesetzt werden müssen, das heisst, die Freier werden bestraft, gleichzeitig wird der Frau aber ein Hilfsangebot gemacht und sie hat ein Recht auf einen Ausstiegsplatz, also eine Möglichkeit, sich nicht weiter prostituieren zu müssen. Ohne das geht es nicht!