Warum Frauen aus der Prostitution ihre Zuhälter und Menschenhändler nicht anzeigen. Meine Geschichte

    Es ist kompliziert.

    Bei mir und ich denke auch, bei vielen.

    Bei mir war es so, dass ich angefangen habe mich zu prostituieren, weil ich von Zuhause weggelaufen war, denn ich habe die schwere Gewalt dort nicht mehr ertragen. Irgendwann meinte das Jugendamt dann, ich müsse aus der betreuten Mädchenwohngemeinschaft wieder ausziehen. Hilfe habe ich da nicht bekommen – dass eine überhaupt rein gar keinen Kontakt mehr mit ihrer Familie hatte und absolut null Unterstützung, war für das Jugendamt total neu und unverständlich. Jedenfalls habe ich schon lange vor dem Auszug geahnt, dass ich mich auf keinen verlassen kann, und dass ich alleine dastehen werde. Und da kickte mein Überlebensinstinkt rein, und ich dachte: du willst nicht auf der Strasse landen. Du bekommst keine Hilfe. Du bist ganz auf dich allein gestellt. Was also tun?

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    Ist Domina zu sein etwas anderes als Prostitution?

      Achtung, deutlicher Inhalt / graphic content.

      Oft ist die Rede davon, dass „Domina“ zu sein ja etwas völlig anderes wäre als Prostitution. Dominas, heisst es dann, wären in einer privilegierten Situation, denn sie müssten keinen Geschlechtsverkehr ausüben, und sie hätten ja die Macht über den Kunden. Es sei etwas völlig anderes, einen Freier mit der Peitsche zu bearbeiten, als im Laufhaus bis zu 10 Freier am Tag sexuell zu befriedigen. Auch sei Domina zu sein psychisch nicht so belastend.

      Das entspricht nicht meiner Erfahrung. Domina zu sein, ist manchmal sogar noch anstrengender als die 08/15-Nummer hinzulegen. Warum?

      Zunächst mal: ja, es gibt Dominas, die „unberührbar“ sind, die der Freier („Sklave“) nicht anfassen darf. Die meisten Dominas sind aber „berührbar“.

      Ich möchte kurz über zwei Aspekte sprechen:

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      Warum ich nicht verzeihe

        Manchmal, wenn ich über meine Geschichte spreche, über all die sexuelle Gewalt, die ich in meiner Kindheit und auch in der Prostitution erlebt habe, kommen Menschen auf mich zu und meinen, mir gute Ratschläge geben zu müssen. Aber Ratschläge sind manchmal auch Schläge. Vor allem, wenn der Ratschlag lautet: „Du musst den Tätern verzeihen, dann wird es Dir besser gehen.“

        Ich könnte kotzen, wenn ich das höre.

        Denn ich verzeihe nicht. Ich bin nicht Buddha. Man komme mir nicht mit solchem Unsinn. Ich hatte mal eine Psychologin, die war so dermaßen auf dem Esoteriktrip, dass sie mir sagte: „Eigentlich können Sie Ihrem Stiefvater und all ihren Freiern und Zuhältern dankbar sein, dass die Ihnen das angetan haben. Nur dadurch sind Sie der tolle Mensch geworden, der Sie jetzt sind.“

        Warum kann ich so einen Mist nicht mehr hören?

        Weil das die Aussagen einer Gesellschaft sind, die von Opfern nichts hören will. Von einer Gesellschaft, die nichts ändern will. Manchmal, wenn ich sage „Wie könnte ich verzeihen und Frieden haben, wenn es doch weiterhin in dieser Gesellschaft geschieht, dass Kinder missbraucht, Frauen vergewaltigt und gekauft werden?“ bekomme ich zu hören: „Ja, es geschieht noch, aber doch nicht DIR. Du kannst also beruhigt sein.“

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        Die richtigen Fragen, oder: Plädoyer für einen Perspektivwechsel

          Als Exprostituierte und Aktivistin für Frauen- und Mädchenrechte kriege ich ziemlich viele blöde Nachrichten.
          In vielen geht es darum, mich zu beschimpfen.
          Es werden vor allem Fragen gestellt, die eigentlich Vorwürfe sind.

          „Ja, aber warum warst Du denn anschaffen? Niemand muss in Deutschland anschaffen.“ „Du hättest doch auch putzen gehen können?!“ „Du bist halt nur eine faule Nutte, die lieber die Beine breit macht als arbeiten zu gehen, ist es nicht so?“ „Du bist einfach zu labil für diese Arbeit, andere Frauen lieben es, sich zu prostituieren, warum willst Du das verbieten?“

          Ich frage mich oft, warum Menschen mir solchen Nachrichten schicken.

          Warum es ihnen so wichtig ist, mir unbedingt zu sagen, wie dreckig, verkommen, faul, labil, bescheuert und unzurechnungsfähig ich bin.

          Und ich komme zu dem Schluss, dass dies Menschen sind, die ihr Weltbild in Frage gestellt sehen, wenn eine kommt und sagt: „es gibt sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen.“
          Allein auf die Feststellung dieser Tatsache reagieren sie aggressiv.

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          Schuld & Scham

            Ich habe ein Problem

            … und zwar habe ich gerade eine mächtigliche Schämattacke. Oh weia.

            Manchmal werde ich gefragt, wie ich so offen mit meiner Geschichte um Gewalt in der Kindheit und um Prostitution umgehen kann, aber eigentlich kann ich das gar nicht. Ich zwinge mich halt einfach dazu. Ich zwinge mich dazu, das zu sagen, wie es war, weil ich finde, dass es etwas ändert und bewirkt.

            Aber schämen tu ich mich trotzdem wie Bolle. Ganz, ganz unsäglich. Ich rede hier nicht von „oh, ich schäme mich, weil ich den ganzen Tag mit einem Fleck auf dem Pulli rumgerannt bin und nichts gemerkt hab“-Scham. Sondern von „oh Gott, wie konnte ich nur, wie war ich bloß, es ist so schlimm, ich will nichts mehr mit mir zu tun haben, ich muss weg, sterben gehen“.

            Nur leider kann man sich halt von sich selbst nicht scheiden lassen.

            Manchmal, da stellen JournalistInnen mir Fragen und ich beantworte die ganz easy und die Scham kommt erst danach, wenn ich allein bin. Manchmal halte ich das aus. Heute ist nicht so ein Tag.

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            Was Prostitution und Strafgesetzgebung bei Vergewaltigung miteinander zu tun haben

              Ach Deutschland, Du Steinzeitland.

              Heute Morgen habe ich von folgendem aktuellem Fall gelesen: In Bonn hat ein Türsteher seine Exfreundin, gegen die er schon mehrfach gewalttätig geworden war, vergewaltigt. Diese hatte sich, da sie sich mit ihm an einem isolierten Platz befand und Todesangst hatte, nicht gewehrt, weil sie ( zu Recht) befürchtete, er könne sie bei Gegenwehr umbringen. Der Täter hat die Tat mit dem Handy gefilmt und seine Exfreundin gefragt: „Na, gefällt Dir das?“, sowie sie gezwungen, dazu vor laufender Handykamera „Ja“ zu sagen.
              Die Richter sind der Meinung, hier keine Vergewaltigung nachweisen zu können. Schliesslich habe die Frau auf dem Video „Ja“ gesagt.

              In Deutschland hat jahrelang nicht mal ein „Nein heisst Nein“ gegolten. Bis vor wenigen Jahren war es keine Vergewaltigung, wenn die Frau einfach nur bekundete, den Sex nicht zu wollen. Nein, für den Straftatbestand „Vergewaltigung“ war „massive Gegenwehr“ nötig. Das Problem: viele Vergewaltigungsopfer fallen in eine Art Schockstarre oder wehren sich nicht, weil sie instinktiv wissen, dass es sonst eskaliert und sie in Lebensgefahr schweben.

              Auf der Seite „Ich hab nicht angezeigt“ werden solche Freisprüche gesammelt. Es ist absurd, was in Deutschland möglich ist. In den Begründungen ist zu lesen, dass der Täter doch nicht habe wissen können, dass die Frau, bloss weil sie sichtbar weinte, nicht willens sei, den Geschlechtsverkehr weiter zu dulden. Oder dass sie doch hätte aus dem dritten Stock springen können, wenn sie wirklich etwas gegen den Sex gehabt hätte. Und so weiter und so fort.

              Okay, jetzt gilt endlich in Deutschland das „Nein heisst Nein“.

              Das ist aber nicht genug.

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              Eigen- und Fremdwahrnehmung bei Mädchen und Frauen mit sexuellem Trauma

                (Oder: Wenn Du auch immer denkst, Menschen, die Dich toll finden, irren sich und begehen einen fatalen Fehler, dann ist das hier für Dich.)

                Am Wochenende kam auf den Social Media Kanälen einer ZDF-Sendung ein 5-minütiges Videostatement von mir zu meiner Zeit in der Prostitution. In der Kommentarspalte wurde so gut moderiert, wie ich es noch nie gesehen habe. Zwar wurden gegenteilige Meinungen natürlich stehengelassen, aber sämtliche Beleidigungen und persönlichen Angriffe gegen mich wurden gelöscht. Ausserdem gab es ein megalanges Interview mit mir in der Noizz, das sehr sehr persönlich war, und ich habe fast nur positive Rückmeldungen bekommen.

                Das hat mich in eine tiefe Identitätskrise gestürzt – ich saß heute früh heulend bei meiner Traumatherapeutin (eine Frau, die ich außerordentlich liebe) und habe sie gefragt, ob es sein kann, dass ich eine Psychose und mir meine ganze Geschichte nur ausgedacht habe und ob es sein kann, dass ich Leute anlüge. Klingt irre? Lass mich kurz erklären. Wenn Du ein sexuelles Trauma, egal ob durch sexuellen Missbrauch in der Kindheit, Vergewaltigung später oder Prostitution erlebt hast, wirst Du das kennen.

                Ich bin Aktivistin für Frauen- und Mädchenrechte und für die Abschaffung der Prostitution. Ich werde täglich angegriffen (und auch bedroht). Und plötzlich waren da am Wochenende nur noch Antworten auf meinen Beitrag in der Kommentarspalte, die positiv waren. „Du bist so mutig“, „du bist so klug“, „du hast das so gut erklärt“, „was für eine schlimme Geschichte, ich wünsche dir alles Gute“, „du bist ein echtes Vorbild“.

                AAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAaH!!!!

                Bitte aufhören.

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                Bußgelder für Frauen in der Prostitution

                • Flag

                Heute möchte ich euch darauf aufmerksam machen, dass der deutsche Staat auch während Corona Frauen in der Prostitution ausbeutet und sich selbst damit zu ihrem Zuhälter macht.

                Allein in Hamburg mussten Frauen, die sich aus der Not heraus trotz des aktuellen Prostitutionsverbots zum Sex gegen Geld angeboten haben, insgesamt über 56.000 Euro Strafe zahlen. In Worten: Sechsundfünfzigtausend Euro!

                Sie werden das Geld zusammenkriegen, indem sie weiter anschaffen. Anschaffen für den deutschen Staat!

                Aber von Anfang an.

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                Ein Sprung ins kalte Wasser

                  Heute bin ich mal wieder ins kalte Wasser gesprungen.

                  Als ich aus der Prostitution ausgestiegen bin, war das schlimmste für mich, nicht darüber sprechen zu können, was ich dort erlebt habe.
                  Die Gesellschaft hat mir rückgemeldet, dass es an mir liegen muss, wenn ich psychische Verletzungen aus der „Sexarbeit“ in mir trage. Schlug ich die Zeitung auf, sprangen mir Anzeigen für Prostitutionskontakte entgegen. Oder Artikel über das „spannende, tolle Rotlicht“. Ging ich aus der Tür, sah ich riesengrosse Plakate für die Bordelle unserer Stadt. Lief ich auf der Straße entlang, fuhren an mir Taxis mit Puffwerbung vorbei. Und sprach ich über meine Prostitution, wurde ich beschämt.

                  Als ich angefangen habe, als Aktivistin tätig zu werden und über meine Zeit in der Prostitution zu sprechen, war das ein Sprung ins kalte Wasser. Mein erster Text ging sofort viral und ich stand völlig unter Schock. Und seitdem habe ich Angst.
                  Ich habe Angst vor den Drohungen und Gewaltankündigungen und Vergewaltigungsdrohungen, die ich bekomme. Angst vor einem Outing. Angst vor dem Stigma. Spreche ich auf Konferenzen, habe ich die ganze Nacht danach schreckliche Panikattacken.

                  Aber.

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                  „Wenn du Prostitution schlimm fandst, warst Du halt die Falsche für den Job“

                    Eins der widerlichsten Dinge, die ich als Exprostituierte regelmässig zu hören bekomme, sind Äußerungen wie diese – hier von einer „Sexarbeiterin“, die sich für eine Legalisierung der Prostitution einsetzt: wenn ich Prostitution als so schlimm empfunden hätte, sei ich einfach die Falsche für den Job.

                    Äußerungen wie „Prostitution kann kein Missbrauch sein, denn du hast dazu ja gesagt“ oder „aber du konntest dir deine Kunden doch aussuchen“ oder „wenn es dir damit schlecht ging, warst du halt die Falsche für den Job“ sind einfach ganz großer Mist.

                    Ich möchte kurz analysieren, warum diese Aussagen Bullshit sind, vor allem aber diese hier in dem Tweet.

                    1. Die Aussage, ich sei unvermögend, quasi ungeeignet für „den Job“, also für Prostitution, stellt die Illusion her, es gäbe kein Problem mit Prostitution, sondern Frauen wie ich seien das Problem und Prostitution einfach der „falsche Job“ für uns. Aber wenn Frauen und Mädchen Prostitution als traumatisierend erleben, dann liegt das nicht an den Frauen und Mädchen. Sondern an der Prostitution. Studien zeigen doch deutlich, dass Frauen und Mädchen, die in der Prostitution waren, Posttraumatische Belastungsstörungen aufweisen, die ähnlich heftig sind wie die von Leuten, die gefoltert worden sind – und warum? Weil Prostitution sexuelle Folter IST. Liebe Leserin, kannst Du Dir für Dich vorstellen, mit einem Mann zu schlafen – KONKRET: dir übers Gesicht lecken, in die Brustwarzen beißen, den Finger in die Vagina rammen, Dich mit Sperma bekleckern zu lassen – dem gegenüber Du Widerwillen und Ekel verspürst? Kannst DU das? Nein? Warum also meinst Du, es gäbe eine Gruppe von Frauen, denen das nichts ausmachen würde? Wir sind Frauen genau wie DU. Wir empfinden nicht anders als Du. Der einzige Unterschied besteht in unseren Lebensumständen.

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