Interview mit Feministiskt Perspektiv

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Soledad Cartagena von der schwedischen Internetzeitung Feministiskt Perspektiv hat mich interviewt.

Warum hast du den Brief “Ich habe die Schnauze voll von Euch” geschrieben?

Ich habe den Brief geschrieben, als ich ein Interview mit ihr las, in dem sie [Stefanie Klee] schrieb das einzige traumatisierende an der Prostitution sei die Stigmatisierung, beginnend ab dem Moment an dem sie das Bordell verlasse. Es war so unglaublich zynisch und menschenverachtend, wie sie die Tatsachen verdreht und Prostitution als etwas dargestellt hat, das nicht schädigend ist. In Deutschland ist es schwer, als ehemalige Prostituierte zu sprechen. Das gesellschaftliche Klima ist unglaublich feindlich. Männer glauben immer noch, sie hätten ein Recht auf Sex. Dass Sex sich nicht von dem Körper, von dem Menschen trennen lässt, wird ausgeblendet. In Deutschland zu sagen, wie es wirklich ist, sich zu prostituieren, ist schwer. Man wird angegriffen, beleidigt, verhöhnt und erlebt schwere Verletzungen durch die abwertenden Kommentare. Ich wurde sogar schon von Menschen darüber belehrt, was meine Erfahrungen in der „Sexarbeit“ zu sein haben, und wenn sie nicht positiv sind, läge es an mir. Ich wurde auch schon gefragt: „Wenn du keinen Sex magst, warum bist du dann Sexarbeiterin geworden? Schön doof!“ oder es wurde behauptet, ich hätte mir das alles ausgedacht. Weil das gesellschaftliche Klima in Deutschland so pro Prostitution ist, habe ich lange geschwiegen. Aber als ich das Interview mit Stephanie Klee gelesen habe (die von der Pro-Prostitutionslobby kommt, eine eigene Agentur besitzt und sich jetzt auf „Sexualassistenz Behinderter spezialisiert hat) ist irgendetwas in mir geplatzt. Ich war einfach zu wütend! All diese Behauptungen sorgen dafür, dass sich die Realität hunderttausender prostituierter Frauen in Deutschland nicht ändert und dass sie weiter in diesem Sumpf stecken, in dem sie missbraucht werden und ihnen keiner glaubt, was sie erleben!

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Deutsche Zustände. Eine Momentaufnahme

    Dieser Text ist zuerst bei den Störenfriedas (hier) und auf Emma online (hier) erschienen.

     

    Es ist ein Samstag im September. Ich bin extra früh aufgestanden, weil ich zum Sport wollte. Aber das kann ich jetzt knicken, denn vor dem Sport sollte man ein bisschen was essen, und ich krieg jetzt nichts mehr runter. Ein Hoch auf die fatale Angewohnheit, noch vor dem Frühstück in die sozialen Medien zu gucken. Hätte ich mir sparen sollen.

    Es ist ein Samstag im September, und ich lese, dass ein Bordellbetreiber, ein verurteilter Menschenhändlermit Kontakten in die organisierte Kriminalität, Prinz Marcus von Sachsen-Anhalt, im Fernsehen aus dem Nähkästchen plaudern darf. Darüber, wie reich ihn die Ausbeutung von Frauen gemacht hat. Darüber, wie das so läuft, wenn er Frauen an andere Zuhälter verkauft. Darüber, wie er die Frauen hat 16 Stunden am Tag schaffen lassen und darüber, wie viel Kohle ihm das gebracht hat. Darüber, dass er sich für einen „guten Luden“ hält. Und darüber, wie lustig das ist, dass die Polizei das alles für Sklaverei hält.

    Denn in Deutschland, dem Land mit dem liberalsten Prostitutionsgesetz der Welt, haben im Jahr 15 seit Verabschiedung eben jenen Gesetzes Menschenhändler, Zuhälter und Bordellbetreiber nichts weiter zu fürchten. Sie sitzen gelackt und geschniegelt in Talkshows und können sich offen über ihren Job verbreiten, sie sind angesehene Geschäftsmänner und wenn sie Ärger mit der Justiz bekommen, dann höchstens wegen Steuerhinterziehung. Willkommen in einem Land, für dessen Bevölkerung Zuhälter und Menschenhändler nicht verachtens- und ächtenswert, sondern Unterhaltung sind. In der sie als schillernde Vögel durch ihre Bordelle führen dürfen. In der sie Promis sind, deren Knasterfahrung und Nähe zu den Hells Angels höchstens noch als spannend angesehen werden.

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    Der Freier. Warum Männer zu Prostituierten gehen, und was sie über diese denken.

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    Dieser Text ist zuerst bei der Kritischen Perspektive (hier) erschienen.

     

    Neben meinem Schreibtisch steht so eine Kiste, in der sammel ich böse Erinnerungen. Jedes Mal, wenn ich einen Flashback oder „intrusive Gedanken“ habe, schreibe ich die ganz schnell auf einen Zettel, werfe diesen in die Kiste und mach die Klappe zu. Die Kiste ist ziemlich voll. Heute habe ich in dieser Kiste einiges aufgewühlt, weil ich einen Text über Freier schreiben wollte. Und ja, ich sage „Freier“ – das kommt von „jemanden freien“, wie „auf Freiersfüßen wandeln“ – und ist damit ein Euphemismus für sexuellen Missbrauch, den die Freier in der Prostitution ja betreiben, und eines von vielen Beispielen dafür, dass wir in einer Gesellschaft leben, die sexuelle Gewalt gegen Frauen akzeptiert, normalisiert und kleinredet. Den Begriff „Freier“ verwende ich trotzdem, aus Mangel an Alternativen, und weil Prostituierte ihre „Kunden“ eben so nennen, und ja, man darf in diesen Begriff durchaus einen abfälligen Touch reinhören. Ich sage bewusst nicht „Sexkäufer“, denn in der Prostitution findet kein Sex statt, der von „Sexarbeiterin“ zu „Sexkäufer“ transferiert und über die Ladentheke gereicht würde. Merkwürdigerweise wird über die Menschen, die diese Gewalt ausüben wenig gesprochen, es geht beim Thema Prostitution meist um die Frauen, die das doch „machen dürfen sollen“. Ich höre dann immer von all den „selbstbewussten, netten, sympathischen Huren“, die wieder irgendjemand kennt, was aber gar nichts aussagt, denn ich kenne auch einige „selbstbewusste, nette, sympathische“ HartzIV´lerInnen, was mich trotzdem nicht davon abhält, das System Hartz IV abzulehnen. Prostitution abzulehnen bedeutet nicht, Prostituierte abzulehnen, sondern das System Prostitution verstanden zu haben – ein System, dass die Freier erst begründen – durch ihre Nachfrage.

    Neulich wurde ich gefragt, woran man einen Freier erkennt, und da musste ich zugeben: wenn er nicht gerade im Puff vor Dir steht und mit einem Hunni wedelt, gar nicht. Nein, auch ich erkenne Freier in der freien Wildbahn nicht, auch nach 10 Jahren Prostitution nicht. Das liegt daran, dass es, wie man so häufig hört, wirklich „ganz normale Männer“ sind, was jetzt und hier aber nicht als Beruhigung gemeint ist. Fragt man Männer ob sie schon mal im Puff waren, lügen sie einen meist an („Würde ich nie tun“) oder erzählen einem das Märchen von „Ich war nur ein einziges Mal und es war so voll schlimm, dass ich es nie wieder getan habe“ (wenn ihr sowas hört: RENNT!). Freier sind völlig unterschiedliche Typen. Es ist einfach alles vertreten, alle Berufe, alle Altersklassen, alle Charaktere – nur eines haben sie alle gemeinsam – dazu später mehr.

    Freier

    Aber wie sind Freier denn so? Vorab: die Geschichten von all den behinderten Männern, die Prostitution brauchen um ihre sexuellen Bedürfnisse zu erfüllen, sind nicht wahr. In 10 Jahren Prostitution hab ich keinen einzigen behinderten Freier gehabt, davon mal abgesehen ist es diskriminierend, Behinderten zu unterstellen, es wöllte eh niemand freiwillig mit ihnen Sex haben. Für den weiblichen Teil der Menschen mit Einschränkungen trifft das eh nicht zu, denn die werden sogar überdurchschnitlich häufig missbraucht.

    Ebenfalls nicht wahr ist, dass „viele nur zum reden kommen“. Das war in all der Zeit bei mir genau 1 Freier (in Worten: einer). Diese Begründung dient augenscheinlich dazu, Männer als Opfer darzustellen (sie müssen ja immer stark und dominant sein, die Armen) und gleichzeitig schönzureden, was sie im Bordell wirklich tun. „Der Freier. Warum Männer zu Prostituierten gehen, und was sie über diese denken.“ weiterlesen

    Die linke Freude an der Prostitution

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    Dieser Text ist zuerst bei der Kritischen Perspektive (hier) erschienen.

    Offener Brief an die Linksjugend/Solid bezüglich ihres Positionspapiers “Solidarität mit Sexarbeiter*innen – Nein zum neuen Prostituiertenschutzgesetz – Nein zu Bevormundung und Fremdbestimmung im sexuellen Dienstleistungsgewerbe”.

    Liebe Menschen von der Linksjugend-solid,

    ich möchte ganz gezielt diejenigen unter euch ansprechen, die am 8. / 9. April 2016 auf dem Bundeskongress für den Antrag „Solidarität mit Sex­arbeiter*innen – Nein zum neuen Prostituierten­schutz­gesetz – Nein zu Bevormundung und Fremdbestimmung im sexuellen Dienst­leistungs­gewerbe“ gestimmt haben. Das waren ja wohl nicht alle von euch, es besteht also Hoffnung.

    Ich bin eine ehemalige, wie ihr es nennt, „Sexarbeiterin“, und ich habe euren Antrag gelesen und möchte euch gerne mal mitteilen, was ich von eurer angebotenen „Solidarität“ halte.

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