Wiedereinstiegsgedankenkreisel

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Jede exprostituierte Frau, die ich kenne, hat sie irgendwann: die Gedanken, wieder in die Prostitution einzusteigen.

Aber warum?

Jedes Mal, wenn ich öffentlich über Prostitution spreche, oder überhaupt über Prostitution spreche, erst recht, wenn ich mit Frauen rede, die noch aktiv sind, triggert es mich unglaublich, und ich bekomme schrägerweise das Bedürfnis, wieder anschaffen zu gehen.

Ich kann es mir nur so erklären, dass anschaffen gehen eben Teil meiner Konditionierung ist, mich selbst zu verletzen, und dass ich eben über diesen Selbstverletzungsteil noch nicht hinweg bin.
Ist wie wenn man mit dem Rauchen aufhört… Und sich plötzlich so unbekannt gesund und voller Energie fühlt. Das Bedürfnis bekommt, das wieder kaputtzumachen, eine ganze Schachtel am Stück zu rauchen, um nicht mehr so heil zu sein, weil man das heil sein nicht aushält.

Es ist seltsam, in diesem Moment vergesse ich vollkommen all die negativen Seiten der Prostitution. Ich denke nur daran, dass es mir so bekannt ist… Wohingegen ich mich in dem Leben, das ich jetzt führe, ja fremd fühle, ich passe nicht zu den Menschen, nicht zu den Lebensentwürfen, ich bin Außenseiterin, habe nie dazugehört und werde nie dazugehören.

Prostitution hingegen, das ist das, was ich kenne.
Und kann. Die zwischenmenschlichen Sachen sind klar geregelt, es ist nicht so wie jetzt, immer dieses unsichere Vortasten, Erfühlen, Ausprobieren, anstrengendes SotunalsseimanwiedieAnderen. Dieser ewige Kampf mit den Selbstzweifeln und damit, ob die eigene Wahrnehmung stimmt. Ja, sie stimmt, immer, aber man hat in der Prostitution so sehr gelernt, dass es egal ist, was einem das Bauchgefühl sagt, weil man es eh übergehen muss. Alle inneren Widerstände müssen abgeschaltet sein, ignoriert werden, sonst kann man sich nicht prostituieren. Man muss den eigenen Willen überhören.

Prostitution macht einsam. Einsamkeit macht Prostitution. Denn wer kein soziales Netz hat, wer durch sexuellen Missbrauch gelernt hat, dass Nähe gleich Sex ist, für den sind dann Freier der einzige soziale Kontakt, der verbleibt. Und damit die ständige Konfrontation mit Täterdenke, das Ganznahsein an Tätern, und sonst Isolation. Das verdreht einem die Denke und das Fühlen.

Und in die „richtige“ Welt traut man sich dann vielleicht nicht mehr, weil man sich wie ein Alien fühlt.

Die Ent-menschlichung, die man erlebt, Zimmerstunde um Zimmerstunde, Hausbesuch um Hausbesuch, hinterlässt Spuren. Irgendwann sieht man vielleicht noch aus wie ein Mensch, aber man fühlt sich nicht mehr so. Und man weiß, das geht nie wieder weg, es bleibt tief in einem eingeschrieben, behandelt worden zu sein wie ein Ding.

Dafür herrschen in der Prostitution klare Regeln. Regeln geben Halt. Zwar Scheiße, aber Scheiße die man kennt. Eine Art vermüllte, kaputte Heimat.

Leute, die im Plattenbaughetto aufgewachsen sind und es dann da rausgeschafft haben, wissen, was ich meine. Man kommt Jahre später zurück, schaut sich das alles an, den Dreck, die Aussichtslosigkeit, das Grau, das Unglücklichsein. Und wird sentimental.

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