Prostitution und Grenzüberschreitungen

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Mir als Frau aus der Prostitution geht oft gegen den Strich, wie Prostitution in den Medien verharmlost wird. Man könnte meinen, es sei ein Lifestyle wie jeder andere. Vice Österreich hat mal wieder einen älteren Artikel rausgekramt, in dem es um „Sexarbeiter“ geht – ja, nicht gegendert, denn es sind „Männer und Frauen in der Sexindustrie ihre Körper anbieten“. Ist ja gleich der erste Punkt. Denn ja, das stimmt. Aber hier wird so getan, als wäre das 50-50 – was nicht stimmt. Prostitution, Strippen usw. ist hart gegendert, 9 von 10 Prostituierten sind weiblich – und die männlichen Prostituierten bedienen zumeist auch die männliche Nachfrage. Es gibt keinen Grund, so zu tun, als gäbe es genauso viele Frauen wie Männer in der Prostitution, und als würden genauso viele Männer wie Frauen Sex kaufen. Das ist nicht der Fall. Warum? Weil Prostitution (auch Strippen, Porno etc.) Ausdruck und Stütze patriarchaler Verhältnisse ist.

In dem Artikel sprechen u.a. eine Escortfrau und eine Prostituierte.

Die Frau aus dem Escort weist zunächst darauf hin, dass sie immer wieder Freier hat, die es mit der Hygiene nicht so genau nehmen. Da ist natürlich die Frage, woher kommt das? Meiner Meinung nach ist auch das Ausdruck eines ungleichen Geschlechterverhältnisses. Von Frauen wird erwartet, sich immer hübsch zu machen: schminken, Intimbereich rasieren, Beine enthaaren, Achseln ebenso, Fitnessstudio, Cellulitecremes, Faltencremes, gefärbte und gestylte Haare, regelmässige Kosmetikerinnenbesuche, hohe Schuhe, figurbetonte Kleidung usw. Bei diesem Spiel kann man nicht gewinnen. Erfüllt man die Bedingungen, wird man objektifiziert („Schlampe“, „geiles Teil“, „bisschen dumm, aber dumm fickt gut“), verweigert man sich der ganzen Sache, ist man eine prüde, ungevögelte „Birkenstocktante“. An Männer werden diese Ansprüche nicht gestellt. Männer müssen sich nicht irgendwelchen Bedingungen anpassen – sie sind genug, so wie sie sind. Ihre reine Präsenz reicht aus (und berechtigt sie auch behaart, bierbäuchig, müffelnd und halbglatzig dazu, Kommentare und Bewertungen ggü. dem Aussehen von Frauen abzugeben). Dementsprechend  wird ein Mann als gut genug wahrgenommen, sobald er auch nur da ist und dementsprechend hat er oft auch kein Problem damit, seine körperliche (und sexuelle) Anwesenheit Frauen anzubieten, egal, wo es hakt (nicht geduscht? Stinkesocken? Ausschlag? Dreck unter den Fingernägeln? Ach, egal!) – erst recht, wenn er die Frau dafür bezahlt, mit ihm ins Bett zu gehen. Prostitution verstärkt dieses eh schon bestehende Ungleichgewicht hinsichtlich der Geschlechter, denn es baut männlicherseits noch mehr Hemmungen ab.

Davon mal ab, was soll das für ein Job sein, bei dem man sich dauernd unangenehmer Erscheinungen hinsichtlich der männlichen Körperlichkeit aussetzen oder sie abwehren muss, und das auch noch in sexueller Hinsicht? Denn Freier möchten trotz dreckiger Fingernägel im weiblichen Intimbereich rumfingern, trotz verschwitzter Haut vollen Körperkontakt und von dem Rest fange ich gar nicht mal an  – schliesslich sind sie eh schon Gottesgeschenk genug, und dann haben sie auch noch bezahlt. Prostitution ist Ausdruck ungleicher Machtverhältnisse, und das merkt man spätestens hier, wo oft nicht mal die grundlegende Respektsbasis auf männlicher Seite besteht.

Beide, die Prostituierte und die Escortfrau, berichten von Grenzüberschreitungen. Immer wieder müssen sie Forderungen nach AO („alles ohne“, also ohne Kondom) abwehren. Und das selbst, wenn vorher bereits klargemacht wurde, dass das nicht möglich ist. Denn Freier haben ein Anspruchsdenken: sie glauben, eben nicht nur dafür zu bezahlen, was offiziell beschönigend „sexuelle Dienstleistung“ genannt wird, nein, oft genug glauben sie, alles zu kaufen, die ganze Frau. Mich haben 8 von 10 Freiern immer gefragt: „Was kostest du?“ Freud lässt grüßen. Die Diskussion um das Weglassen des Gummis kenne auch ich zur Genüge. Könnt ihr euch vorstellen, wie es ist, mit einem Typen zu schlafen, den man ohne Geld niemals anschauen würde, aber man braucht halt die Kohle? Schlimm genug. Und dann will der Typ auch noch NOCH näher an einen ran und in einen rein: die letzte Barriere, das Gummi, soll wegfallen. Sperma schlucken, Sperma in der Scheide haben, Sperma von einem Typen, mit dem man eigentlich nicht schlafen will – was für ein zauberhaftes Angebot. Hinzu kommt, dass Frauen in der Prostitution sehr wohl oft auf ihre Gesundheit achten – Freier aber nicht so häufig. Wer sich in Freierforen umschaut, der sieht, wie viele Freier bedenkenlos überall rumficken, Strassenstrich, Drogenstrich, alles ist dabei – und wenn sie überhaupt einen Test machen, dann gehen sie nicht etwa zum Gesundheitsamt, wo es kostenlos ist, nein, dann gehen sie Blut spenden. Und gefährden damit noch andere Menschen: denn Blutspenden als regelmässiger Freier ist eigentlich nicht erlaubt.

Doch damit nicht genug der Grenzüberschreitungen. Beide Frauen berichten davon, dass Freier versuchen, in ihren persönlichen, privaten Bereich einzudringen, und auch ich kenne das noch gut. Jeder Freier hält sich für etwas Besonderes, schlimm sind immer nur die anderen. Genug Selbstreflektion zu erkennen, dass sie selbst auch nicht anders handeln als die „schlimmen“ besitzen nur ganz wenige Freier (und auch die hält das dann vom Freiersein nicht ab). Damit und weil sie bezahlt haben, sehen sie sich berechtigt, mehr zu bekommen als das, wofür sie bezahlt haben. Mehr als den Sex. Mehr von der Frau. Die ganze Frau. Und zu der gehört: deren Privatleben. Wie heisst du wirklich? Was machst du sonst so? Hast du Kinder? Hast du einen Freund? Können wir uns privat mal treffen? Gibst du mir deine Handynummer, damit wir uns per WhatsApp mal bisschen schreiben können? Hast du Lust, am Samstag mit mir am See baden zu gehen? Ohne Geld natürlich.

So geht das die ganze Zeit, und man muss ständig ausweichen, abwehren, aber vorsichtig, gell, denn man möchte und darf den Kunden nicht verärgern, ein zu klares Nein bedeutet ein verletztes Männerego, und verletzte Männeregos sind gefährlich. Da fällt der Fick danach auch mal deutlich härter aus oder man hat einen neuen Stalker am Hals. Oder einen Kunden verloren – der sich dann eine Frau sucht, die nicht gelernt hat, ihre Grenzen zu wahren. Eine, bei der er nicht nur im sexuellen Bereich, sondern auch im emotionalen und psychischen Bereich aus den Vollen schöpfen kann. Was übrigens auch harte Arbeit ist.

Dann gibt es noch die, auch das berichtet die Prostituierte im Artikel und auch das kenne ich noch, die permanent fragen, ob einem das Spass mache. Was sie nicht hören wollen: dass es einem keinen Spass macht. Was sie hören wollen: ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht und mit DIR macht es mir megaviel Spass. – Das ist dann echt das letzte: seinen Missbraucher noch davon überzeugen zu müssen, dass einem der Missbrauch gefällt. Seinem Ego zu schmeicheln und ihm zusätzlich zum bezahlten Sex noch sein Ego und sein Gewissen streicheln zu müssen. Du hast das Gefühl, dass dein Freiertum Schäden anrichtet? Nun, wie wäre es damit, dann keine Frau dafür zu bezahlen, dass sie sich überwindet um mit dir ins Bett zu gehen, sondern aufzuhören, Sex zu kaufen? Die Prostituierte im Artikel sagt ganz klar: „Natürlich beruht das alles auf der schönen Idee, dass Sex beiden Parteien Spaß machen sollte. Sex gegen Geld ist aber anders. Die Leute haben oft ein Problem mit der Vorstellung, dass sie sich gehen lassen können und ich mich vollkommen auf sie konzentriere.“ Und sie hat Recht. Sex im Puff ist kein Sex, der beiden Spass macht. So viel muss klar sein. Das ist etwas, dass wir außerhalb der Prostitution im Jahr 2019 nicht mehr akzeptieren. Wir sprechen mittlerweile endlich davon, dass zum konsensualen Sex ein enthusiastisches JA gehört. Und das ist auch richtig so. Sex, der nicht beiden Spass macht, sondern nur einer Partei, während die andere es erträgt, über sich ergehen lässt, abspaltet: nennt man das nicht sexuellen Missbrauch? Na doch. Warum sollte das anders sein, nur weil Geld dafür fließt? Wollen wir eine Sexualkultur, die beiden Parteien Spaß macht, die beiden Parteien gefällt, die beide Parteien wollen? Oder sind wir immer noch der Meinung, unter „bestimmten Umständen“ sei es okay, wenn sich der Mann auf Kosten der Frau auslebt? Und was sind die „bestimmten Umstände“? Ist das nur Prostitution? Oder kann ein „bestimmter Umstand“ auch sein: wenn die Frau betrunken ist, wenn sie mit dem Mann in einer Ehe lebt, wenn sie es „verdient“ hat, wenn sie sich nicht genug wehrt, wenn sie nur leise „Nein sagt? Spätestens jetzt wird klar: Prostitution ist Teil einer rape culture. Und die gehört ja wohl abgeschafft.

Immer wieder, auch im Artikel angesprochen, Sprüche wie: du bist doch viel zu klug, zu hübsch, zu schlau für den Puff, was machst du hier, du gehörst hier nicht hin. Das nervt unheimlich. Und es ist auch kein Kompliment, denn es zeigt, was Freier wirklich denken: dass es nämlich, im Umkehrschluss, Frauen gibt, die in den Puff gehören. Dass es eine Gruppe von Frauen und Mädchen gibt, die nichts anderes verdienen, als von Männern sexuell benutzt und ausgebeutet zu werden. Eine Gruppe von Frauen, deren Lebensbestimmung es sein soll, die Bedürfnisse von Männern zu befriedigen. Das sagt dann auch alles über das Frauenbild von Freiern, oder?

Jetzt könnte man sagen: dann such Dir doch Deine Freier aus und nimm solche nicht. Das Problem dabei: die überwiegende Mehrheit der Freier ist so. Und meist erfährt man eben erst im Bett, auf Zimmer, wie der Kunde drauf ist. Also während der sexuellen Aktivität. Nicht umsonst wird das von Männern auch oft „Nahkampf“ genannt – weil sie es als solchen empfinden. Das stellt ihr euch nicht so schön vor? Nun, das ist es auch nicht. Und oft hat man eben nicht die Wahl, den Freier rauszuhauen oder, wenn man ihn schon als übergriffig kennt, abzulehnen. Denn man muss ja Geld verdienen.

Was ich damit sagen will:

Prostitution ist im Kern eine Grenzüberschreitung. Denn die eine Person möchte den Sex, die andere nicht. Sie braucht die Kohle.

Aber zusätzlich zu dieser prostitutionsimmanenten Grenzüberschreitung kommen noch all die vielen kleinen Nadelstiche, die versuchten Übergriffe, die Grenzüberschreitungen dazu. Prostitution ist ein permanenter Kampf um körperliche, sexuelle, emotionale und psychische Grenzen. Der eine Part möchte diese gern bewahren. Der andere Part möchte sie gerne überschreiten. Und das soll also ein ganz normaler Job sein? Das ist höchstens erduldeter Missbrauch mit finanzieller Entschädigung. Wobei „Entschädigung“ es auch nicht trifft, denn den Schaden bezahlt keiner weg. Der bleibt.

Warum ist das so, dass Prostituierte sich gegen all die vielen zusätzlichen Grenzüberschreitungen wehren müssen, jedes Mal?

Es ist so, weil Freier Prostitution ganz richtig als Frauenkauf empfinden. Ja, offiziell bezeichnen sie es als „sexuelle Dienstleistung“ und belehren einen gerne darüber, dass das nichts anderes sei, als sich bei Friseur die Haare schneiden zu lassen. Das ganze „es ist ein Job wie jeder andere“-Gerede verdeckt nämlich hervorragend, was Freier wirklich denken und was Prostitution wirklich ist. Sie meinen, sie haben die ganze Frau gekauft, alles an ihr, und sie hätten die volle Verfügungsgewalt. Und sie haben nicht Unrecht: Prostitution ist aus der Sklaverei entstanden, sie hat ihren Ursprung nicht in irgendwelchen „Dienstleistungsgewerben“, und sie war auch nie empowernd für Frauen. Wäre sie empowernd, würden alle Menschen (eben allzuoft Männer), die wirklich Macht haben, dieses Verhalten, sich zu prostituieren, an den Tag legen. Noch nie einen BMW-Vorstandstypen dabei gesehen, wie er sich auf dem Strassenstrich anbietet? Tja, dann wird Prostitution wohl etwas anderes über das Machtverhältnis aussagen, als hier andauernd propagiert wird.

Prostitution ist eine tragende Säule des Patriarchats, und sie ist zugleich Ausdruck des Patriarchats. Prostitution führt zu patriarchalen Verhältnissen, und sie kommt aus patriarchalen Verhältnissen, und das kann man niemals weichspülen, da hilft nämlich nur eins: abschaffen!