Der Freier. Warum Männer zu Prostituierten gehen, und was sie über diese denken.

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Dieser Text ist zuerst bei der Kritischen Perspektive (hier) erschienen.

 

Neben meinem Schreibtisch steht so eine Kiste, in der sammel ich böse Erinnerungen. Jedes Mal, wenn ich einen Flashback oder „intrusive Gedanken“ habe, schreibe ich die ganz schnell auf einen Zettel, werfe diesen in die Kiste und mach die Klappe zu. Die Kiste ist ziemlich voll. Heute habe ich in dieser Kiste einiges aufgewühlt, weil ich einen Text über Freier schreiben wollte. Und ja, ich sage „Freier“ – das kommt von „jemanden freien“, wie „auf Freiersfüßen wandeln“ – und ist damit ein Euphemismus für sexuellen Missbrauch, den die Freier in der Prostitution ja betreiben, und eines von vielen Beispielen dafür, dass wir in einer Gesellschaft leben, die sexuelle Gewalt gegen Frauen akzeptiert, normalisiert und kleinredet. Den Begriff „Freier“ verwende ich trotzdem, aus Mangel an Alternativen, und weil Prostituierte ihre „Kunden“ eben so nennen, und ja, man darf in diesen Begriff durchaus einen abfälligen Touch reinhören. Ich sage bewusst nicht „Sexkäufer“, denn in der Prostitution findet kein Sex statt, der von „Sexarbeiterin“ zu „Sexkäufer“ transferiert und über die Ladentheke gereicht würde. Merkwürdigerweise wird über die Menschen, die diese Gewalt ausüben wenig gesprochen, es geht beim Thema Prostitution meist um die Frauen, die das doch „machen dürfen sollen“. Ich höre dann immer von all den „selbstbewussten, netten, sympathischen Huren“, die wieder irgendjemand kennt, was aber gar nichts aussagt, denn ich kenne auch einige „selbstbewusste, nette, sympathische“ HartzIV´lerInnen, was mich trotzdem nicht davon abhält, das System Hartz IV abzulehnen. Prostitution abzulehnen bedeutet nicht, Prostituierte abzulehnen, sondern das System Prostitution verstanden zu haben – ein System, dass die Freier erst begründen – durch ihre Nachfrage.

Neulich wurde ich gefragt, woran man einen Freier erkennt, und da musste ich zugeben: wenn er nicht gerade im Puff vor Dir steht und mit einem Hunni wedelt, gar nicht. Nein, auch ich erkenne Freier in der freien Wildbahn nicht, auch nach 10 Jahren Prostitution nicht. Das liegt daran, dass es, wie man so häufig hört, wirklich „ganz normale Männer“ sind, was jetzt und hier aber nicht als Beruhigung gemeint ist. Fragt man Männer ob sie schon mal im Puff waren, lügen sie einen meist an („Würde ich nie tun“) oder erzählen einem das Märchen von „Ich war nur ein einziges Mal und es war so voll schlimm, dass ich es nie wieder getan habe“ (wenn ihr sowas hört: RENNT!). Freier sind völlig unterschiedliche Typen. Es ist einfach alles vertreten, alle Berufe, alle Altersklassen, alle Charaktere – nur eines haben sie alle gemeinsam – dazu später mehr.

Freier

Aber wie sind Freier denn so? Vorab: die Geschichten von all den behinderten Männern, die Prostitution brauchen um ihre sexuellen Bedürfnisse zu erfüllen, sind nicht wahr. In 10 Jahren Prostitution hab ich keinen einzigen behinderten Freier gehabt, davon mal abgesehen ist es diskriminierend, Behinderten zu unterstellen, es wöllte eh niemand freiwillig mit ihnen Sex haben. Für den weiblichen Teil der Menschen mit Einschränkungen trifft das eh nicht zu, denn die werden sogar überdurchschnitlich häufig missbraucht.

Ebenfalls nicht wahr ist, dass „viele nur zum reden kommen“. Das war in all der Zeit bei mir genau 1 Freier (in Worten: einer). Diese Begründung dient augenscheinlich dazu, Männer als Opfer darzustellen (sie müssen ja immer stark und dominant sein, die Armen) und gleichzeitig schönzureden, was sie im Bordell wirklich tun.

Wie Freier so sind ist völlig unterschiedlich. Ich hatte Freier, die wollten mich an der Scheibe eines Hochhauses vögeln und danach gern anspucken, auf allen vieren krabbeln lassen und mir ins Gesicht spritzen. Ich hatte Freier – sehr viele – die mich gefragt haben: „Was kostest du?“, und die damit eingestanden haben, dass es sich hier nicht um Sex- sondern um Frauenkauf handelt. Ich hatte Freier, die haben mich auf so eine widerliche Art angegrinst wenn sie merkten, dass ich Schmerzen hatte (mein erster Freier war so einer). Ich hatte Freier, die haben Drogen mitgebracht, um sie mit mir gemeinsam zu konsumieren. Ich hatte Freier, die es geliebt haben, meine Grenzen zu überschreiten und genau das zu tun, was nicht abgemacht war. Freier, die mir ihren Waffenschrank zeigen wollten, als sie mit mir und ihren zwei Riesendoggen in ihrem Haus allein im Wald waren (inklusive 2 Meter hohem Sicherheitszaun und null Handyempfang), und die es mochten, mich immer wieder zu fragen: „Na, hast du Angst jetzt?“. Manche haben genau gemerkt, dass ich nicht wollte, haben aber trotzdem weitergemacht. Manche waren pervers oder pädophil, manche haben schon im Hausflur des Wohnungsbordells gewichst (ja, auch nichtprostituierte Frauen werden von Prostitution belästigt, die Mieterinnen werden sich bedankt haben), manche haben mich gefragt wie jung ich beim ersten Mal war oder haben mir erzählt, dass sie auf sehr junge Mädchen oder Kinder stehen („ich arbeite auf so einem Reiterhof, da sind ganz junge Mädchen, die werden richtig geil wenn du ihnen nur den richtigen Sattel gibst“). Manche haben sich bemüßigt gefühlt, mir anzubieten mich zu schwängern (warum auch immer), manche haben mich gefragt ob sie mich „abgreifen“ dürfen. Es hat Freier gegeben die waren von sich selbst und von ihren sexuellen Leistungen derart überzeugt, dass sie mir unterstellten ich würde mich schämen, „dafür auch noch Geld zu nehmen“, denn ich hätte doch „auch was davon gehabt“. Es gab Freier die haben an den Preisen rumgehandelt und mir, wenn ich mich nicht runterhandeln ließ, vorgeworfen es ginge mir nur ums Geld und ich solle „wieder Mensch werden“. Ganz so, als seien Prostituierte eine Art Caritas-Station für Männer. Ich hatte Freier die meinten es mir mal „richtig zeigen“ zu müssen, weil sie „so eine da draußen nicht einfach so kriegen“, und Freier, die dachten, mir mit objektifizierenden Äußerungen („geile Titten“) Komplimente zu machen. Ich weiß nicht wie oft ich gefragt wurde ob ich „gerne ficke“, während ich an die Decke oder auf meine Nägel geguggt habe, ich weiß nicht, wie oft ich von Freiern gehört habe es wäre „leicht verdientes Geld“. Haben Freier gemerkt, dass ich sie nur mit Drogen oder Alkohol abfertigen kann, haben sie es mir hingestellt. Viele hatten Spaß daran, mich zu quälen, endlos lange zu ficken, bis mir einfach alles wehtat. Einer stand mit einer Skimaske vor der Tür und hatte wohl den Fetisch, als der „maskierte böse Mann“ Prostituierte in Wohnungsbordellen zu erschrecken (das ging schief, denn ich kam gerade vom Zimmer und hatte die Peitsche noch in der Hand). Ein Freier meinte er habe mich bestellt weil er sexuell außer Übung sei, er habe es mit einer Gummipuppe probiert, das wäre nicht so seins gewesen, dann nähme er eben mich. Einer hatte beinah einen Herzinfarkt, was mir natürlich zupass kam, einer war Christ und weigerte sich, nachdem das Kondom abgerutscht war, seine Personalien dazulassen und sich an den Kosten für die Pille danach zu beteiligen, denn das sei „unmoralisch und außerdem Mord“. Einer stand darauf mich zum Orgasmus zu zwingen („Wenn ich will, dass du einen Orgasmus kriegst kriegst du einen, der Kunde ist König“), und viele haben sich entschuldigt, wenn sie keinen hochgekriegt haben, denn jetzt hätte ich ja nichts davon.

Bevor jetzt hier jemand denkt, ich wäre auf dem Straßenstrich gestanden und beschriebe hier nur das unterste Ende der Skala des Freierniveaus: beileibe nicht, diese netten Herren sind mir alle im Wohnungsbordell bzw. im Escort untergekommen, und übrigens sind die Kunden auf dem Straßenstrich beileibe nicht nur Männer mit wenig Geld. Es sind eher die, die drauf stehen möglichst wenig Grenzen gesetzt zu kriegen und aus dem Elend anderer möglichst viel Macht und sexuelle Lust gewinnen zu können.

Komplizen. Sie wissen genau, was sie tun

Schaut man sich in Freierforen um, ergibt sich kein viel schöneres Bild. Da gibt es Männer, die junge Frauen, die kein Wort deutsch sprechen, in ihren Kellern mit Strom quälen und sich freuen: „die fängt schon an zu zittern wenn sie mich sieht!“ Reaktion der Freierkollegen aus dem Forum: „Respekt!“ Männer, die Zwangsprostituierte buchen und sich freuen, dass diese noch nicht „eingeritten“ sind („die kneift noch die Beine zusammen, süß! Hier gibt’s noch echte Gefühle, die ist noch kein Automat. Hab sie anal genommen bis sie nicht mehr konnte“) oder gleich beim „einreiten“ helfen :„das erste halbe Jahr darf man die eh nur als Sklavia buchen, bis sie sich dran gewöhnt hat“, „ich bringe ihr gerade deep throat bei und glaubt mir, sie wird es lernen“, „sie wusste wohl nicht, dass in ihrer Anzeige steht, dass sie auch anal und AO macht, lol, habs natürlich trotzdem durchgezogen, wurde ja so angeboten“, „vor einem halben Jahr hat sie von sich aus noch kein anal AO gemacht, das mussten wir ihr erst beibringen, dass sie das zu machen hat“. Die Praktiken werden immer härter (Gesichtsbesamung, anspucken, Fisting, „Schlamm schieben“ und „vorbesamt bestellen“, Gangbangs, Nadeln, anpissen, deep throat bis zu Erstickungs- oder Würgeanfällen) und man kriegt das Gefühl nicht los, dass es nicht um Sex geht sondern um Folter, darum, jemanden – eine Frau – zu quälen. Immer wieder wird gefragt, wie „belastbar“ die Frau sei, wie hart sie anal vertrage, wieviel Sperma sie schlucken kann ohne zu würgen, kurz, wieviel sie aushält und dabei trotzdem noch stillhält („wenn sie sich so billig anbietet und im Schaufenster steht, muss sie damit rechnen, dass ein Mann da mehr will als abgemacht!“). Dass sie das in vielen Fällen muss: geschenkt. So berichtet ein Freier in einem Thread davon, eine Prostituierte habe ihm gesagt, sie habe 3 Besitzer (!), müsse 24 Stunden am Tag bereit sein Kunden zu bedienen, „alles ohne“ machen und dürfe keine Praktiken ablehnen, zudem dürfe sie von den 130 Euro Stundenlohn nur 30 behalten. Empathiebefreiter Kommentar des Freiers: „Tja, das macht halt kaputt, das sieht man auch. Aber immerhin, 30 Euro sind viel Geld in Rumänien.“

Ich habe die Threads zu den Foren mit Absicht nicht verlinkt, um keinen Traffic zu schaffen – fühlt euch frei zu googlen, der Suchbegriff „Freierforum“ genügt.

Über andere Frauen. Ehefrauen und Freundinnen

Aber Freier reden nicht nur über Prostituierte so, sondern auch über andere Frauen („deutsche Frauen nerven mich, diese Emanzenf***“) und über ihre Partnerin (denn ja, sehr viele Freier sind gebunden – ich schätze mal über die Hälfte). Manche sagen sie hätten (noch) schönen Sex mit ihrer Partnerin, aber sie bräuchten die Abwechslung (das sind die selbsternannten „Genießer“, die Frauenkörper konsumieren wie guten Wein, da muss mann sich schließlich auch durchtesten). Viele haben keinen Sex mehr mit ihrer Partnerin und kommentieren dann, die Frau würde sich ihnen „verweigern“, sei „prüde“ und jetzt „selbst schuld“ wenn er zu einer Prostituierten gehe, er werde ja von ihr „dazu gezwungen“. Manche haben mir erzählt, dass ihre Ehefrau „leider“ die vorgeschlagenen Praktiken ablehne, was sie sehr traurig mache, aber irgendwo müssten sie diese ja dann ausleben. (Auf Nachfrage kommen dann meistens derartige Perversionen zu Tage, dass man sich nicht mehr wundert, dass diese von Seiten der Frauen abgelehnt worden sind.) Was ganz deutlich wird, ist, dass sich die Männer erstens aus der Verantwortung nehmen (die Frau ist schuld! Kein Sex mehr oder eben nicht der richtige Sex) und dass sie durchgängig meinen, sie hätten zweitens ein Recht auf Sex (und irgendwo müssen sie den ja herkriegen, Hergott, und wenn die Alte ihn nicht rausrückt…). Dabei haben sie oft nicht mal ein schlechtes Gewissen: einmal wurde ich von einem Mann zu einem Hausbesuch bestellt, der da so gemütlich auf dem Sofa saß, über ihm hing ein gerahmtes XXL-Familienbild. Als er meinen Blick bemerkte, erzählte er mir fröhlich, seine Frau sei gerade im Krankenhaus und habe Zwillinge zur Welt gebracht, er sei sehr stolz und wolle das feiern, und da sie „gerade“ nicht könne, habe er mich bestellt. Manche Freier haben mir auch erzählt, in der Kindheit ihrer Frauen sei etwas Schlimmes vorgefallen, deswegen würden diese jetzt ungern Sex haben (und erst recht keinen Analsex, Oralsex mit Schlucken, Fisting, ins Gesicht spritzen, hach, schade!), also müssten sie ja in den Puff gehen. Überdeutlich ist hier, dass nicht der Missbrauch an sich problematisiert wird (der Kindesmissbrauch, der Missbrauch des Freiers an seiner Ehefrau, der Missbrauch des Freiers an der Prostituierten), sondern dass sich die Freier sogar noch als Helden fühlen, weil sie ihre Ehefrau damit verschonen, ihr „Recht“ durchzusetzen. Der Missbrauch der Partnerinnen geht soweit, dass diese teilweise in den Sex mit Prostituierten einbezogen werden. Wie oft hab ich gehört „meine Partnerin ist ein bisschen bi, da dachte ich, ich tu ihr mal einen Gefallen und bestelle eine Prostituierte, und dann machen wir es zu dritt“ und hab gleich abgelehnt, weil ich genau wusste, dass die gute Frau von der ihr angedichteten Bisschen-Bisexualität gar nichts weiß und hier gerade zu etwas gedrängt werden soll, was sie gar nicht will. Ob sie sie „verschonen“ oder „mit einbeziehen“, sogar das verkaufen Männer noch als „Gefallen“, den sie ihrer Frau tun – was dann zu so schönen Angeboten führt wie: „Hey, ich würde gern in meine Frau spritzen und du leckst das dann raus, während ich dich ohne Gummi ficke, geht das?“ – Männer handeln deswegen so selbstsicher, wenn es um Prostitution geht, weil sie denken das sei etwas das ihnen ZUSTEHT. Ich habe in ziemlich vielen Ehebetten gelegen und ziemlich viele Überraschungsanrufe von Partnerinnen mitgekriegt („oh, jetzt muss ich aber mal rangehen – ja, Schatz? Das ist schön, ich freu mich auch auf heute Abend!“) und mich immer wieder gewundert, wie routiniert, gewissensbefreit und sicher Männer dabei ihr Programm gegenüber der Partnerin abspulen – warum? Wer etwas tut, von dem er denkt dass es ihm zusteht, der braucht kein schlechtes Gewissen verstecken, weil er einfach keines hat! Rauskommen darf das Ganze nur deswegen nicht, weil es unangenehm würde, wenn die Partnerin zetert.

In einem besonders widerlichen Thread in einem Freierforum steht gar zu lesen, dass ein Ehemann es sich zur Routine gemacht hat, auf Hausbesuch bestellte Prostituierte mit dem Dildo seiner Frau zu bearbeiten und diesen ungewaschen wieder an seinen Platz zu stellen – seine ganz persönliche Art der Rache an der Frau, die ihm in seinen Augen Sex schuldet und diesen einfach nicht hergeben will. Von all den Typen, die alles ohne (ao) praktizieren und dann heimgehen und da weitermachen, will ich gar nicht reden. Obwohl für den Freier beide, Prostituierte und Ehefrauen, dazu da sind, ihnen Sex zu offerieren, unterscheiden Freier doch genau zwischen beiden. So wurde mir immer wieder gesagt: „du bist zu gut für den Puff, du gehörst hier nicht hin“, was ja impliziert es gäbe Frauen, die eben nicht gut genug sind (Ehefrau zu sein?) und die in den Puff gehören. Ihre Frauenverachtung aber trifft beide, Partnerin und Hure. Sie trifft alle Frauen.

Wie will man das zusammenfassen? – Freier sind Männer, die einen Blick auf Frauen haben in denen diese zu Nutztieren werden. Das sieht man ganz gut an Freiersätzen wie: „Ich muss ja nicht gleich die ganze Kuh kaufen, wenn ich mal ein bisschen Milch will.“ Gerne vergleichen Freier Prostituierte auch mit Lebensmitteln / Konsumgütern: „Zuhause gibt’s halt immer nur Erbsensuppe, ich will halt auch mal Schweinebraten“ oder „immer Opel fahren ist ja schön und gut, aber ab und zu darfs auch gerne mal was schnittigeres sein“.

Der nette Freier

Immer wieder werde ich gefragt, ob es denn nicht auch nette Freier gegeben habe, und da kann ich nur sagen, ja, die gab es. Es ist aber nicht wichtig, ob jemand nett ist, sondern was er tut. Ich hatte einen, der wollte dauernd Händchen halten und mit mir danach essen gehen. Die Termine waren der Hass, weil sie so lange dauerten, auch im Bett. Das war einer von diesen „netten“ Kunden, und die wollen meistens „Girlfriend-sex“, das heißt, sie wollen Nähe, Intimität, Schmusen, Küssen, den ganzen Kram, und das ist anstrengend, weil es persönliche Grenzen überschreitet, weil man noch mehr schauspielern muss, und es versaut einem Intimität restlos, eben weil sie restlos eingefordert wird. Man darf nichts mehr für sich selber behalten, in dem man auch diese Gesten der Zärtlichkeit imitiert (echt sind sie ja nicht) und verkauft, gehören sie einem nicht mehr, sie werden Teil des Entertainerinnenrepertoires und damit bedeutungslos, da abgespalten vom Ich. Sie müssen in einer freierfreien Zukunft erst wieder neu zurückgefordert und neu erlernt werden. Hinzu kommt, dass zu dem Gefühl, missbraucht zu werden durch die Freigabe derart intimer Gesten das Empfinden kommt, an dem Missbrauch beteiligt zu sein, sich selbst zu missbrauchen, da kein „harter Kern“ übrig bleibt, der vor dem Freier geschützt wäre. Es ist wie eine Totalauslieferung. – Dieser Freier jedenfalls wollte, dass ich ihm vorspiele seine Affäre zu sein – er war einer von den „Genießern“, die mit nur einer Ehefrau nicht klarkommen und er bedauerte mich regelmäßig wegen der anderen Freier, die ich abarbeiten musste. Auf die Idee, dass er selbst zu diesen unangenehmen Freiern gehörte, ist er nie gekommen: Freier denken von sich selbst nicht als Freier, es sind immer nur die anderen schlimm. (Außer bei den Sadisten: die wollen gern als „die Schlimmsten“ in Erinnerung behalten werden.) Er hat mir ziemlich viel Kohle geboten, damit ich das „nicht mehr machen muss“, aber bei Freiern ist nichts umsonst, Freier helfen auch nicht einfach so, nein, eine Prostituierte ist ein öffentliches Gut, und da will jeder was davon haben, und am liebsten „helfen“ Freier, um sich ihre eigene kleine Privatnutte heranzuzüchten. Also sollte ich mich mit ihm treffen, aber nur mit ihm, und ohne Geld. Er wollte mich quasi „einkaufen“.

Denn Männer denken so sehr, dass sie ein Recht auf Sex haben, dass sie eigentlich, in ihrem tiefsten Inneren, nicht mehr einsehen warum sie dafür zahlen sollen. Schauspielert man gut, hatte man ja „auch was davon“ und muss eigentlich nicht bezahlt werden (= zu gute Illusion erschaffen), hat man schlecht geschauspielert hat man die „Leistung nicht erbracht“ und muss eigentlich auch nicht bezahlt werden. Man kann nicht gewinnen!

Der Blick von Freiern auf Prostituierte ist ein zwiegespaltener, einerseits wünschen sie sich eine Maschine, die alle gleich behandelt („was sie anbietet muss sie auch machen, egal wer da kommt“, eine Ablehnung ihrer Person ist nicht vorgesehen), andererseits wollen sie etwas besonderes sein. Entweder weil sie ja so bemerkenswert gut im Bett sind, oder weil sie, wenn sie sadistisch sind, die Prostituierte besonders gut fertig machen können. Was sie nie sein wollen: einer wie jeder andere, Nummer 8 oder 9 auf der Tagesliste. Nein, man soll sie in Erinnerung behalten, das ist eine Sache des Egos.

Warum Männer zu Prostituierten gehen

Auf die Frage, warum Männer zu Prostituierten gehen, versuchen mehrere Studien zu anworten. Leider vergessen vor allem die deutschen WissenschaftlerInnen, dass die befragten Freier ihnen antworten wie es gesellschaftlich erwartet wird („Romantiker“, „probiere gern aus“, „kriege keinen Sex mehr Zuhause“) und zeichnen also ein weiches Bild vom Freier, das so nicht der Realität entspricht. (In den Freierforen hätten sie ein paar härtere Einblicke gewonnen!) Beispiele solcher „Studien“ z.B. in der Süddeutschen oder dem Tagesspiegel.

Warum also machen Männer das? Manche sind einfach Sadisten, die Frauen hassen und ihnen gerne mal eine „Lektion in Sachen Hardcorefick /Hatefuck erteilen“ wollen. Manche sind arme Würstchen, die es nötig haben, einer Prostituierten ihre Männlichkeit zu beweisen, Manche sind „Romantiker“, die eine Art Verbindung herstellen wollen, eine Beziehung, eine Romanze. Sie alle haben etwas gemeinsam: sie denken, sie hätten ein Recht auf Sex, ihnen ist eine gewissen Frauenverachtung inne und sie orientieren sich an einem Bild von Männlichkeit, dass vor toxic masculinity nur so trieftropft. Aber vor allem: Sie alle wissen oder könnten wissen, dass diese Frauen sich nicht freiwillig und gerne unter sie legen. Es ist ihnen aber schlichtweg EGAL.

Es wird bestellt wie auf der Speisekarte: einmal französisch total bitte, mit anal danach, und dann wird sich ein bestimmter Körper ausgesucht, auf dem das Menü verspeist wird. Der Aspekt des Körperaussuchens ist übrigens der Beweis dafür, dass Sex keine Dienstleistung ist: es ist also nicht egal, wer sie erbringt, denn es geht nicht nur um den Sex, es geht darum, eine Frau zu BENUTZEN.

Denn: selbst die Romantiker suchen keine echte Nähe. Sie haben das Bild einer Frau, das Bild einer Beziehung zu dieser Frau vor sich, und sie bezahlen dafür, es erfüllt zu bekommen, egal wie die Realität sein mag. Und sie ähneln darin den Sadisten, die die Frau ebenso benutzen, und denen ihr wahrer Wille egal ist. Prostitution funktioniert nicht ohne Zwang, es wird niemals genügend Frauen geben die sich „freiwillig“ prostituieren, ein gewisser Teil wird immer gezwungen werden müssen. Freier können oft nicht wissen, ob sie eine Zwangsprostituierte unter sich haben, und das ist ihnen auch schlichtweg gleichgültig. Der Zwang stört sie nicht, es stört sie nur, wenn sie ihn sehen müssen, weil er dann ihr Bild zerstört. Sie finden ihn geil (wie die Sadisten), gehen nicht mehr hin (weil sie die Illusion für die sie zahlen so nicht mehr hinkriegen) oder reden ihn klein (neulich in einem Freierforum gefunden: „was ist schon Zwang, ich muss jeden Morgen aufstehen und was essen, das ist auch Zwang“). Prostituierte sind für Freier keine Menschen, und äußern sie, dass sie Schmerzen haben, „stellen sie sich an“. Am liebsten hätten sie eine, mit der sie alles machen können und die trotzdem noch lächelt: eine Puppe. 66% aller Freier wissen, dass viele Frauen von Zuhältern gezwungen werden, aber es ist ihnen schlicht egal. 41 % gehen trotzdem hin, in dem direkten Wissen, dass es sich hier um Opfer von Zuhältern handelt.

Vom Freier zum Täter

Das entspricht auch meiner Erfahrung. Als ich noch im Wohnungsbordell war, war für viele Freier klar, dass im Nebenzimmer jemand sitzt, und als ich im Escort war, zeigten sich viele überrascht, dass ich keinen „Chef“ bzw. Zuhälter habe, so sehr waren sie daran gewöhnt.

Es gibt Freier, die meinen Ekel genau gesehen haben, denen das aber nichts ausgemacht hat („hör auf dich wegzudrehen wenn ich dich küssen will“, „ich hab das Gefühl du kannst schon keine Schwänze mehr sehen“), dann gab es die, die das angemacht hat und dann gab es die, denen mein Ekel das Bild zerstört hat für das sie zahlten und die nicht mehr wiederkamen. Es geht um Kontrolle, es geht um Kontrolle über Frauen. Die einen werden sauer, wenn nicht gut vorgespielt wird, die anderen freuen sich, wenn die Maske der Selbstbeherrschung auf Seiten der Prostituierten rutscht und hauen extra drauf. Die Gewalt, für die bezahlt wird, ist nur die eine Seite, die andere ist die Gewalt, die nicht ausgemacht wurde: Vergewaltigungen, Folter, Handgreiflichkeiten, Mord.

Es geht also darum, eine Frau in der Kontrolle zu haben, sie machen zu lassen was mann sich wünscht, so zu sein, wie mann es sich wünscht. Und das ist der Kernpunkt der Prostitution: alles ist zentriert auf die Bedürfnisse des Mannes, Sex ist immer verfügbar, er muss nichts weiter dafür tun, er hat die freie Auswahl an Frauenkörpern, das Prinzip der Zurückweisung ist nicht vorgesehen. Zwar hören Freier gerne, dass eine Prostituierte „durchaus auch Kunden ablehnt“, weil ihnen das das Gefühl gibt, einem elitären Kreis anzugehören. Sie selber können sich aber nicht vorstellen, dieser abgelehnte Kunde zu sein. Jedes Mal wenn ich Kunden abgewiesen habe, war das ein großes No-No, etwas, dass sie bis dato nicht in Erwägung gezogen hatten und auf dass sie so allergisch reagierten als schulde ich ihnen etwas, als sei ich eine öffentliche Bedürfnisanstalt, zu der nur sie keinen Zutritt hätten, als hätte ich die Spielregeln gebrochen.

Wer nun glaubt, ich redete hier von einer Minderheit, von einer geringfügigen kleinen Anzahl kranker Männer, der irrt. Je nachdem welche Statistik man befragt, geht in Deutschland entweder jeder 5. Mann zu Prostituierten oder 3 von 4 Männern. Errechnet werden konnte, dass jeden Tag (!) eine bis 1,2 Millionen Männer in deutsche Puffs gehen. Nicht mit einberechnet sind Männer, die sich gefilmte Prostitution (= Pornographie) anschauen. Denn die sind ja auch irgendwo Freier.

Melissa Farley hat in einer Studie herausgefunden, dass Freier deutlich häufiger Vergewaltigungen begehen als Nichtfreier. Daraus lässt sich erstens schließen, dass Prostitution einen Lerneffekt auf Männer ausübt, nämlich den, dass Gewalt gegen Frauen unter bestimmten Umständen okay ist. Nicht nur, dass in der Prostitution besonders viele bereits missbrauchte Frauen landen, sie erleben dort auch noch weitere Gewalt, und die Freier nehmen von ihrem Besuch bei Prostituierten gesenkte Hemmschwelle mit, was sexualisierte Gewalt gegen Frauen angeht. Und das bedeutet:

Prostitution ist die Folge von Gewalt gegen Frauen, ist selbst Gewalt gegen Frauen und ist Ursache von Gewalt gegen Frauen.

Prostitution geht alle Frauen an

Deswegen geht Prostitution auch ALLE Frauen an. Wenn eine Frau käuflich ist, sind es alle: wie oft habe ich von Freiern gehört, dass sie lieber mich bezahlen als „irgendeine, das ist ja auch teuer, Blumen, Restaurant und so, am Ende darfste nicht mal ran“. Dazu kommt, dass Freier oft Szenen aus Gewaltpornos im Bordell nachstellen, also vom Voyeur sexueller Gewalt zum direkt Ausübenden werden, diese Praktiken dann für sich als normal da machbar und ohne Konsequenzen ausübbar definieren und sie dann auch ihren Partnerinnen vorschlagen bzw. diese von ihnen verlangen. Prostitution steht nicht außerhalb dieser Gesellschaft, sie wird von ihr hervorgebracht und auch benötigt, um das traditionelle Rollenbild immer und immer wieder zu zementieren: Mann aktiv und aggro, Frau passiv und unterwürfig. Sie ist finanziell abhängig von ihm, während er sexuell über sie verfügen kann, ihre Bedürfnisse haben keine Priorität. Es ist kein Zufall, dass die BefürworterInnen der kompletten Dekriminalisierung der Prostitution immer wieder sagen, dies sei immer noch besser als die Ehe, denn beides, Ehe und Prostitution, beruht ja auf genau demselben Grundprinzip. Es ist so schade, dass wir in einer Gesellschaft leben, die sich eine Sexualität nicht vorstellen kann, in der Frauen keine EntSCHÄDIGUNG gezahlt wird, einfach weil kein SCHADEN entstanden ist.

Stattdessen leben wir in einer Gesellschaft, die glaubt dass Männer ein Recht auf Sex haben, unter allen Umständen, auch wenn das heisßt, dass eine Frau dazu gezwungen wird. Is dann schade, is aber halt dann leider so, gell? Die Welt ist eben schlecht.

Deutlich wird, dass die Bedürfnisse von Männern anscheinend wichtiger sind als die körperliche und seelische Unversehrtheit von Frauen, nicht zu vergessen wichtiger als ihre sexuelle Selbstbestimmung.

Denn Prostitution ist das Gegenteil sexueller Selbstbestimmung. Und die Freier wissen das, und das macht sie an, oder sie wissen es nicht, könnten es aber wissen, oder sie verdrängen es. Kurz: wollen wir in einer Gesellschaft leben, in der Männer darauf stehen, wenn Frauen ihren Ekel unterdrücken müssen und in der ihnen das BESTENFALLS egal ist?

Freier sehen Prostituierte nicht als Frauen, sie sehen nur das Objekt, den Körper, eventuell noch das schmückende Beiwerk (die Gesellschafterin). Sie können nicht wirklich wissen, wie es ihr wirklich geht, warum sie sich prostituiert, was sie wirklich denkt, was sie bisher für ein Leben hatte, ob sie gerade hier sein will oder nicht.

Es ist ihnen schlichtweg gleichgültig. Die Frau, deren Rechte, deren Willen und Gefühle sind ihnen gleichgültig, und das ist das, was alle Freier gemeinsam haben, wirklich alle: Gleichgültigkeit.

Freier zahlen für das Nichtvorhandensein der Würde, des Ichs und des Willens einer Frau, und die Frage ist, warum wir eigentlich eine Institution brauchen, die ihnen derartiges ermöglicht.