Die richtigen Fragen, oder: Plädoyer für einen Perspektivwechsel

  • Flag
  • Flag
  • Flag
  • Flag
  • Flag
  • Flag
  • Flag
  • Flag
  • Flag

Als Exprostituierte und Aktivistin für Frauen- und Mädchenrechte kriege ich ziemlich viele blöde Nachrichten.
In vielen geht es darum, mich zu beschimpfen.
Es werden vor allem Fragen gestellt, die eigentlich Vorwürfe sind.

“Ja, aber warum warst Du denn anschaffen? Niemand muss in Deutschland anschaffen.” “Du hättest doch auch putzen gehen können?!” “Du bist halt nur eine faule Nutte, die lieber die Beine breit macht als arbeiten zu gehen, ist es nicht so?” “Du bist einfach zu labil für diese Arbeit, andere Frauen lieben es, sich zu prostituieren, warum willst Du das verbieten?”

Ich frage mich oft, warum Menschen mir solchen Nachrichten schicken.

Warum es ihnen so wichtig ist, mir unbedingt zu sagen, wie dreckig, verkommen, faul, labil, bescheuert und unzurechnungsfähig ich bin.

Und ich komme zu dem Schluss, dass dies Menschen sind, die ihr Weltbild in Frage gestellt sehen, wenn eine kommt und sagt: “es gibt sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen.”
Allein auf die Feststellung dieser Tatsache reagieren sie aggressiv.



Es sind dieselben Menschen, die Frauen, die von ihrem Partner geschlagen werden, beschuldigen: “Ja, aber warum gehst du denn nicht? Ja aber warum lässt du dir das denn gefallen? Anscheinend gefällt dir das ja?”

Es sind dieselben Menschen, die Frauen, die vergewaltigt wurden, fragen: “Ja, aber warum gehst du denn mit einem fremden Mann in die Wohnung? Da musst Du doch damit rechnen, vergewaltigt zu werden? Du warst aber auch echt knapp angezogen, ist doch klar, was Du da für Signale aussendest?”

Es sind dieselben Menschen, die, wenn sie meine Geschichte lesen, mich sogar für die Gewalt in meiner Kindheit beschuldigen: “Ja aber warum bist Du denn nicht weggelaufen, als Du 7 warst? Warum bist Du denn nicht zur Polizei gegangen als Kind und hast gesagt, was Dein Stiefvater tut?”

Warum tun diese Menschen das? Ganz einfach: der Status Quo darf nicht in Frage gestellt werden.

Und dafür ist es nötig, niemals die Taten als problematisch zu definieren, sondern immer das Verhalten des Opfers.

Nie nach den Motivationen des Täters zu fragen, sondern das Verhalten des Opfers in Frage zu stellen.

Prostitution ist nicht das Problem. Vergewaltigung ist nicht das Problem. Stalking und sexuelle Belästigung und Diskriminierung sind nicht das Problem.

Die Opfer sollen das Problem sein.
Denn dann fragt keineR nach den Tätern.

Fragt keineR: “Was geht eigentlich in Männern vor, die vergewaltigen?”
Fragt keineR: “Was sind das eigentlich für Männer, die sich sexuellen Zugang zu Frauen kaufen, und die genau wissen, dass diese Frauen eigentlich gar nicht mit ihnen schlafen wollen?”
Fragt keineR: “Wie kommen Männer eigentlich darauf, sich auf Pornhub und Co auf die Demütigung und Vergewaltigung von Frauen einen runterzuholen?”

Wenn wir diese Fragen stellen würden, hieße das, anzuerkennen, dass wir als Gesellschaft ein großes Problem haben. Und dass es Täter gibt. Wenn wir das begreifen, müssten wir was ändern.

Das wollen viele Menschen einfach nicht.
Weil sie nicht so genau hinsehen wollen, es tut zu weh.
Weil sie sich lieber mit den Tätern identifizieren, oder gar selber einer sind.
Wenn ich ein Freier bin, und gerne mal über Frauen drüberrutsche, von denen ich ahne, dass Not und Zwang sie dazu treibt, mit mir ins Bett zu gehen, dann kann ich mein Verhalten damit rechtfertigen, zu sagen:

“Diese Frauen sind ja eh Dreck.”
“Sie sind psychisch labil.”
“Die sind einfach zu faul zum arbeiten, die wollen es doch nicht anders.”

Damit lenken Täter und sich mit Tätergesellschaften identifizierende Menschen hervorragend von den Taten ab und verlagern das Problem auf die Opfer.

Lasst uns damit aufhören.

Es geht hier nicht um EINE Nachricht.
Es geht um ein gesamtgesellschaftliches Problem.
Es geht darum, wie unsere Gesellschaft Opfern sexueller Gewalt begegnet.

Taten geschehen nicht auf Grund des Verhaltens der Opfer.
Taten geschehen, weil es Täter gibt.

Es heisst nicht:
“Was stimmt mit Mädchen nicht, die sich mit 14 Jahren im Internet auf erwachsene Männer einlassen und ihnen Nacktbilder schicken?”
Sondern es heisst:
“Was stimmt mit Männern nicht, die sich in Kinderchats einloggen und dort pubertierende Mädchen dazu bringen, ihnen Nacktbilder zu schicken?

Es heisst nicht:
“Was stimmt mit knapp erwachsenen Mädchen nicht, die anschaffen gehen?”
Sondern:
“Was stimmt mit Männern nicht, die Mädchen anschaffen schicken und von deren sexueller Ausbeutung profitieren, und was stimmt mit Männern nicht, die sich solche Mädchen kaufen und sie ficken?”

Mit den richtigen Fragen stellen wir den Status Quo in Frage.

Etwas in Frage zu stellen, ist der erste Schritt, wenn es darum geht, Dinge zu ändern.

Und sie müssen sich ändern.