Habt ihr schonmal einen Freier gefragt, wie er zu Zwangsprostitution steht?
Während meiner Zeit in der Prostitution war es immer so, dass Männer
mir ungefragt unterstellt haben, ich würde das freiwillig und aus Spass
machen („Hobby zum Beruf gemacht“). Oder aber sie waren sich sicher,
dass ich einen Zuhälter habe, und haben versucht, mich damit zu
erpressen (zum Beispiel, indem sie vorgegeben haben, sie hätten mit
meinem “Chef” telefoniert und ausgemacht, dass ich es ohne Gummi tue,
und wenn ich das jetzt nicht täte, gäben sie ihm Bescheid und ich würde
Ärger bekommen – blöd nur, dass ich in den letzten jahren keinen Chef
mehr hatte…). GEFRAGT danach haben sie nicht. Es ging ihnen nicht um
meine Situation. Es ging ihnen um SICH. Entweder darum, auf Teufel komm
raus ein gutes Gewissen haben zu können, so wie der Polizist, der mich
als Freier besuchte, mir erzählte, im Job ermittle er gegen
Menschenhandel und als ich ihn fragte, wie er das zusammenkriege,
meinte: “Ach, wieso, ich schade ja niemandem, ich schade dir ja nicht.
Du bist freiwillig hier.” (Das legte er einfach mal so fest.) Oder eben
sie versuchen, das meiste für sich rauszuholen, und das geht eben gut,
wenn sie eine Zwangsprostituierte vor sich haben. Die kann und darf sich
nämlich nicht wehren.
Während meiner Zeit in der Prostitution hat mich, selbst als nicht klar war, ob ich volljährig bin, NIE ein Freier gefragt, wie alt ich eigentlich WIRKLICH bin. Und auch nie, ob ich freiwillig hier bin. Bin ich damit ein Einzelfall?
In Hamburg stehen zwei Männer vor Gericht. Sie haben einem Mann ein 15-jähriges Mädchen “abgekauft”. Auch dieser hatte es zur Prostitution gezwungen, es ist nicht klar, wie lange schon. Dann haben sie das Mädchen an Freier vermittelt. Ihre Einnahmen hat sie abgeben müssen, um ihre “Schulden” ( = ihren Einkaufspreis) bei ihren neuen Zuhältern abarbeiten zu müssen. Schliesslich hat sich die Polizei verdeckt auf eine der Anzeigen gemeldet, in denen sie als frisch 18 geworden beworben wurde und liess die Sache hochgehen.
In Thüringen ist eine Frau aus der Prostitution zusammengeschlagen
worden. Der Täter war ihr Freier. Angeblich war er mit den “Leistungen”,
die sie geliefert hat, nicht einverstanden. Wir vom Netzwerk Ella sind alle Frauen aus der Prostitution. Und wir kennen alle diese Angst vor Übergriffen durch Freier.
Davon mal abgesehen, dass Prostitution an sich schon ein sexueller
Übergriff ist – denn es werden sexuellen Handlungen an und mit einer
Person durchgeführt, die den Sex nicht will, sondern das Geld braucht -,
neigen Freier generell dazu, Grenzen zu übertreten.
Da hat man schnell mal den Finger im Po, obwohl man gesagt hat, dass anal ein Tabu ist. Da hat man schnell mal die Zunge im Hals, obwohl man gesagt hat, dass man nicht küsst. Da liegt schnell mal die Hand auf dem Hals, obwohl man gesagt hat, dass man keine Würgespiele macht.
Ich als Exprostituierte, die sich für die Einführung der Freierbestrafung in Deutschland einsetzt und die offen darüber spricht, wie Prostitution so ist, bekomme andauernd Zuschriften von Freiern, die mich davon überzeugen wollen, dass es „nicht so ist“, wie ich es erlebt habe. Eigentlich veröffentliche ich die nicht, aber heute habe ich mich doch mal dazu entschlossen, damit ihr mal einen Einblick bekommt in die Art, wie Freier denken. Geschrieben hat mir einer aus der Kategorie, die wir im Bordell „Liebeskasper“ genannt haben. Er ist einer von den “netten Freiern”. Aber ist er deswegen harmlos?
Als Exprostituierte bin ich oft müde davon, zum hundertsten Mal
ausdiskutieren zu müssen, ob Prostitution freiwillig ist. Denn die Frage
nach dem Existenzrecht von Prostitution hängt nicht davon ab, ob es
irgendwo eine gibt, die es “freiwillig” macht.
Wir brauchen mehr
politische Analyse und weniger Fokusverschiebung auf die, die durch die
Prostitution in der handlungsbeschränkteren Lage sind (das sind wir
prostituierten Frauen). Prostitution wird nicht dadurch okay, dass
irgendwo irgendeine sagt, dass sie es “freiwillig” tut, genauso wenig,
wie partnerschaftliche Gewalt dadurch okay wird, dass eine Frau
“freiwillig” bei ihrem schlagenden Mann bleibt.
Diese
Konzentration auf das “ja” der Frau erinnert an Victimblaming. Wir
brauchen mehr politische Analyse, wir brauchen einen Blick darauf, in
welchen UMSTÄNDEN das “JA” gegeben wurde, und dann sehen wir: Ein “Ja”,
das gegeben wird, weil ein “Nein” hiesse, negative Konsequenzen zu
tragen (nichts zu essen, kein Geld für die Miete, Schläge) kann kein
Konsens sein. Abgesehen von der politischen Analyse fehlt mir auch
oft der Blick auf die Freier. Warum wird andauernd das Verhalten derer,
die sich prostituieren, kritisiert und zum 100. Mal durchgekaut? Wir
sind doch schon lange an dem Punkt, an dem wir wissen, was Frauen dazu
bringt, sich zu prostituieren. Drehen wir doch den Spieß mal um und
betrachten die Freier. Während man einer Frau sehr wohl zugestehen
muss, dass sie mit ihrem Körper machen kann, was sie will (oder muss, um
zu überleben), kann man einem Menschen wohl kaum genehmigen, mit dem
Körper eines anderen zu tun, was er will – das sind nämlich zwei
verschiedene Paar Schuhe.
In Deutschland ist es ja so, dass Prostitution legal ist, aber nicht
entkriminalisiert. Verkürzt bedeutet das, es ist erlaubt, sich zu
prostituieren, aber es gibt so viele Regeln, die dabei einzuhalten sind,
dass es fast unmöglich ist, keine davon zu brechen. Was ganz klar
sein muss, ist, dass die Forderung nach der Entkriminalisierung
prostituierter Frauen eine Kernforderung des Abolitionismus ist.
Strafen, Bussgelder, Regeln, die wir nicht einhalten können, helfen uns
kein Stück und sorgen nur dafür, dass sich der Staat an dem Geld, das
wir mühsam ervögeln, noch bereichert. Klar ist: Wenn es Sperrbezirke
gibt, dann sollen die gegen die Verstöße zahlen, die Prostitution
nachfragen. Und das geht, die Gesetze kann man so auslegen, dass die
Freier zur Kasse gebeten werden, und nicht wir. Aber braucht es Sperrbezirke überhaupt?
Shoutout an alle Frauen, die in der Prostitution waren und die mir
wegen meines “Wiedereinstiegsgedankenkreisel”-Textes geschrieben haben,
dass sie diese Gedanken, in die Prostitution zurückzugehen, kennen und
sich schämen – und auch an alle, die sich zu schreiben nicht getraut
haben, die die Gedanken aber auch kennen.
Ihr seid nicht allein. Ich bin seit 4 Jahren Aktivistin, und ich habe
nicht nur vom Gefühl her begriffen, dass Prostitution schadet, sondern
kann die politische Analyse auswendig und ihr könnt mich nachts wecken,
um 2, und ich diskutiere das knallhart mit euch aus. TROTZDEM habe
ich diese Gedanken mich wieder zu prostituieren immer noch, und ich
möchte, dass ihr wisst, dass ihr nicht allein damit seid. Es gibt
so viele Gründe, zurückzugehen. Geldnot. Traumareinszenierung. Euch hat
was getriggert. All die kleinen constant reminders im Alltag, bei denen
Männer euch zeigen, dass ihr nur sexualisierte Objekte seid und die euch
denken machen, dass ihr dann wenigstens Kohle dafür nehmen könnt. Der
Gedanke, unwert zu sein, und die Erinnerung daran, dass ihr, wenn schon
keinen Respekt, aber wenigstens doch mal Geld wert ward. All die
Sehnsucht nach der Betäubung, nach dem alten Schmerz, in dem man sich zu
Hause fühlt, weil man nie was anderes als diesen SChmerz als Zuhause
empfinden durfte. Ich kenne es. So viele von uns kennen es. Eigentlich
kenne ich keine Frau aus der Prostitution, die diese Gedanken nicht hat.
IHR SEID NICHT ALLEIN! Und bitte schämt euch nicht dafür. Diese
Gedanken, das seid nicht IHR. Das sind Gedanken, die auf eurer
Kopffestplatte installiert worden sind, aber nicht von EUCH. Es ist das
Trauma, das da spricht, all die schlimmen DInge, die euch angetan worden
sind in all ihrer Scheissigkeit. Es ist wie ein Radio, das dauernd im
Hintergrund dudelt, aber ihr habt es nicht angemacht und ihr habt den
Sender auch nicht eingestellt, also verdammich, bitte schämt euch nicht
dafür, was da für ein Programm läuft. Ihr könnt nichts dafür, und es ist
scheisse genug, dass dieses Kackradio in eurem Zimmer steht und vor
sich hin plärrt. Ihr habt euch doch nicht selbst drauf konditioniert, euch weh zu tun. All diese beschissene Sozialisierung, all der Missbrauch, die sexuelle Gewalt, die bescheuerte Ungleichheit.
Sich prostituieren, mit Männern mitgehen, die gewalttätig oder
respektlos sind, demütigende Sexpraktiken mitmachen, sich mit Drogen
oder Alkohol abschiessen, sich die Arme aufschneiden, hungern, kotzen,
whatever. RESIST! Diesen Film habt doch nicht IHR eingelegt! Also schämt euch nicht dafür.
Ich kann ja nur sagen, was mir hilft. Mir hilft, vorher die
Entscheidung zu treffen, es nicht zu tun. Wenn ich in schwachen Momenten
anfange, mit mir selber die Pors und Cons zu diskutieren, weiss ich,
dass ich verloren habe. Es ist dasselbe wie mit dem rauchen aufzuhören.
Ich entscheide vorher: ich gebe nicht nach! Und in dem schwachen Moment
weiss ich: gerade habe ich SEhnsucht nach etwas Schädlichem, aber ich
halte die Sehnsucht aus, sie geht vorbei, und ICH GEBE NICHT NACH.
Ihr seid so tolle Frauen, ich bin so berührt davon, dass ihr mir
schreibt. Bitte schämt euch nicht. Diese Gedanken zu haben heisst nicht,
dass wir dumm sind oder labil oder es heimlich gut oder geil fanden,
was da passiert ist. Jede Drogenabhängige, jede Alkoholikerin, jede geprügelte Ehefrau hat den Gedanken, zurückzugehen. Das ist sowas von normal, und wenn wir uns schämen, SCHÄMEN SICH DIE FALSCHEN!
Ich bin gerade noch so berührt von euren Nachrichten und im
Kitschmodus, also hier, LIEBE, für alle, und Kraft und nur das Beste,
und ein kleiner Reminder für die, auch in unserer Bewegung, die uns
wegen unserer Ehrlichkeit sagen, wir seien labil und würden der Bewegung
schaden, wenn wir über diese Gedanken sprechen, und wir sollten nicht
mehr öffentlich reden deswegen: GO FUCK YOURSELF, CAUSE WE DON´T CARE!
Gestern, am 14. Februar, habe ich als Prostitutionsaussteigerin bei
One Billion Rising München sprechen dürfen. Das hat mich sehr gefreut,
denn wenn es gegen Gewalt gegen Frauen geht, wird die Prostitution oft
nicht erwähnt. Im Gegenteil, in Deutschland wird sie oft noch immer als
“körperliche Liebe” oder “sexuelle Dienstleistung” bezeichnet. Dabei ist
Prostitution das Gegenteil sexueller Selbstbestimmung: der eine Part
will Sex, der andere nicht – Geld soll das regeln. Die Zustimmung
der prostituierten Frau erfolgt zum Geld, nicht zum Sex. Der Sex bleibt
ungewollt. Und ungewollter Sex ist Missbrauch, Vergewaltigung. KONSENS KANN NICHT ERKAUFT WERDEN.
Prostitution ENTSTEHT aus Gewalt, denkt doch an all die Frauen, die in
der Prostitution sind, und die als Kind missbraucht worden oder später
vergewaltigt oder zur Prostitution gezwungen worden sind. Prostitution IST Gewalt, denn ein NEIN kann nicht wegbezahlt werden. Prostitution FÜHRT ZU Gewalt, über 80 Morde an prostiuierten Frauen seit 2002 allein in Deutschland.
Dieser Text ist zuerst bei den Störenfriedas (hier) und in der Huffington Post (hier) erschienen.
Seit Tagen treibt mich die Frage um, wie ich ausdrücken kann, was für mich Solidarität mit Prostituierten ist. Der Grund dafür ist das Prostituiertenschutzgesetz, welches diesen Sommer kommt, und die darin enthaltene Anmeldepflicht.
Ich sage das gleich am Anfang: sollte ich jemals wieder anschaffen müssen, weil ich in einer Notlage bin, die jetzt noch nicht abzusehen ist, werde ich mich nicht anmelden. Eher hack ich mir die rechte Hand ab als das das zu tun.
Ich habe mich für die Forderung nach einer Anmeldepflicht (ebenso wie für die Beratungs- und Kondompflicht) ausgesprochen, weil die Einführung des Nordischen Modells mit seiner Freierbestrafung in Deutschland leider noch nicht ernsthaft zur Debatte stand und steht, wiewohl ich mir das auch wünschen würde, und weil die Anmeldepflicht für die ausländischen Prostituierten, die aus den Armenhäusern Europas kommen und hier anschaffen (müssen), und die mittlerweile 70 – 90% aller Prostituierten ausmachen, eine Verbesserung ihres Status´ im Vergleich zu ihrem Status jetzt bedeutet. Die Anmeldepflicht ermöglicht nicht nur, nachvollziehen zu können, wo die Frauen gerade sind – das ist ein Schutz für die, die von Stadt zu Stadt herumgereicht werden ohne zu wissen, wo sie sind, und für die, die „verschwinden“, wenn sie verbraucht, zu kaputt sind oder Widerstand leisten. Sie ermöglicht auch, dass ausländische Prostituierte, die hier „gearbeitet“ (denn so sieht es der deutsche Staat, der fleißig profitiert von dem kommerziellen sexuellen Missbrauch der Frauen) und Steuern gezahlt haben, endlich auch statt Steuerpflichten einige Rechte zugestanden bekommen, zum Beispiel das Recht auf Sozialleistungen, was ihnen den Ausstieg ermöglichen kann. Das ist wichtig. Dass wir Abolitionistinnen das durchgesetzt haben, war richtig und wichtig, und doch gibt es ein ABER. Das ABER ist riesengroß.
Dieser Text ist zuerst bei den Störenfriedas (hier) erschienen.
Die Debatte um Sexualassistenz hat mich richtig derbe aufgewühlt. Ich hab mehrere Nächte gebraucht um auseinanderzuklamüsern, was genau mich so fertig macht daran. Was mich daran hindert, einfach einen neuen bösen Text zu schreiben.
Ich bin nicht nur Exprostituierte, ich habe nicht nur Erfahrungen in der Prostitution. Ich hab auch mal für ein paar Wochen im Behindertenheim gearbeitet. Und während der Debatte sind mir so viele Bilder von damals wieder aufgetaucht. Wir hatten einen 50igjährigen auf der Station, der hatte seit einem Hirnschlag keinerlei Kontrolle mehr über sein Sprachvermögen (unter anderem). Und das bei vollem Bewusstsein. Greifen ging nicht mehr, essen ging nicht mehr, sprechen ging nicht mehr. Zu dieser Zeit hatte ich einen Flirt mit einem Pfleger auf der Station. Niemand hat das mitbekommen, nur der Patient hat immer gegrinst, wenn er uns beide sah, hat zwischen uns hin- und hergeschaut und die Augenbrauen neckisch hochgezogen. Wir haben uns angelacht und fortan wussten also 3 Menschen von diesem Geheimnis. Aber ich habe mich auch unglaublich geschämt, dass ich einfach so rumlaufen und mich verlieben und das auch ausleben darf, während andere das nicht mehr können. Dann war da noch eine Patientin mit Trisomie 21, die mich dauernd umarmt hat. Ich kannte das nicht von Zuhause, liebevoll angefasst zu werden, und hab gleich erstmal losgeheult. Und jeden Tag hat sie mich auf ihre Hochzeit eingeladen. Sie hat sogar schon Bilder gemalt, von sich und ihrem Kleid und den Luftballons und den Gästen. Wenn man auf die leere Stelle neben der Braut getippt und gefragt hat: „Wo ist denn dein Bräutigam? Wen willst du denn heiraten?“ meinte sie immer leichthin: „Och, das weiß ich noch nicht. Aber bis morgen ist doch auch noch Zeit!“
Heute Morgen hab ich dann endlich klargekriegt, was mich an der Debatte so fertig macht.
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