Warum Sexualassistenz auch nur Prostitution ist

    Dieser Text ist zuerst bei den Störenfriedas (hier) erschienen.

     

    Die Debatte um Sexualassistenz hat mich richtig derbe aufgewühlt. Ich hab mehrere Nächte gebraucht um auseinanderzuklamüsern, was genau mich so fertig macht daran. Was mich daran hindert, einfach einen neuen bösen Text zu schreiben.

    Ich bin nicht nur Exprostituierte, ich habe nicht nur Erfahrungen in der Prostitution. Ich hab auch mal für ein paar Wochen im Behindertenheim gearbeitet. Und während der Debatte sind mir so viele Bilder von damals wieder aufgetaucht. Wir hatten einen 50igjährigen auf der Station, der hatte seit einem Hirnschlag keinerlei Kontrolle mehr über sein Sprachvermögen (unter anderem). Und das bei vollem Bewusstsein. Greifen ging nicht mehr, essen ging nicht mehr, sprechen ging nicht mehr. Zu dieser Zeit hatte ich einen Flirt mit einem Pfleger auf der Station. Niemand hat das mitbekommen, nur der Patient hat immer gegrinst, wenn er uns beide sah, hat zwischen uns hin- und hergeschaut und die Augenbrauen neckisch hochgezogen. Wir haben uns angelacht und fortan wussten also 3 Menschen von diesem Geheimnis. Aber ich habe mich auch unglaublich geschämt, dass ich einfach so rumlaufen und mich verlieben und das auch ausleben darf, während andere das nicht mehr können. Dann war da noch eine Patientin mit Trisomie 21, die mich dauernd umarmt hat. Ich kannte das nicht von Zuhause, liebevoll angefasst zu werden, und hab gleich erstmal losgeheult. Und jeden Tag hat sie mich auf ihre Hochzeit eingeladen. Sie hat sogar schon Bilder gemalt, von sich und ihrem Kleid und den Luftballons und den Gästen. Wenn man auf die leere Stelle neben der Braut getippt und gefragt hat: „Wo ist denn dein Bräutigam? Wen willst du denn heiraten?“ meinte sie immer leichthin: „Och, das weiß ich noch nicht. Aber bis morgen ist doch auch noch Zeit!“

    Heute Morgen hab ich dann endlich klargekriegt, was mich an der Debatte so fertig macht.

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    Interview mit Feministiskt Perspektiv

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    Soledad Cartagena von der schwedischen Internetzeitung Feministiskt Perspektiv hat mich interviewt.

    Warum hast du den Brief “Ich habe die Schnauze voll von Euch” geschrieben?

    Ich habe den Brief geschrieben, als ich ein Interview mit ihr las, in dem sie [Stefanie Klee] schrieb das einzige traumatisierende an der Prostitution sei die Stigmatisierung, beginnend ab dem Moment an dem sie das Bordell verlasse. Es war so unglaublich zynisch und menschenverachtend, wie sie die Tatsachen verdreht und Prostitution als etwas dargestellt hat, das nicht schädigend ist. In Deutschland ist es schwer, als ehemalige Prostituierte zu sprechen. Das gesellschaftliche Klima ist unglaublich feindlich. Männer glauben immer noch, sie hätten ein Recht auf Sex. Dass Sex sich nicht von dem Körper, von dem Menschen trennen lässt, wird ausgeblendet. In Deutschland zu sagen, wie es wirklich ist, sich zu prostituieren, ist schwer. Man wird angegriffen, beleidigt, verhöhnt und erlebt schwere Verletzungen durch die abwertenden Kommentare. Ich wurde sogar schon von Menschen darüber belehrt, was meine Erfahrungen in der „Sexarbeit“ zu sein haben, und wenn sie nicht positiv sind, läge es an mir. Ich wurde auch schon gefragt: „Wenn du keinen Sex magst, warum bist du dann Sexarbeiterin geworden? Schön doof!“ oder es wurde behauptet, ich hätte mir das alles ausgedacht. Weil das gesellschaftliche Klima in Deutschland so pro Prostitution ist, habe ich lange geschwiegen. Aber als ich das Interview mit Stephanie Klee gelesen habe (die von der Pro-Prostitutionslobby kommt, eine eigene Agentur besitzt und sich jetzt auf „Sexualassistenz Behinderter spezialisiert hat) ist irgendetwas in mir geplatzt. Ich war einfach zu wütend! All diese Behauptungen sorgen dafür, dass sich die Realität hunderttausender prostituierter Frauen in Deutschland nicht ändert und dass sie weiter in diesem Sumpf stecken, in dem sie missbraucht werden und ihnen keiner glaubt, was sie erleben!

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    Deutsche Zustände. Eine Momentaufnahme

      Dieser Text ist zuerst bei den Störenfriedas (hier) und auf Emma online (hier) erschienen.

       

      Es ist ein Samstag im September. Ich bin extra früh aufgestanden, weil ich zum Sport wollte. Aber das kann ich jetzt knicken, denn vor dem Sport sollte man ein bisschen was essen, und ich krieg jetzt nichts mehr runter. Ein Hoch auf die fatale Angewohnheit, noch vor dem Frühstück in die sozialen Medien zu gucken. Hätte ich mir sparen sollen.

      Es ist ein Samstag im September, und ich lese, dass ein Bordellbetreiber, ein verurteilter Menschenhändlermit Kontakten in die organisierte Kriminalität, Prinz Marcus von Sachsen-Anhalt, im Fernsehen aus dem Nähkästchen plaudern darf. Darüber, wie reich ihn die Ausbeutung von Frauen gemacht hat. Darüber, wie das so läuft, wenn er Frauen an andere Zuhälter verkauft. Darüber, wie er die Frauen hat 16 Stunden am Tag schaffen lassen und darüber, wie viel Kohle ihm das gebracht hat. Darüber, dass er sich für einen „guten Luden“ hält. Und darüber, wie lustig das ist, dass die Polizei das alles für Sklaverei hält.

      Denn in Deutschland, dem Land mit dem liberalsten Prostitutionsgesetz der Welt, haben im Jahr 15 seit Verabschiedung eben jenen Gesetzes Menschenhändler, Zuhälter und Bordellbetreiber nichts weiter zu fürchten. Sie sitzen gelackt und geschniegelt in Talkshows und können sich offen über ihren Job verbreiten, sie sind angesehene Geschäftsmänner und wenn sie Ärger mit der Justiz bekommen, dann höchstens wegen Steuerhinterziehung. Willkommen in einem Land, für dessen Bevölkerung Zuhälter und Menschenhändler nicht verachtens- und ächtenswert, sondern Unterhaltung sind. In der sie als schillernde Vögel durch ihre Bordelle führen dürfen. In der sie Promis sind, deren Knasterfahrung und Nähe zu den Hells Angels höchstens noch als spannend angesehen werden.

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      Der Freier. Warum Männer zu Prostituierten gehen, und was sie über diese denken.

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      Dieser Text ist zuerst bei der Kritischen Perspektive (hier) erschienen.

       

      Neben meinem Schreibtisch steht so eine Kiste, in der sammel ich böse Erinnerungen. Jedes Mal, wenn ich einen Flashback oder „intrusive Gedanken“ habe, schreibe ich die ganz schnell auf einen Zettel, werfe diesen in die Kiste und mach die Klappe zu. Die Kiste ist ziemlich voll. Heute habe ich in dieser Kiste einiges aufgewühlt, weil ich einen Text über Freier schreiben wollte. Und ja, ich sage „Freier“ – das kommt von „jemanden freien“, wie „auf Freiersfüßen wandeln“ – und ist damit ein Euphemismus für sexuellen Missbrauch, den die Freier in der Prostitution ja betreiben, und eines von vielen Beispielen dafür, dass wir in einer Gesellschaft leben, die sexuelle Gewalt gegen Frauen akzeptiert, normalisiert und kleinredet. Den Begriff „Freier“ verwende ich trotzdem, aus Mangel an Alternativen, und weil Prostituierte ihre „Kunden“ eben so nennen, und ja, man darf in diesen Begriff durchaus einen abfälligen Touch reinhören. Ich sage bewusst nicht „Sexkäufer“, denn in der Prostitution findet kein Sex statt, der von „Sexarbeiterin“ zu „Sexkäufer“ transferiert und über die Ladentheke gereicht würde. Merkwürdigerweise wird über die Menschen, die diese Gewalt ausüben wenig gesprochen, es geht beim Thema Prostitution meist um die Frauen, die das doch „machen dürfen sollen“. Ich höre dann immer von all den „selbstbewussten, netten, sympathischen Huren“, die wieder irgendjemand kennt, was aber gar nichts aussagt, denn ich kenne auch einige „selbstbewusste, nette, sympathische“ HartzIV´lerInnen, was mich trotzdem nicht davon abhält, das System Hartz IV abzulehnen. Prostitution abzulehnen bedeutet nicht, Prostituierte abzulehnen, sondern das System Prostitution verstanden zu haben – ein System, dass die Freier erst begründen – durch ihre Nachfrage.

      Neulich wurde ich gefragt, woran man einen Freier erkennt, und da musste ich zugeben: wenn er nicht gerade im Puff vor Dir steht und mit einem Hunni wedelt, gar nicht. Nein, auch ich erkenne Freier in der freien Wildbahn nicht, auch nach 10 Jahren Prostitution nicht. Das liegt daran, dass es, wie man so häufig hört, wirklich „ganz normale Männer“ sind, was jetzt und hier aber nicht als Beruhigung gemeint ist. Fragt man Männer ob sie schon mal im Puff waren, lügen sie einen meist an („Würde ich nie tun“) oder erzählen einem das Märchen von „Ich war nur ein einziges Mal und es war so voll schlimm, dass ich es nie wieder getan habe“ (wenn ihr sowas hört: RENNT!). Freier sind völlig unterschiedliche Typen. Es ist einfach alles vertreten, alle Berufe, alle Altersklassen, alle Charaktere – nur eines haben sie alle gemeinsam – dazu später mehr.

      Freier

      Aber wie sind Freier denn so? Vorab: die Geschichten von all den behinderten Männern, die Prostitution brauchen um ihre sexuellen Bedürfnisse zu erfüllen, sind nicht wahr. In 10 Jahren Prostitution hab ich keinen einzigen behinderten Freier gehabt, davon mal abgesehen ist es diskriminierend, Behinderten zu unterstellen, es wöllte eh niemand freiwillig mit ihnen Sex haben. Für den weiblichen Teil der Menschen mit Einschränkungen trifft das eh nicht zu, denn die werden sogar überdurchschnitlich häufig missbraucht.

      Ebenfalls nicht wahr ist, dass „viele nur zum reden kommen“. Das war in all der Zeit bei mir genau 1 Freier (in Worten: einer). Diese Begründung dient augenscheinlich dazu, Männer als Opfer darzustellen (sie müssen ja immer stark und dominant sein, die Armen) und gleichzeitig schönzureden, was sie im Bordell wirklich tun. „Der Freier. Warum Männer zu Prostituierten gehen, und was sie über diese denken.“ weiterlesen

      Die linke Freude an der Prostitution

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      Dieser Text ist zuerst bei der Kritischen Perspektive (hier) erschienen.

      Offener Brief an die Linksjugend/Solid bezüglich ihres Positionspapiers “Solidarität mit Sexarbeiter*innen – Nein zum neuen Prostituiertenschutzgesetz – Nein zu Bevormundung und Fremdbestimmung im sexuellen Dienstleistungsgewerbe”.

      Liebe Menschen von der Linksjugend-solid,

      ich möchte ganz gezielt diejenigen unter euch ansprechen, die am 8. / 9. April 2016 auf dem Bundeskongress für den Antrag „Solidarität mit Sex­arbeiter*innen – Nein zum neuen Prostituierten­schutz­gesetz – Nein zu Bevormundung und Fremdbestimmung im sexuellen Dienst­leistungs­gewerbe“ gestimmt haben. Das waren ja wohl nicht alle von euch, es besteht also Hoffnung.

      Ich bin eine ehemalige, wie ihr es nennt, „Sexarbeiterin“, und ich habe euren Antrag gelesen und möchte euch gerne mal mitteilen, was ich von eurer angebotenen „Solidarität“ halte.

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      „Die Gewalt findet mitten unter uns statt. Schaut hin!“

        Nachfolgend meine Rede, die bei Frauenkampftagsdemos in Berlin, München und Frankfurt verlesen wurde und die zuerst bei der Feministischen Partei (hier) erschienen ist.

        Die hier versammelten Frauenverbände zeigen, dass Frauen verschiedener politischer Herkunft in fast allen politischen und sozialen Bereichen einen Meinungskonsens erreichen können. Nur leider auf dem Gebiet der Prostitution nicht. Warum ist das so? Ich war 10 Jahre lang in der Prostitution tätig und kann nicht mehr zählen, wieviele Männer meine Körperöffnungen benutzt haben. Und ich kann das Märchen von der sauberen Prostitution, in der frau ihre freie Sexualität auslebt, nicht mehr hören. Die, die in den Talkshows sitzen und das erzählen, sind meist gar keine Prostituierten, sondern Bordellbesitzerinnen – Zuhälterinnen! Und gerade und ausgerechnet die Linke folgt einer kapitalistischen Argumentation, wenn sie das Selbst zum Körper, den Körper zu Sex und den Sex zur Dienstleistung erklärt und meint, Prostitution sei legitim und eben nur eine Zuspitzung dessen, was alle Lohnarbeiterinnen im Kapitalismus erleben, nämlich den Verkauf der Arbeitskraft.

        Ich möchte meine Sexualität nicht als Arbeitskraft sehen, wenigstens unser Intimstes soll uns doch gelassen werden! Aber ausgerechnet die Linke tritt für die Komplettverkapitalisierung von Frauen ein und entsolidarisiert sich damit von uns Prostituierten und Exprostituierten. Auch das beschönigende Gerede von der befreiten Sexualität kann ich nicht mehr hören, das Gequatsche von „Sexarbeit“ und „dem Recht, Sex zu verkaufen“. Was ist mit dem Recht sich nicht zu prostituieren und heil zu bleiben? Wenn ihr Bauchweh bekommt bei der Vorstellung, den Pimmel eines alten stinkenden Grabscheopas in den Mund zu nehmen bis er euch ins Gesicht spritzt, warum geht ihr dann davon aus dieser demütigende Akt sei für andere Frauen eine sexuelle Befreiung? Während in den Medien sog. „glückliche Sexarbeiterinnen“ vorgestellt werden, spülen sich anderswo blutjunge Rumäninnen die Scheide mit Desinfektionsmitteln aus, weil sie sich so vor den 10, 15 Männern ekeln, die sie täglich über sich drüber und in sich hineinlassen müssen.

        Wir dürfen nicht vergessen, dass Prostitution ein sexistisches System ist, denn 98 % aller Menschen in der Prostitution sind Frauen, und es sind MÄNNER, die diese Frauen kaufen. Wir dürfen nicht vergessen, dass Prostitution ein rassistisches System ist, denn es sind westliche, „weiße“ Männer, die derzeit Frauen aus Südosteuropa und Osteuropa kaufen – 90 % aller prostituierten Frauen in Dtl. stammen daher. Wir dürfen nicht vergessen, dass Prostitution ein klassistisches System ist, denn es sind reiche Männer, die Frauen aus armen Ländern oder aus den unteren Schichten ficken und dafür bezahlen. Wozu bitte brauchen wir ein sexistisches, rassistisches, klassistisches System, ein urpatriarchales System, und wie konnte es passieren, dass uns das jetzt als die Befreiung der Frau verkauft wird? Prostitution schadet der Gesellschaft, sie verhindert wahre Gleichberechtigung, wenn ein Geschlecht das andere kaufen kann. Prostitution schadet uns Frauen in der Prostitution. 68 % von uns haben mit Posttraumatischen Belastungsstörungen in der Stärke derer die Folter überlebt haben zu kämpfen, Süchte, Ängste, Zwänge, Depressionen, Einsamkeit, Selbsthass kommen hinzu. 9 von 10 Frauen in der Prostitution würden sofort aussteigen, wenn sie es könnten, aber sie können nicht. Ich kann das Gerede von „selbstbestimmter Prostitution“ und von der „eigenen Entscheidung“ nicht mehr hören. Zu einer Entscheidung gehört eine Handlungsoption und mindestens eine Alternative, aber die Frauen, die ich kenne, haben keine andere Option gesehen als sich zu prostituieren. Was soll das bitte für eine freie, selbstbestimmte Entscheidung sein? Ich kenne keine Frau, die in die Prostitution eingestiegen wäre und zuvor keine sexualisierte Gewalt erfahren hätte – ob durch Kindesmissbrauch, Vergewaltigung…

        Wir brauchen keine Legalisierung und Entkriminalisierung der Prostitution. Es ist nicht das Stigma, das uns vergewaltigt, missbraucht, tötet. Es sind die Freier. Mit einer Legalisierung entlassen wir die, die uns das antun, aus der Verantwortung. Der prostitutive Akte an sich ist Gewalt, er ist eine Erniedrigung, er ist ein Wegbezahlen der Sexualität und der Persönlichkeit der prostituierten Frau. Eine Legalisierung der Prostitution legitimiert das und wäre ungefähr so paradox wie die Legalisierung häuslicher Gewalt mit der Begründung, die Frauen sollten sich jetzt endlich nicht mehr dafür schämen müssen.

        400.000 Prostituierte befinden sich momentan in Deutschland. Jeden Tag gehen 1,2 Millionen Männer zu ihnen – in Deutschland. Es gibt keine saubere Prostitution, um das zu wissen, genügt ein Blick in die Freierforen im Internet, genügt ein Blick darauf, wie diese Männer Prostituierte und den Akt an sich beschreiben, wie sie in gleichgültiger Grausamkeit den Missbrauch an uns ausüben oder sich sogar sadistisch an ihm aufgeilen.

        Ich möchte alle Frauen, die sich heute hier befinden, darum bitten, nicht mehr wegzusehen, sondern das uns von den Medien vorgesetzte Bild der „glücklichen, befreiten Sexarbeiterin“ zu hinterfragen. Bitte solidarisiert euch mit uns.

        Die Gewalt findet mitten unter uns statt – bitte schaut hin und hört uns zu.

         

        © Huschke Mau

         

        Brief an Ministerin Manuela Schwesig

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        Dieser Text ist zuerst auf Emma online (hier) erschienen.

         

        Sehr geehrte Frau Ministerin Schwesig,

        ich schreibe Ihnen heute, weil ich sehe, dass der gerade veröffentlichte Entwurf einer Prostitutionsgesetzreform deutlich die Handschrift der Bordelllobbyisten und Zuhälter trägt. Ich möchte Sie darum bitten, sich endlich mit der Realität im Rotlichtmilieu auseinanderzusetzen anstatt weiterhin Menschen zuzuhören, die das Märchen von der selbstbestimmten, glücklichen Hure erzählen.

        Ich bin eine Aussteigerin aus der Prostitution, in der ich zehn Jahre verbracht habe. Ich weiß also gut, wovon ich rede. Die Gründe für den Einstieg waren vielfältig: Eine schwierige Herkunftsfamilie, in der ich durch massive, auch sexuelle, Gewalt gegen meine Mutter und mich traumatisiert worden bin, hat dazu ebenso beigetragen wie das zur damaligen Zeit heftig verbreitete Märchen von der glücklichen Prostituierten. Auch finanzielle Not und die fehlende soziale und psychologische Hilfe haben eine Rolle gespielt.

        Ja, wenn Sie so wollen, bin ich „freiwillig“ eingestiegen. Ich bin eine von den viel zitierten „freiwilligen Prostituierten“. Aber was ist „freiwillig“, Frau Schwesig, wenn ein von Kindesmissbrauch traumatisierter Mensch diese Entscheidung trifft? Für mich war die Prostitution zunächst ein Aufstieg, denn ich hatte ja gelernt, dass ich, weil ich ein Mädchen bin, so oder so wehr- und rechtlos bin und sexuell missbraucht werde. Also konnte ich ja auch gleich Geld dafür nehmen und mir damit zumindest mein Überleben sichern.

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        „Ich habe die Schnauze voll von euch!“

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        Dieser Text ist zuerst bei der Feministischen Partei (hier), den Störenfriedas (hier) und der Emma (hier) veröffentlicht worden.

         

        Liebe Stephanie Klee,

        ich nehme Bezug auf das Interview, dass das Stadtmagazin Zitty Berlin mit Dir geführt hat und ich möchte mich zunächst bei Dir dafür bedanken, dass Du es gegeben hast. Denn hätte ich es nicht gelesen, würde ich immer noch schweigen.

        Zunächst mal: ich darf Dich doch duzen? Wo wir doch sozusagen Kolleginnen sind. Denn ja, auch ich kenne die Prostitution gut, ich habe zehn Jahre in ihr verbracht.

        Weisst Du, ich finde Deine Aussagen über die Prostitution ganz bemerkenswert. Mich wundert nur ein bisschen, dass Du vergessen hast einige – mir doch recht wichtig erscheinende Dinge – zu erwähnen.

        Zunächst einmal hast Du vergessen, die grundsätzliche Frage zu stellen, ob es der Prostitution überhaupt bedarf. Es ist schön, dass Du wenigstens nicht das alte, abgenudelte Pseudoargument verwendest, ohne Bordelle triebe es die Vergewaltigungsrate hoch (was ja bedeutet, Männer können ihre Triebe nicht kontrollieren und kämen sie nicht zum Stich, könnten sie ja nicht anders als zu vergewaltigen). Aber wozu braucht die Gesellschaft Prostitution, Stephanie? Wozu braucht es die Tatsache, dass Männer Frauen kaufen dürfen (denn die meisten Prostituierten sind weiblich, und die, die männlich sind, bedienen das Homosexuellenmilieu). Wie erklärst Du Dir denn diese Tatsache und was sagt sie für Dich aus? Anscheinend ist das für Dich kein Merkmal eines Machtverhältnisses. Und da ist er schon, der erste blinde Fleck auf Deiner Linse.

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