Deutsche Zustände. Eine Momentaufnahme

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Dieser Text ist zuerst bei den Störenfriedas (hier) und auf Emma online (hier) erschienen.

 

Es ist ein Samstag im September. Ich bin extra früh aufgestanden, weil ich zum Sport wollte. Aber das kann ich jetzt knicken, denn vor dem Sport sollte man ein bisschen was essen, und ich krieg jetzt nichts mehr runter. Ein Hoch auf die fatale Angewohnheit, noch vor dem Frühstück in die sozialen Medien zu gucken. Hätte ich mir sparen sollen.

Es ist ein Samstag im September, und ich lese, dass ein Bordellbetreiber, ein verurteilter Menschenhändlermit Kontakten in die organisierte Kriminalität, Prinz Marcus von Sachsen-Anhalt, im Fernsehen aus dem Nähkästchen plaudern darf. Darüber, wie reich ihn die Ausbeutung von Frauen gemacht hat. Darüber, wie das so läuft, wenn er Frauen an andere Zuhälter verkauft. Darüber, wie er die Frauen hat 16 Stunden am Tag schaffen lassen und darüber, wie viel Kohle ihm das gebracht hat. Darüber, dass er sich für einen „guten Luden“ hält. Und darüber, wie lustig das ist, dass die Polizei das alles für Sklaverei hält.

Denn in Deutschland, dem Land mit dem liberalsten Prostitutionsgesetz der Welt, haben im Jahr 15 seit Verabschiedung eben jenen Gesetzes Menschenhändler, Zuhälter und Bordellbetreiber nichts weiter zu fürchten. Sie sitzen gelackt und geschniegelt in Talkshows und können sich offen über ihren Job verbreiten, sie sind angesehene Geschäftsmänner und wenn sie Ärger mit der Justiz bekommen, dann höchstens wegen Steuerhinterziehung. Willkommen in einem Land, für dessen Bevölkerung Zuhälter und Menschenhändler nicht verachtens- und ächtenswert, sondern Unterhaltung sind. In der sie als schillernde Vögel durch ihre Bordelle führen dürfen. In der sie Promis sind, deren Knasterfahrung und Nähe zu den Hells Angels höchstens noch als spannend angesehen werden.

Entführung von Frauen, die auf der Flucht vor ihnen sind und nicht mehr für sie anschaffen wollen?

Geschenkt. Zeigen wir lieber noch ein paar Bildchen mit Bling Bling mehr. Es kann nicht genug geprotzt werden. Hach, muss so ein Leben als Bordellbetreiber und Zuhälter spannend sein! Und wenn Dein Puff nicht mehr läuft, kommt ein Fernsehteam und schaut, woran es liegt und wie man ihn optimieren kann. Pimp my Puff.

Ja, das ist Deutschland im Jahr 2016, hier leben wir, in einem Land, das einmal jährlich seine Rotlichtviertel mit Fähnchen und Girlanden überzieht und dort eine Party veranstaltet, damit sich „die Bevölkerung“ mal so ein paar Puffs von innen anschauen kann.

Die meisten Männer, keine Sorge, brauchen solche als Stadtteilfeste konzipierten Elendsvoyeurismen übrigens nicht. Die wissen sehr wohl, wie es im Puff ausschaut und abgeht. Aber einmal im Jahr werden in Frankfurt ein paar Glitzersternchen über der Elends- und Armutsprostitution verstreut, und dann können alle, die sonst nichts mit Prostitution zu tun haben, ein paar selbstgemachte Fotos von halbnackten, über dieses Event nicht informierten Zwangs- und Armutsprostituierten abfassen, sie ein bisschen beglotzen, sich auf sie einen runterholen oder sich an dem Abgrund, in dem sie leben, aufgeilen und dann mit einem Gefühl, mal etwas wirklich AUFREGENDES erlebt zu haben, wieder nach Hause gehen. Katastrophentourismus ist das, und ganz ehrlich, mich erinnern solche Veranstaltungen an die sogenannten Völker- und Menschenschauen der kolonialistischen Zeit, in der afrikanische, asiatische, amerikanische UreinwohnerInnen in Zoos gesteckt worden sind, um neben all den Wildtieren ausgestellt zu werden. Alles so toll! So exotisch! Wollen Sie mal ein paar Rumäninnen, Bulgarinnen sehen, in ihrer natürlichen Umgebung und in Stammestracht? Dann kommen Sie doch in die Laufhäuser Frankfurts! Hier können Sie sehen, was wir, die rassistischen, kolonialistischen Deutschen, für die natürliche Umgebung dieser jungen osteuropäischen „naturgeilen“ Frauen halten. Und was wir so denken das ihre angeborene Funktion und Aufgabe ist, nämlich unseren Männern die Schwänze zu lutschen!

Zwangsprostitution? Klar, gibt es sicher, irgendwo. Aber was, bitteschön, ist schon „Zwangsprostitution“ in einem Land, in welchem die Verletzung einer eingesperrten, vergewaltigten Zwangsprostituierten, die auf der Flucht vor ihrem Zuhälter aus dem Fenster springt, als ein „Arbeitsunfall“ gilt? Und in der Städte Broschüren rausgeben, in denen sie Bordelle empfehlen?

Unhaltbare Zustände? Oh ja! Aber zum Glück gibt es Änderungsvorschläge.

Einige davon kommen von der frauenpolitischen Sprecherin der Grünen aus Frankfurt, Ursula auf der Heide. Die betont zunächst auf ihrem Facebookprofil, um „Rettung vor dem Anschaffen“ gehe es ihr nicht, aber „bessere Rahmenbedingungen wären schon gut“. So bezieht sie sich – in diesem Artikel wird sie zitiert  – auch auf die genannte Broschüre, in der die Stadt Frankfurt für ihre Bordelle wirbt, in denen rumänische und bulgarische Frauen anschaffen. Auch die werden genau so beworben. Rassismus, much?

Obwohl in dem Artikel konstatiert wird, dass es hier um Armutsprostitution und Menschenhandel geht, und obwohl sie selber konstatiert, dass es sich hier um „Personen ohne Wahlmöglichkeiten“ und um eine „humanitäre Katastrophe“ handelt, befindet sie, es sei „Quatsch“, Prostitution zu verbieten (warum eigentlich?) und erläutert, was sie für ein „Mindestmaß an humanitären Maßnahmen“ hält, die dazu führen sollen, das „Gewerbe menschenwürdiger zu machen“. Auf gut deutsch: Prostitution ist menschenunwürdig, aber leider, leider können wir trotzdem nichts daran ändern, dass es das gibt. Weil… weil aus Gründen! Also, es gibt ganz, ganz viele Gründe, warum Prostitution nicht abgeschafft werden kann. Das gilt, Frau Auf der Heide, dann bestimmt auch für andere Menschenrechtsverletzungen, Verbrechen, Straftaten? So wie Vergewaltigung, Kindesmissbrauch, Körperverletzung, sexuelle Nötigung? Weil, darum handelt es sich bei Prostitution nämlich, verstehen Sie? Sagen Sie jetzt auch, das alles zu verbieten wäre „Quatsch“? Ach so, sorry. In der Prostitution bezahlt ja jemand dafür. Ah, also, DANN können wir das natürlich NICHT abschaffen!

Aber weiter, lesen wir doch mal nach, was so vorgeschlagen wird. Wie gedenken die Grünen, diese „humanitäre Katastrophe“ zu beenden? Ihre Antwort: „Die Politikerin schlägt beispielsweise Waschgelegenheiten und Toiletten an der Theodor-Heuss-Allee vor. Auch über „Verrichtungsboxen“, wie sie in Köln aufgestellt wurden, müsse man nachdenken.“

Jahaa. Fresst das. In your face, dignity. Verrichtungsboxen. Und sonst so? Wünscht sie sich Plakate, die die Freier sensibilisieren sollen. Wissend, dass „all diese Maßnahmen nicht Menschen vor dem Anschaffen retten“. Aber: „Wir müssen ein Signal auch an die nicht freiwillig Tätigen senden, dass die Stadt deren Situation nicht als normal akzeptiert. Man kann bei der modernen Sklaverei nicht tatenlos zusehen.“ Und was dieses „Signal“ sein soll, wird auch gleich noch präzisiert: „Es könne auch nicht sein, dass man von einem Gewerbe, dass für Bordelle so lukrativ sei, so wenig Steuern erhalte.“

Ich fasse zusammen.

Abertausende Frauen werden nach Deutschland verschleppt und hier zum Anschaffen gezwungen. Hunderttausende Frauen gehen hier einem kommerzialisierten sexuellen Missbrauch nach. Weil sie traumatisiert sind, arm sind, drogenabhängig sind, gezwungen werden.

Und unsere PolitikerInnen finden das schlimm, aber hach, man kann eben nichts machen.

Nein, gegen sexistische, rassistische, klassistische Systeme kann man leider NICHTS machen, wenn es Tradition hat, dass es ein Männerrecht auf Sex gibt, das WICHTIGER ist als die Unversehrtheit und die Würde von Frauen. Und Kindern, übrigens. ABER! Tatenlos zuschauen können wir trotzdem nicht. Und es ist unsere PFLICHT, diesen von einer permanenten Menschenrechtsverletzung bedrohten Personen zu helfen! Aber nicht, indem wir die Freier, die Täter an ihrem Tun hindern und sie dafür bestrafen, oh nein! DAS geht natürlich nicht! WO kommen wir denn da hin? Das anschaffen abschaffen? Nein! Wir helfen den Frauen, indem wir Menschenhandel menschenwürdiger machen! Indem wir ihnen WASCHMÖGLICHKEITEN bieten, damit sie sich nach dem sexuellen Missbrauch sauber machen können für den nächsten. DAS ist unsere Definition von Menschenwürde! Und nicht zu vergessen helfen wir diesen Frauen auch, wenn wir ihnen mitteilen, dass der deutsche Staat gern noch etwas mehr von ihrer Ausbeutung profitieren würde! Denn es geht natürlich nicht an, dass hier alle an dieser „humanitären Katastrophe“ und am Menschenhandel verdienen, nur der deutsche Staat kriegt den kleinsten Anteil! Das müssen wir ändern, dann geht es auch den Frauen besser.

Liebe Frau Auf der Heide, sie haben leider so gar nichts begriffen. Ich wette, hätten Sie in den Zeiten der schwarzen Sklaverei gelebt, sie hätten einen Eimer Wasser auf die Baumwollfelder gestellt, um zu „helfen“, und die Steuern die beim Verkauf eines Sklaven / einer Sklavin anfallen erhöht. Auch um zu „helfen“.

Das sind die deutschen Zustände, und sie sind peinlich bis dorthinaus. Das Elend liegt vor unserer Haustür, in den Laufhäusern, Megabordellen, Flatratepuffs, auf dem Straßenstrich und in den Modellwohnungen. Und wir sagen: „hier kannste dich waschen“ und „ich will auch was an deiner Ausbeutung verdienen“.

Es geht nur noch um das Aufgeilen am Elend, um das Rotlicht als Unterhaltung und es geht darum, dass auch alle was davon haben.

Außer die Prostituierten natürlich, wa. Aber die können sich jetzt wenigstens waschen. Wie schön.

 

Huschke Mau